Eine Frage vorab: Wie hart darf man mit jemandem ins Gericht gehen, der solch ein tragisches Schicksal wie Natascha Kampusch trägt und sich nun der Öffentlichkeit mit einer Talkshow präsentiert? Glaubt man ihrem Berater, so war es ihr ureigenster Wunsch. Sie wolle mehr sein als nur das "Mädchen aus dem Keller", soll sie ihm gesagt haben. Ein Sender für die Wunscherfüllung hat sich freilich schnell gefunden. Puls 4 heißt der junge österreichische Sender, bei dem Kampusch "alle künstlerischen Freiheiten genießt", wie die verantwortliche Redakteurin sagt.
Sie fühle sich hier sehr wohl. Ob das alles so stimmt, konnte man bei der ersten Pressevorführung der Sendung "Natascha Kampusch trifft" in der Roten Bar des Wiener Volkstheater im ersten Bezirk nicht erfahren. Denn Kampusch selbst war nicht da. Und so wurde aus dem "Pressescreening" eine seelenlose Performance auf einer Bühne ohne Schauspieler, Aufzeichnung auf Leinwand, 40 Minuten, Häppchen auf runden Tischen und rund 50 Journalisten, die einander unter einem schweren Kronleuchter aus Glassteinen und Bronze fragend in die Augen blickten.
Ab 15:45 Uhr an diesem drückend heißen Freitag in Wien beginnt also die erste Folge von "Kampusch trifft". Erster Gast ist Niki Lauda, ein Mann, zu dem es kaum noch etwas zu sagen gibt. Ein ehemaliger Formel-1-Pilot, der auf dem Nürburgring 1976 mit seinem Auto verunglückte und dessen Lebensgeschichte trotz aller Tragik die Österreicher inzwischen mehr langweilen dürfte als das alte Riesenrad am Prater. "Ihnen macht es nichts aus bei der ersten Sendung dabei zu sein. Wieso?" Mit diesem Satz eröffnet Kampusch, wie immer in frauenkämpferischem Lila gekleidet, die Premiere ihrer Sendung, die am kommenden Sonntag offiziell ausgestrahlt wird. Kein klassisches Interview soll es sein, sondern ein offenes Gespräch, belehrt der Sender zuvor, ein ganz anderes Konzept eben.
Eigene Tragödie als Thema
Lauda, wie immer mit roter Kappe auf dem vernarbten Haupt, spricht von einer Herausforderung, die er gerne annehmen wollte. Etwas verlegen rollt das Opfer eines der berühmtesten Kriminalfälle Österreichs die Augen und richtet sie gen Boden. Lauda parliert unterdessen munter über seine Kindheit, sagt, dass es sehr streng zugegangen sei damals zuhause, dass er früher die Hände älterer Damen geküsst habe und er das verkörpert habe, was man heute sicherlich einen ordentlichen "Seicherl"- also einen wenig wagemutigen Jungen - nennen würde. Ab und zu habe sich der kleine Niki auch eine Watschn abgeholt. Dazu Kampusch: "Man hat also nicht mit körperlichen Züchtigungen gespart." Ein erster zaghafter Versuch, die eigene Lebenstragödie zu thematisieren.
Lauda als Schicksalsbruder
Was es denn außer schmalem Körper und kleiner Größe brauche, um erfolgreicher Pilot eines Rennautos zu sein, will Kampusch wissen. "Der Kontakt zwischen Hintern und Hirn", erläutert Lauda und setzt an zum nächsten Monolog. Schnitt. "Kommen wir einfach zum Unfall", leitet Kampusch galant zum Höhepunkt über. Jenes Ereignis, das Lauda nun zu Kampuschs Schicksalsbruder werden lässt. Nürburgring, Unfall, Verbrennungen und Angst wieder in ein Auto zu steigen. Angst. Ein Gefühl, dass doch auch sie bestimmt kennt, sagt Lauda.
"Mich beeinträchtigen die achteinhalb Jahre nicht so, wie die Leute glauben", erklärt Kampusch etwas trotzig. Sie sei ein reflektierter Mensch, der Seelenhygiene immer sofort betreibe, wenn ein Problem aufkomme. So sei es auch damals gewesen, als ihr Peiniger Wolfgang Priklopil sie in ein Verlies sperrte und zur Sklavin seiner Herrscherphantasien machte. Aber sie habe gelernt, immer einen Schritt voraus zu sein und zu planen, denn "da bin ich gut".
Schon im Alter von zwölf Jahren habe sie über ihre Flucht nachgedacht. Aber sie habe gewusst, dass sie körperlich schneller werden muss und obendrein das moralisch-ethische Problem zu lösen hatte, bei erfolgreicher Umsetzung ihres Plans den angedrohten Selbstmord Priklopils zu provozieren.
Das war auch schon alles, was irgendwie interessant an dieser ersten Sendung war, der ab jetzt im Monatstakt noch zahlreiche folgen sollen. Der Rest war überwiegend peinliches Geplänkel mit Exkursen - etwa in Laudas Lendengegend, wo inzwischen vier Nieren für den lebenserhaltenden Stoffwechsel sorgen.
Zum Schluss durfte Lauda noch eine Frage an Kampusch richten. "Was möchten sie gerne machen? Eine Reise um die Welt mit Rucksack? Wo sehen Sie sich in einem Jahr?" Schwierig, sagt sie. Dinge erforschen würde ihr schon gefallen. Aber die weite Welt? Lieber nicht. Mit dieser Sendung könne sie ja auch ihren Forscherdrang befriedigen.
Danke. Abspann. Applaus bleibt aus in der Roten Bar im Volkstheater. Vielleicht hätte man die schweren bordeauxroten Samtvorhänge an der Bühne fallen lassen sollen, um dem virtuellen Schauspiel das konsequent groteske Ende zu bereiten.
Sender hofft auf weltweite Vermarktung
Irgendwie fühlte man sich an damals erinnert, als Kampusch nur zwei Wochen nach ihrer Flucht vor die Kameras trat. Herausgekommen waren ein Medienfiasko und eine junge verwirrte Frau, die blind den Befehlen ihrer Berater folgte. Und auch dieses Mal scheint sie, auf dem Weg der Selbstfindung, in das offene Messer zu laufen. Dem Sender Puls 4, gerade geboren, kommt das prominente Opfer gerade recht. Er kalkuliert ganz bescheiden mit 1,1 Prozent Quote und hofft auf weltweite Vermarktung.
Ganz uneigennützig freilich, denn abzüglich der Vertriebskosten fließe alles in Kampuschs Tasche. Doch um Geld, betont ihr Medienberater, gehe es bei diesem Projekt nicht. Statt sich weltweit zu vermarkten, sollte Kampusch vielleicht gerade deshalb doch besser die weite Welt bereisen. Ganz nach Laudas Lebensmotto: "Ich streck mein Kapperl vor und marschiere los."