Zweiundvierzig Grad im Schatten. Aber wo ist hier schon Schatten? Halbhohe, dürre Palmen, die sich aus dem staubtrockenen Pflaster quälen. Ein paar schiefe, halbfertige Betonarkaden an Straßen ohne Namen. Ein Haufen ockerfarbener Häuser, wie von einer Laune Allahs mitten in die Sahara geworfen.
Über 1300 Kilometer Luftlinie
sind es bis Algier im Norden. Irgendwo im Osten kommt die Grenze zu Libyen, im Süden liegen Niger und Mali - Entfernungen werden hier unwichtig, verschwimmen wie der Horizont in der Mittagshitze, die Zeit zerfließt in dem Niemandsland, in dem Illizi liegt.
Hier in der Nähe verschwanden seit dem 22. Februar insgesamt 31 Touristen. Gefangen genommen von Geiselgangstern, über deren Herkunft und Motive noch immer die wildesten Spekulationen umlaufen. Jetzt starten ständig algerische Armeehubschrauber von dem betonierten Flugfeld 30 Kilometer nördlich von Illizi, um Fallschirmjäger in das Tassili-Hochplateau zu bringen. Dort wird das Versteck der Entführer eingekreist.
Flugzeuge mit Spezialkameras überwachen alle Bewegungen, um eine nächtliche Verlegung der Geiseln zu verhindern. Posten mit Maschinenpistolen kontrollieren jedes Auto. Und Polizeiwagen patrouillieren durch die Provinzstadt, den letzten Vorposten der Zivilisation in der Einöde.
Die Franzosen haben hier 1908
das "Fort de Polignac" in den Sand gesetzt, meterhohe weiße Mauern mit Zinnen an einer Wasserstelle. Heute leben rund 4000 Araber und Tuareg in Illizi: Einen trostlosen Markt gibt es hier, wo Händler billige Decken und Blechgeschirr verkaufen, ein paar Verwaltungsgebäude, stacheldrahtbewehrte Kasernen und elf Moscheen, von denen die scheppernde Tonbandstimmen der Muezzin zum Gebet rufen.
Viele Stunden am Tag wirken die grob gemauerten Häuser abweisend. Schwere Schlösser hängen vor den Metallläden an den Geschäften, während Männer in zwei oder drei Cafès vor halb gefüllten Gläsern und flackernden Fernsehschirmen dösen. Und die Gestalten in weiten Umhängen, die später in der Kühle des Abends aus ihren Fluchtburgen treten, haben ihre Gesichter oft unter meterlangen Tüchern verborgen: Bloß die funkelnden Augen schauen aus dem kunstvoll gewundenen "Schesch".
Nein, ein Mekka für Wüstenfahrer ist dieser staubtrockene Flecken nicht. Keine Oase, wo Palmenhaine und grüne Gärten zur Rast einladen. Auch für die verschwundenen Touristen war Illizi nur ein Zwischenstopp. Hier kann man Fischdosen und verschrumpelte Orangen kaufen. Zerschundene Reifen flicken lassen und Motoröl besorgen. Die Wasser- und Sprittanks noch mal randvoll füllen. Hier, an der einzigen Tankstelle weit und breit, wurden die beiden deutschen Paare mit den Iveco-Lastern und die vier Schweizer mit dem roten Toyota Hiace, die seit dem 22. Februar vermisst werden, zuletzt gesehen. Ein Teil der Verschollenen übernachtete auf dem Mezrirene-Campingplatz an der Asphaltstraße zum 412 Kilometer entfernten Djanet, der "Perle der Oasen". Im Januar war der schattige Wagenpark noch überfüllt. Vor allem Wüstenfreaks aus Deutschland drängten sich mit ihren Motorrädern und Zelten um die schattigen Eukalyptusbäume, die hinter einer Mauer stehen.
Sie kommen in dieses Land,
um die endlose Weite der Wüste zu erfahren. Sie wollen den heißen Wind im Gesicht spüren, wenn sie ihre eigene Spur durch orange und rosa leuchtende Dünen ziehen - ohne Tempolimit, ohne Regeln, ohne Richtungspfeile, unter einem Sternenhimmel, der keine Grenzen kennt.
"Die Wüste macht süchtig": Das ist die Parole der Pioniere, die mit ihren schweren Motorrädern oder den bulligen Allradjeeps aus der Enge der deutschen Straßenschluchten in das Land der Tuareg flüchten, als wollten sie selbst Nomaden sein. Aufkleber am Campingplatz bei Illizi verraten, dass ein deutscher "Outdoor-Stammtisch" hier Station machte. "Ich bremse auch für Biere", schrieb jemand, der nach unzähligen Kilometern in der Hitze wohl rasenden Durst auf deutschen Gerstensaft gehabt haben muss.
