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Emanzitiert Hashtagfeminismus? Von wegen: Die Jungen haben's drauf

Hashtagfeminismus: Campaignerin Penelope Kemekendidou und Grün-Politikerin Katharina Schulze
Auf den Hashtagfeminismus: Campaignerin Penelope Kemekenidou und Grünen-Politikerin Katharina Schulze wollen Hasskriminalität gegen Frauen auch in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik sichtbar machen
© Grüne Alternative München
Die junge Generation hat den Finger stets an der Tastatur, bringt dabei jedoch die Sache der Frauen weiter als so manche alte Kriegerin (wie die Autorin).
"Diese jungen Dinger, die nur in Rufzeichen sprechen, ich verstehe sie nicht", gestand eine von mir sehr geschätzte, ältere Dame beim Kaffee. Sie bezeichnet sich selbst als "Emanze", versteht darunter jedoch etwas anderes als ich – nämlich, dass sie seinerzeit ihren persönlichen Lebensentwurf mit Kindern und Beruf gegen den Widerstand des Ehemanns durchsetzen konnte, ohne sich scheiden zu lassen. Sich für Frauenrechte allgemein einzusetzen, fände sie dagegen unelegant. "Das ist Aufgabe der Politiker", erklärte sie einmal, "dafür bezahle ich sie schließlich." Ich mag sie trotzdem sehr.
Nur diesmal gerieten wir beinahe in Streit. "Diese Hashtagfeministinnen", fuhr sie fort, das Wort hatte sie von ihrem Sohn gehört, "krakeelen nur auf Facebook und diesem Twitter herum. Ich habe manchmal den Eindruck, vielen von denen geht’s nur um möglichst viel Aufmerksamkeit bei möglichst wenig Aufwand. Zeige mir eine, die mehr macht als ständig Rautezeichen in ihr Handy zu tippen."

Kämpfen mit Raute und Rufzeichen

Den Vorwurf des "Hashtagfeminismus" höre ich immer wieder, und er stört mich. Das sagte ich auch. Fast hätten wir uns gestritten, aber dann fiel uns wieder unser Motto ein: Wenn zwei Emanzen sich streiten, freut sich der Chauvinist. Also bestellten wir stattdessen noch zwei Kaffee.
Es entspann sich ein angeregtes Gespräch. Ich erzählte, dass ich manchmal eine gewisse Feminismusmüdigkeit spüre, weil ich das Gefühl habe, wir bewegen uns zwar auf dem Papier von der Stelle, in den Köpfen jedoch ändere sich nicht viel. Ich bin eine müde, stellenweise desillusionierte Kriegerin und nicht einmal das Cover des Time Magazines, das den Aktivistinnen der #metoo-Bewegung gewidmet war, konnte mich so recht euphorisieren. "Feminism" ist das Wort des Jahres? Ach, es ändert sich ja doch nichts …

