Flüchtlingsdrama im Mittelmeer Die EU-Politik ist zynisch

Wieder ist ein Flüchtlingsboot vor Libyens Küste im Meer versunken. Wieder sieht die EU den Flüchtlingen beim Ertrinken zu. Das ist ein Skandal. 
 

Wie viele Menschen am Mittwoch etwa 25 Kilometer vor der Küste Libyens ums Leben gekommen sind, das weiß niemand. Etwa 600 sollen an Bord gewesen sein, nur 370 wurden lebend aus dem Wasser gezogen. Nach Augenzeugenberichten war es ein jämmerlicher, nicht mal im Ansatz seetüchtiger Kahn. Es war, wieder mal, ein kalkuliertes Himmelfahrtskommando - kriminelle Schleuser haben den Tod womöglich Hunderter Männer, Frauen und Kinder billigend in Kauf genommen. Schon morgen kann das wieder passieren. Vielleicht sogar heute schon.

Ein Geschäft mit dem Tod

Das Geschäft mit der Hoffnung der Verzweifelten ist ein Geschäft mit dem Tod. Unzweifelhaft, wer hier die Verantwortung trägt. Und doch – es muss die Frage erlaubt sein, ob die EU tatsächlich genug dafür tut, die täglichen Dramen im Mittelmeer zu verhindern. Seit Anfang Juli läuft die zweite Phase der Operation EUNAVFOR (European Union Naval Forces) MED (Mediterranean), bei der unter Beteiligung der deutschen Marine außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer nicht nur Seenotrettung betrieben wird. Ausdrücklicher Auftrag ist auch, Informationen über die kriminellen Netzwerke der Schleuser zu sammeln – das alles in der Absicht, wirkungsvoll gegen das funktionierende Schlepper-Gewerbe vorgehen zu können. Wann genau? Keiner weiß das. Und irgendwie hat man nicht den Eindruck, dass die Frage besonders dringlich bearbeitet wird.

Denn das Zusammenspiel der EU-Staaten ist bei dieser Operation mehr als zögerlich. Im Klartext: Jedes Unglück vor Libyens Küste macht es zum Skandal, weil Schiffe fehlen, um den riesigen Einsatzraum im Mittelmeer so zu sichern, dass Flüchtlingsboote, die in Seenot geraten sind, rechtzeitig gerettet werden können. Die Toten vor Libyens Küste gehen deshalb auch auf das Konto einer gleichgültigen europäischen Staatengemeinschaft, deren Mitglieder sich umso desinteressierter zeigen, je weiter sie vom Ort der Katastrophe entfernt sind.

Die EU ist zynisch

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat bei einem Besuch der Fregatte Schleswig-Holstein vor mehr als vier Wochen eine "faire Lastenverteilung" innerhalb der EU angemahnt. Doch die Zahl der an EUNAVFOR MED beteiligten Nationen ist weiterhin konstant niedrig geblieben. Manche Staaten verweisen auf andere Aufgaben, andere nicht einmal darauf.

Die EU, sie ist zynisch geworden. Als das erste große Seeunglück mit vielen Hunderten Toten passierte, wurde flugs ein EU-Sondergipfel einberufen. Seitdem sind zwar Tausende gerettet worden, das Sicherheitsnetz hat sich aber als bei weitem zu löchrig erwiesen. Und doch ist offenkundig niemand mehr ernsthaft bereit, nachzubessern. Und so sieht es ganz so aus, als ob man in Brüssel damit kalkuliert, dass die Toten von gestern schon morgen in Vergessenheit geraten sind. Die Aussichten dafür stehen nicht schlecht.  Das ist ein Skandal.

Axel Vornbäumen hat sich an Bord der Fregatte "Schleswig-Holstein" zeigen lassen, wie Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet werden. Seitdem fragt er sich, warum andere Nationen so wenig Interesse zeigen. Man kann dem Autor auf Twitter folgen unter @avornbaeumen