Am 19. Februar hat sich der Schweizer Marc Hediger mit seinen drei Begleitern in die zerknitterte Besucherkladde des Campingplatzes eingetragen. Später der deutsche Motorradfahrer Sascha Notter mit zwei Freunden, die bereits im Jahr 2001 eine Tunesien-Tour gemacht und ihre Maschinen wüstentauglich umgebaut hatten. Am 8. März sechs Deutsche um den 52-jährigen Harald Ickler, der selbst Outdoor-Reisen anbietet, und den 33-jährigen Andreas Kiehlechner, der schon auf der Seidenstraße und im Iran off-road unterwegs war. Sie verbrachten mit ihren drei Geländewagen eine Nacht auf dem Mezrirene-Platz, bevor sie Richtung Tamanrasset starteten. Hinter dieser Wüstenstadt verlor sich ihre Spur. Jetzt ist der kleine Campingplatz bei Illizi mit den gelben Blumen am Brunnen verwaist. "Eine Katastrophe", klagt Abdel, der Berber, der hier alles in Ordnung hält. Aber fast alle anderen in Illizi gehen weiter ihren Geschäften nach, als wäre nichts passiert.
Nur die Tuareg-Nomaden,
die draußen in der Wüste leben, haben in den letzten Wochen Dinge gesehen, die sie früher nie bemerkt haben. Im Zeltlager in einem entfernten Tal, wo Ziegenherden und Kamele weiden, hocken sie um die Glut eines kleinen Feuers und hüten ihre Geheimnisse. Aber wenn der Tee im rußigen Kessel dreimal aufgekocht ist und in hohem Bogen in die kleinen Gläser sprudelt, dann löst der bittersüße Trunk unter Freunden manche Zunge, die sonst nicht zu reden bereit ist.
"In einer Februarnacht hat ein Hirtenjunge mehrere Autos gesehen, die im Dunkeln schnell vorbeifuhren. Das letzte war rot wie der Wagen der Schweizer", sagt Ali, der gelegentlich als Fahrer für Touristen arbeitet und einen verstopften Vergaser gern mit Hammerschlägen repariert. "Und in derselben Nacht ist noch etwas Merkwürdiges passiert."
Ein anderer Nomade sah Motorräder vorbeifahren, auf denen jeweils zwei Mann saßen: für Touristen genauso ungewöhnlich wie die Fahrten im Dunkeln, die als viel zu gefährlich gelten. "Das war auf der Gräberpiste", sagt Ali, "vielleicht 60 Kilometer westlich von Illizi entfernt."
Nicht weit hinter dem Franzosen-Fort zweigt die Piste nach Westen ab, wo in der Ferne die düsteren Tafelberge des Tassili auftauchen. Neben goldgelben Sicheldünen und einem ausgetrockneten Wadi verlieren sich bald die wenigen Reifenspuren, die hier noch zu erkennen sind.
Nur meterhohe Steinmänner, aus dunklen Brocken aufgeschichtet, weisen noch die Richtung auf der über 500 Kilometer langen Gräberpiste, an der zahllose Tuareg im Kampf gegen die Franzosen fielen und namenlose Reisende verdursteten. Südlich davon, in der unbewohnten Mondlandschaft des Tamelrik-Massivs, vermuten die Nomaden mindestens ein verborgenes Entführer-Camp. "Schon im November hat ein Mufflon-Jäger am Suderer-Berg drei Männer in Militärkleidung überrascht, die arabisch aussahen. Sie hatten Waffen bei sich, die er noch nie gesehen hatte, obwohl er bei der Armee war. Und sie hatten einen Toyota unter einem Felsvorsprung versteckt", sagt Amastan, der seit 69 Jahren am Fuß dieses Gebirges lebt.
Der Tuareg-Führer, von dem man behauptet, dass er "GPS im Kopf hat" und jede Düne an ihrer Farbe unterscheiden kann, weiß, dass diese Beobachtung an die Behörden weitergegeben wurde. Schließlich hatten sogar die Mufflon-Jäger danach Angst, wieder durch diese Gegend zu pirschen. Aber nichts geschah. Erst als die Touristen vermisst wurden, knatterten Armee-Helikopter so dicht über Tuareg-Zelte in den Bergen, dass die Frauen in Panik vom Plateau geflüchtet sind. Amastan kennt Geschichten von Überfällen, die schon vor mehreren Jahren stattfanden: als der Gangsterführer Eruwim an einer falschen Straßensperre einen lokalen Verwaltungsbeamten und einen Polizeichef stoppte, um deren Autos zu kapern und im Niger zu verkaufen. Als dieselbe Gruppe auf der Piste nach Djanet einen Ambulanzwagen der Straßenarbeiter einkassierte. Er weiß, dass ganze Konvois von "Marlboro-Banditen" in aufgemotzten Pick-ups über entlegene Pisten mit versteckten Diesel-Depots brettern. Sie schmuggeln Zigaretten und Waffen aus Niger und Libyen in den Norden. "Aber diese Leute", sagt der Tuareg-Führer, "würden nie Touristen anrühren."
