Todesstrafe Des roten Drachen kalte Schulter

An China beißen sich Menschenrechtler und EU-Kämpfer gegen die Todesstrafe die Zähne aus. Sie erhalten nicht einmal Informationen über die Anzahl der dort vollstreckten Tötungen.

Sie gehen den US-Gouverneuren gehörig auf die Nerven. Sie schreiben Briefe, schalten Zeitungsanzeigen, setzen sich gezielt für einzelne Todeskandidaten ein. Und die Vertreter der Europäischen Union, die sich dem Kampf gegen die Todesstrafe verschrieben haben, freuen sich über jeden kleinen Erfolg. Doch der weltweite Tag gegen die Todesstrafe am 10. Oktober ist in Brüssel auch Anlass zur kritischen Bestandsaufnahme.

"Es stimmt, dass die EU sicherlich einer der wichtigsten Partner für die internationale Koalition gegen die Todesstrafe ist", sagt die Verantwortliche für die Außen- und Sicherheitspolitik im EU-Büro von Amnesty International, Gabriele Juen. Vor allem in den USA - mit 71 Hinrichtungen im Jahr 2002 drittgrößter Vollstrecker von Todesstrafen nach China und dem Iran - setzten sich EU-Diplomaten vorbildlich für die Rechte der Gefangenen ein. Der Menschenrechtsdialog mit China trete hingegen auf der Stelle: "Die EU ist nicht mal in der Lage, von den Chinesen ordentliche Statistiken zur Todesstrafe zu bekommen."

Zahlen der Hinrichtungen ungewiss

Auch die Menschenrechtler haben keinen kompletten Überblick: "Zum Jahresende 2002 waren Amnesty International 1062 Hinrichtungen aus China bekannt - diese Zahlen sind unvollständig, die tatsächliche Ziffer dürfte wesentlich höher liegen", berichtet Juen. Mindestens 113 Hinrichtungen habe es im Iran gegeben, die 48 dokumentierten Fälle aus Saudi-Arabien seien nur ein Teil der Wahrheit.

"Man darf die Hoffnung nicht verlieren", sagt Danielle Smadja von der EU-Generaldirektion für Außenbeziehungen zu solchen Zahlen. Die Kommission glaubt an die Erfolge diplomatischer Beharrlichkeit: "Es gibt Ergebnisse, aber es geht sehr langsam." Jüngster Fortschritt war die Begnadigung aller Todeskandidaten im US-Bundesstaat Illinois im Januar: Gouverneur George Ryan wandelte die meisten Strafen der 157 Gefangenen in den dortigen Todeszellen in lebenslängliche Haft um.

Bevölkerung langsam überzeugen

Wie die EU-Kommission hält auch Michel Taube von der Weltkoalition gegen die Todesstrafe wirtschaftliche Sanktionen für wenig wirksam. Damit ein Staat dauerhaft die Todesstrafe abschaffe, müsse die Bevölkerung von diesem Schritt überzeugt sein, sagt Taube. In diesem Sinne wirkten nach Ansicht von Amnesty die Anzeigen, die während der portugiesischen EU-Präsidentschaft in US-Zeitungen erschienen.

Die EU untermauert ihre politische Verpflichtung nach eigenen Angaben mit finanzieller Unterstützung für konkrete Projekte. Im vergangenen Jahr habe die Kommission rund 4,9 Millionen Euro für Vorhaben ausgezahlt, mit denen die öffentliche Meinung in Staaten mit Todesstrafe beeinflusst werden soll. Weltweit haben 80 Länder die Todesstrafe abgeschafft, 30 sehen zwar noch Hinrichtungen in ihren Gesetzen vor, führen sie aber seit längerem nicht mehr aus. In 60 bis 70 Staaten werden regelmäßig Menschen hingerichtet.

Öffentliche Aktionen der EU-Politik seien aber eher die Ausnahme, sagt Amnesty-Fachfrau Juen. "Wenn es um den hohen politischen Dialog mit den USA geht, wird das Thema doch eher mit Samthandschuhen angefasst." Es sei eine große Ausnahme gewesen, als die inzwischen ermordete schwedische Außenministerin Anna Lindh ihren US-Kollegen Colin Powell mit klaren Worten gegen die Todesstrafe konfrontierte.

China lässt die EU abblitzen

Völlig ungerührt reagiert Juen zufolge aber China auf die wiederholten Vorstöße der Europäer: Seit Jahren fordere die Union alle sechs Monate zumindest aktuelle Zahlen über die Hinrichtungen im Land der Mitte - "es passiert aber nichts". Stattdessen machen beunruhigende Berichte über einen Handel mit Organen hingerichteter Menschen die Runde. Trotz Protesten der EU, klagt Juen, richteten die Chinesen im März zwei tibetanische Gefangene hin: "China weiß eben, dass es außer Worten von Europa nichts zu befürchten hat."

DPA
Roland Siegloff

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