Liebe Medienkollegen, ab jetzt gibt’s Screenshots

In solchen Momenten bin ich stets froh, wenn ich die Wortmeldungen "dieser jungen Dinger" in den sozialen Medien sehe, die so selbstverständlich auf ihren Rechten beharren und eine Kampagne nach der anderen starten. "Jaja, diese Anne Wizorek und wie sie alle heißen", unterbrach mich meine Bekannte. "Da gibt es noch viele mehr", sagte ich und nannte als Beispiel die sehr engagierte Truppe rund um die Oxford-Absolventin und Campaignerin Kristina Lunz, die 2014 mit der Kampagne "StopBildSexism" auf sich aufmerksam machte. Die Feministinnen und Feministen machten auf sexistische Berichterstattung in Deutschlands größter Tageszeitung aufmerksam und sich selbst dabei durchaus auch Feinde. Das beeindruckte die jungen Leute jedoch nicht weiter. Im Gegenteil: Aus "Stop Bild Sexism" wurde jetzt der bundesweit agierende, gemeinnützige Verein GEM – Gender Equality Media. Mit einem Medienscreening zu Sexismus in deutschen Medien wendet sich das Team an die großen Medienhäuser, liefert einen Leitfaden zur gleichberechtigter Berichterstattung und will diese mit Hilfe von Politik und Medienmächtigen langfristig durchsetzen (Infos auf www.genderequalitymedia.org). Der Gedanke dahinter: "Sprache schafft Realität." Damit bietet der Verein bisherigen Initiativen und Plänen erstmals ein bundesweites Dach.
Mit dabei ist die Feministin Penelope Kemekenidou, 30, die mir besonders gut gefällt. Sie brachte vor einem Jahr eine internationale Kampagne zur Senkung der Umsatzsteuer auf Tampons nach Deutschland. "Wusstest du, dass hierzulande für Tampons 19 Prozent Steuern fällig sind, während Produkte für den täglichen Gebrauch sonst mit nur sieben Prozent besteuert werden?", fragte ich meine Bekannte. Sie schüttelte den Kopf. "Ich auch nicht", sagte ich, "bis Penelope Kemekenidou mich drauf brachte." (Weitere Infos zur wundersamen deutschen Steuerpolitik auf  https://www.bloodties.org/tampon-tax/). Weder meine Bekannte noch ich wären darauf gekommen, uns die Umsatzsteuersätze für Monatshygieneprodukte anzusehen. Dazu braucht es eben junge, schnelle Geister mit einem frischen Blick aufs System. 
Kemekenidou, im Brotberuf Unidozentin und Naturschutz-Campaignerin, hat auch den Antrag mit verfasst, der vor wenigen Tagen von einer Abgeordneten des bayrischen Landtags, der Grünen Katharina Schulze, 31, eingebracht wurde: Frauenfeindlich motivierte Kriminalität soll statistisch erfasst und bekämpft werden. Gefordert wird die Einführung der Unterkategorie "Misogynie/Frauenfeindlichkeit" in die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für politisch motivierte Straftaten, neben Kategorien wie Nationalität, Hautfarbe oder Religion. Straftaten – von der Ruf- und Kreditschädigung bis zur gefährlichen Drohung – werden gegen Frauen gerade in sozialen Netzwerken explizit aufgrund ihres Geschlechts verübt.

Auf den Hashtagfeminismus!

Natürlich gibt es auch dazu einen Hashtag: #wirzählen. Aber ein Hashtag ist weit mehr als nur ein Suchbegriff für Twitter. Es ist die neue Art, eine Klammer um bestimmte Themen zu setzen. "Wir zählen" ist kürzer als "Kampagne zur Aufnahme von bestimmten Gewaltdelikten gegen Frauen in die Hasskriminalitätsstatistik". "Und ein Hashtag, von Hunderttausenden geteilt, kann mehr bewirken als eine 'echte Demo', wie du immer sagst", sagte ich. "Ist das schlimm? Nein, das ist clever!" Meine Bekannte nickte. Ich hatte sie überzeugt. Wir bestellten zwei Gläser Sekt und stießen an: "Auf die Hashtagfeministinnen!" 
lch war einmal in einer Projektrunde führender Medienfrauen. Wir trafen uns ein paar Mal, diskutierten über Ideen wie eine redaktionelle Selbstverpflichtung zu geschlechtergerechter Berichterstattung, setzten die Ideen jedoch nicht um. Zu viel zu tun. Die "jungen Dinger" von GEM, die weniger Einfluss, weniger Geld und weniger Möglichkeiten hatten, sind jetzt an uns vorbeigezogen. Es sind wir Älteren, die viel zu oft nur noch Worthülsen, Absichtserklärungen, leere Slogans parat haben. Die Jungen dagegen haben längst Phase zwei gezündet. Und damit auch das Feuer in dieser müden Kriegerin von neuem entfacht.
Zum Shitstorm? Zur Tür hinaus, zur linken Reihe, jeder nur einen Post.
Zeigt auf einem Foto für das US-Magazin Vanity Fair ein bisschen ihrer Brust: Schauspielerin Emma Watson

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