Flucht übers Mittelmeer
Das traurige Schicksal eines Geretteten
Mehr als 300.000 Flüchtlinge haben in diesem Jahr die gefährliche Reise übers Mittelmeer gewagt. Fast 3000 verloren dabei ihr Leben. Mohammed Ulet gehört zu denjenigen, die gerettet wurden. Doch das half dem Jungen aus Somalia nicht.
Ende August gelangt er auf das Rettungsschiff „Dignity 1“ der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“. Mit an Bord, der Arzt Tankred Stöbe.
„Er sagte von sich er ist zwölf. Später haben andere gesagt, er war wahrscheinlich 15 Jahre alt. Von ihm wissen wir, er ist alleine von seiner Familie aus Somalia weg, hat in Libyen gearbeitet, ist dort schwer misshandelt worden mit Schlägen auf dem Rücken, hat Blut gespuckt, hatte dann schon Wesensveränderungen, hat nachts gesprochen und irgendwelche wirren Dinge von sich gegeben. Und ich war unsicher, ob er es schaffen wird bis Italien.“
Mohammed schafft es nicht. In der zweiten Nacht nach seiner Rettung schreckt er von seinem Bett im Krankenzimmer auf und rennt an Deck. Dort bricht er zusammen. Herzinfakt. Stöbe kann ihm nicht mehr helfen.
Es sind Geschichten wie diese, die Tankred Stöbe nicht ruhen lassen. Seit mehr als zwölf Jahren arbeitet er ehrenamtlich für die Hilfsorganisation. Vier Wochen war er im August und September Arzt auf der „Dignity 1“
„Diese Menschen haben alles verloren. Sie können nicht anders. Sie müssen über das Mittelmeer fliehen, weil sie gar nicht zurück in ihre Herkunftsländer können. Weil sie keinen Pass haben, kein Geld mehr, nichts mehr zum Anziehen. Das heißt diesen Menschen zu helfen, ist eine klare Menschenpflicht.“
Der Pflicht, denen zu helfen, die sich nicht mehr selbst helfen können, hat sich Tankred Stöbe verschrieben. Der Notfallmediziner behandelt Menschen, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. 2013 begleitete der stern ihn bei einem Einsatz im Irak im Grenzgebiet zu Syrien. Schon damals überquerten bis zu 1600 Menschen pro Tag die Grenze. Menschen, die ihre Heimat hinter sich lassen mussten, weil ihnen keine andere Wahl blieb.
„ Wir sehen jetzt im vierten, fünften Jahr dieser Krise: Wenn sie keine Hoffnung haben auch in diesen Nachbarländern. Dass sie dort nicht mehr versorgt werden können. Dass sie dort keine medizinische Hilfe bekommen, dass keine Aussicht besteht, dass der Konflikt je zu Ende geht, dann entscheiden sie sich für Europa. Aber das ist tatsächlich die allerletzte Verzweiflungsentscheidung dies zu tun. Sobald es für sie eine Möglichkeit gibt zurückzukehren, werden sie das tun.“
Seit Mait ist die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ mit drei Schiffen im Mittelmeer im Einsatz. Als die Zahl der Ertrunkenen Anfang des Jahres massiv anstieg, entschieden sich die Helfer erstmals zu einem Einsatz auf hoher See. Bis Ende Oktober werden sie weiter Menschen in Seenot helfen.
„Die Dankbarkeit, die ich von diesen Menschen erlebe. Dieses Glück, dieses Strahlen in den Augen, wenn sie dann Italien sehen und wissen, sie sind wirklich in Europa, es sind jetzt wirklich nur noch wenige Schritte dort ans Festland. Diese Dankbarkeit und Freude zu erleben, das ist so erfüllend. Und ich glaube, das teilen gerade auch viele Helfer hier in Deutschland. Diesen Menschen zu helfen, strahlt so viel Freude zurück auf das eigene Leben, dass sich das selbst auch genüge ist. Da braucht man gar nicht viel mehr.“
Zurück in Deutschland blickt Stöbe mit Besorgnis auf den Herbst und Winter. Der Seegang im Mittelmeer nimmt zu, die Überfahrt wird zunehmend gefährlicher. Stöbe befürchtet, dass trotzdem Dutzende Boote mit Flüchtenden in See stechen werden. Denn für viele ist das Ziel Europa die einzige Option.