Klimawandel in den USA Indigener Stamm will sich vor drohender Überschwemmung retten – und ein ganzes Dorf verlegen

Stammesmitglieder der Quinault bei einer Zeremonie auf dem Wasser
600 Mitglieder des Quinault-Stammes leben inzwischen in einem Überschwemmungsgebiet. Deshalb wollen die Ureinwohner einen großen Teil ihrer Hauptstadt verlegen.
© Terray Sylvester / Imago Images
Die Folgen des Klimawandels betreffen Millionen US-Amerikaner. Indigene Stämme leiden besonders unter den zunehmend heftigeren Naturkatastrophen. Ein Stamm in Washington will deshalb den Großteil einer Stadt umsiedeln.

Nur noch ein Prozent ihres ursprünglichen Landes ist den Ureinwohnern der USA geblieben. Die mehr als 500 einzelnen Stämme mussten oft mit abgelegenen und unwirtlichen Regionen vorliebnehmen. Gegenden, die nach und nach unbewohnbar werden, da sie von der Klimakrise besonders stark betroffen sind. Naturkatastrophen wie Hurrikanes, Dürre und Überschwemmungen werden immer mehr und immer intensiver.

Klimakrise an der Küste direkt spürbar

"Die neueste Bedrohung in einer Geschichte, die von Jahrhunderten der Not und Vertreibung geprägt ist", beschreibt die "New York Times" das Schicksal der indigenen Bevölkerungsgruppen. Viele von ihnen sehen sich gezwungen, umzusiedeln. So auch die im Nordwesten der USA ansässigen Quinault, ein Stamm von 3.600 Mitgliedern. Deren Hauptstadt Taholah liegt direkt am Pazifik. Stürme tragen die Küste immer weiter ab und Überschwemmungen bedrohen die Einwohner. Sie haben deshalb beschlossen, einen Großteil der Gemeinde zu verlegen.

Die Quinault rechnen mit einem Meeresspiegelanstieg von bis zu 80 cm bis 2100, doch bereits jetzt sind die Folgen des Klimawandels für den Stamm spürbar. Der Ozean hat im Laufe der Jahre weite Teile des Strandes geschluckt, die Küstenlinie ist dichter an die Stadt gerückt. Larry Ralston, der Schatzmeister der Quinault, hat diesen Prozess sein Leben lang beobachtet. "Früher kam es im unteren Dorf alle drei bis fünf Jahre zu Überschwemmungen", berichtet er im "Guardian". Inzwischen komme es jährlich zu Fluten.

Sturmfluten, Tsunamis, Stromausfälle

Das Meer und der Quinault River, die für den Stamm eine "wesentliche Rolle bei der Identität und dem Überleben der Nation gespielt" haben, sind zur Gefahr für das indigene Volk geworden. Das Territorium, das dem Stamm im 19. Jahrhundert zugesprochen wurde, misst 189.621 Hektar und liegt im Bundesstaat Washington. Strand und Küstenregenwald kesseln das Areal ein. Ein Großteil der Fläche besteht aus Nadelwald, die Wohngegenden laut "New York Times" aus "minderwertigen Unterkünften und schlechter Infrastruktur“.

Der Lake Quinault-See im US-Bundesstaat Washinton
Das Gebiet der Quinault besteht zu einem großen Teil aus Nadelwald
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600 Einwohner von Taholah leben mittlerweile im Überschwemmungsgebiet und erleben Sturmfluten, Tsunamis und Stromausfälle. Ein Deich, der die Stadt vor dem Ozean schützen soll, ist trotz Nachbesserungen regelmäßig gebrochen. Um der Bedrohung zu entkommen, haben die Quinault beschlossen, den unteren Teil der Stadt eine halbe Meile nach oben zu verlegen. Das Vorhaben hat der Stamm 2017 im "Village Relocation Master Plan" ausführlich dargelegt. Auf 80 Hektar überschwemmungsfreiem Land sollen bis 2030 rund 300 Gebäude entstehen.

Gemeinde soll an "sicheren Ort" ziehen

Neben Wohnungen sollen auch Einrichtungen wie Schule, Polizei, Feuerwehr und Gerichtsgebäude an den neuen Standort versetzt werden. Der Plan soll es Einwohnern und Unternehmen ermöglichen, "an einen sicheren Ort zu ziehen", an dem weiterhin alle wichtigen Dienstleistungen gewährleistet sind und "eine gesunde, sozial und wirtschaftlich lebendige Gemeinschaft" entstehen kann. Dazu sollen die Stammesmitglieder Interessengruppen bilden, damit die jeweiligen Anliegen der Einwohner bei der Planung der Fläche berücksichtigt werden können.