Die Sahara-Fahrer sind jetzt verschwunden aus dieser Märchenwelt, wo sich Sandmeere und bizarre Gesteinsschlösser abwechseln. Sie campieren nicht mehr neben Felsüberhängen, in die vor Tausenden von Jahren Rinder- und Giraffenbilder graviert wurden. Stoßen nicht mehr vor zu den stolzen Nomaden mit ihren Herden. Jetzt sind hier Trupps von Fallschirmjägern unterwegs: blutjunge, martialische Gestalten auf Unimog-Lastern, lässig auf ihre Kalaschnikow gelehnt.
"Planquadrat für Planquadrat haben wir die Region durchsucht", sagt der Kommandant, dessen Trupp von Helikoptern im Tamelrik-Massiv abgesetzt worden war. Dort hat die Armee einen "Hot Spot" ins Visier genommen, der von Tuareg-Scouts ausgemacht worden war.
"Wir haben Spuren gefunden,
die von der Gräberpiste beim Tikharatine-Brunnen nach Süden abzweigten", sagt ein Tuareg, der im Tassili-Gebirge aufwuchs und dort jeden Stein kennt, "nach ein paar Kilometern sahen wir Ölspuren und eine Motorrad-Werkzeugkiste." Daneben lag ein Zettel unter einem Stein, der offenbar von den vermissten Schweizern zurückgelassen worden war. Reifenabdrücke von Motorrädern und von dem Toyota Hiace der Schweizer, dessen Winterreifen sich besonders gut abzeichneten, führten bis in die Nähe des Suderer-Bergs - auf einer Strecke, die bis dahin als unpassierbar für Fahrzeuge galt. "Die Entführer müssen diesen Abschnitt extra von Felsbrocken freigeräumt haben", sagt der Tuareg-Späher, "nach den Fußspuren zu urteilen, müssen das 50 bis 100 Leute gewesen sein, die sich dort oben aufhielten, wo es auch ein gutes Wasserloch gibt."
Ob die Entführer einen Teil ihrer Gefangenen noch am Suderer-Berg versteckt halten, ob sie die Touristen inzwischen auf zwei oder drei Lager aufgeteilt haben, um einen Sturm der Camps zu erschweren, können die Offiziere vor Ort nicht sagen. Sicher ist bloß: Es gab Kontakte zwischen der algerischen Regierung und den Entführern - eine Tatsache, die von der deutschen Regierung sogar den Angehörigen der Entführten verschwiegen worden ist.
"Die Informationspolitik der staatlichen Stellen
ist ein Trauerspiel", sagt Hartmut Simon, dessen Tochter Melanie seit Mitte März vermisst wird. Als die 25-jährige Geoökologiestudentin aus Bayreuth mit ihrem 30-jährigen Freund aufbrach, hatte sie ihrer Mutter noch gesagt: "Mach dir keine Sorgen!" Heute klagt ihr Vater: "Wir haben seit ihrem Verschwinden von offizieller Seite nie eine Meldung bekommen, die Mut macht. Wir wurden einfach total abgeblockt."
Am 14. April machte der Krisenstab im Auswärtigen Amt bei einem Treffen mit den Angehörigen in Berlin nur Andeutungen über angebliche Verhandlungen, die später wieder dementiert wurden. Danach wurde der persönliche Ansprechpartner im Fischer-Ministerium abgelöst, wegen "dringender dienstlicher Belange". Dann wurden örtliche Ansprechpartner der Kripo installiert, die den Angehörigen nur das meldeten, was sowieso gerade über die Medien lief - "lächerlich und grotesk", wie nicht nur Hartmut Simon findet, der wie alle anderen Angehörigen auf ein Lebenszeichen der Vermissten wartet. Stattdessen wollte die Polizei als Erstes eine Haarbürste und das Zahnschema seiner Tochter - um später ihre Leiche identifizieren zu können.
Wolfgang Metzner
Mitarbeit: EVA LINDENAU, Detlef Schmalenberg, Georg Wedemeyer