Der erste Spatenstoß ist bereits getan. Auf dem neuen Territorium haben die Quinault ein Gebäude errichtet, das als Verwaltungskomplex, sowie als Seniorenwohnheim und Kindergarten dient. "Dieses Projekt wird zur Sicherheit der Einwohner von Taholah beitragen, indem es Kinder- und Seniorenprogramme aus der Tsunamizone verlagert und im Falle einer Naturkatastrophe als vorübergehende Notunterkunft dient", sagt Larry Workman, der Sprecher des Stammes in der "Daily World". Den Bau des Gebäudes konnten die Einwohner mit Hilfe von staatlichen Zuschüssen bezahlen. Die Finanzierung der kompletten Umsiedlung stellt jedoch ein bisher unlösbares Problem dar. Schatzmeister Ralston rechnet mit Gesamtkosten von bis zu 200 Millionen Dollar.

Zugang zu finanzieller Hilfe schwierig für indigene Stämme

Für zusätzliche Gelder haben die Quinault sich an Wohnungs-, Handels-, Innenministerien sowie die Federal Emergency Management Agency (Fema) gewandt. Letztere "hat uns wiederholt gesagt, dass diese wettbewerbsfähigen Mittel auf Zahlen basieren, nicht auf Bedarf", erklärt Ralston dem "Guardian". Das heißt, dass die staatlichen Mittel an diejenigen Gemeinden mit der größeren Anzahl an Betroffenen gehen. Die "New York Times" berichtet, dass der Zugang zur finanziellen Hilfe für die Ureinwohner ohnehin um einiges schwerer sei als für die restlichen Amerikaner.

Ureinwohner bei einem Protest am Capitol in Washington
Für native Bevölkerungsgruppen ist der Zugang zu staatlicher Hilfe oft ein Hindernis
© NurPhoto / Imago Images

Daten der Regierung, die die Zeitung ausgewertet hat, ergaben, dass native Bevölkerungsgruppen bei der Erholung von Katastrophen sowie beim Schutz vor künftigen Wetterereignissen weniger unterstützt werden als andere, nicht-indigene Gemeinden. Von den 59.303 Grundstücken, die seit 1998 Zuschüsse zur Vorbereitung auf Katastrophen erhalten haben, befanden sich nur 48 auf Stammesland, teilt Carlos Martín, ein Forscher am "Urban Institute" der "New York Times" mit.

Das mache deutlich, dass die nativen Völker von der Regierung noch immer vernachlässigt werden. "Wir sind am stärksten vom Klima betroffen, aber am wenigsten finanziert", klagt Ann Marie Chischilly, Dirketorin des "Institute for Tribal Environmental Professionals" an der Northern Arizona University. Dabei galt Präsident Joe Biden für die Ureinwohner eigentlich als Hoffnungsträger, da er versprochen hatte, die Beziehungen zu den indigenen Gemeinden zu verbessern. Bisher habe der Präsident jedoch wenig konkrete Schutzmaßnahmen angekündigt.

Klimawandel betrifft Millionen US-Amerikaner

Die Einzige findet sich im neuen Infrastruktur-Gesetz, mit dem der US-Präsident eine historische Investition in die Infrastruktur des Landes verabschiedet hat. "Stammesgebiete sind durch die Auswirkungen des Klimawandels stark gefährdet", heißt es vom Weißen Haus. Deshalb wolle man Umsiedlungen für "die Stammesgemeinschaften, die am anfälligsten für die Klimakatastrophe sind" mit etwa 216 Millionen Dollar unterstützen.

Trümmer eines Hauses nach Hurrikane Sandy in den USA
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© Jim West / Picture Alliance

Eine Investition, die unter mehr als 500 Stämme aufgeteilt wird. Dabei bräuchten allein die Quinault nahezu die gesamte Summe für den Umzug. Doch was in Taholah passiert, könnte in Zukunft auf eine Vielzahl von Gemeinden entlang der Küste zukommen.­ Ein Bericht der National Oceanic and Atmospheric Administration geht davon aus, dass der Meeresspiegel entlang der Küste in den nächsten 30 Jahren um 25 bis 30 Zentimeter ansteigen wird.

Ein gefährliches Risiko für rund 15 Millionen US-Amerikaner, die bereits jetzt in von Überflutung bedrohten Gebieten leben. Die Experten prognostizieren, dass gravierende Überschwemmungen bis zu zehn Mal häufiger auftreten werden. Infolgedessen rechnen die Experten mit einer massenhaften Migration: Bis 2100 könnten rund 13 Millionen US-Amerikaner ihren Wohnsitz Richtung Landesinnere verlegen. Auf die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Konsequenzen sei das Land noch lange nicht vorbereitet.

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