Früherer Top-Terrorist Lächeln, Küsse, konfuse Einlässe - der erste Tag im neuen Prozess gegen "Carlos"

Carlos, der Schakal
"Carlos, der Schakal": Der venezolanische Terrorist Ilich Ramírez Sánchez (r.) im Jahr 2013 in Paris
© Bertrand Guay/AFP
Er war einer der meistgesuchten Terroristen der Welt und ist bereits zweimal zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nun steht "Carlos, der Schakal" erneut vor Gericht - wegen eines Anschlags vor mehr als 42 Jahren.

Der Mann, der einst international Angst und Schrecken verbreitete, präsentiert sich im Gerichtssaal mit einem demonstrativen Lächeln. Aus der eingeglasten Anklagebank-Box wirft der ergraute Top-Terrorist "Carlos" eine Kusshand in Richtung der Journalisten. Der 67-Jährige trägt ein schwarzes Sakko mit rotem Einstecktuch über einem Rollkragenpulli und nutzt schon am ersten Tag offensiv die Bühne, die ihm der neue Prozess in Paris bietet. Mehr als zwei Jahrzehnte in Haft haben an seinem Selbstverständnis nichts verändert: "Seit meiner Jugend bin ich Berufsrevolutionär", sagt er.

Der Venezolaner Ilich Ramírez Sánchez, bekannt als "Carlos der Schakal", war in den 1970er- und 1980er-Jahren einer der meistgesuchten Terroristen der Welt. Mehr als 42 Jahre nach einem Anschlag auf die Einkaufsgalerie "Drugstore Publicis" im Pariser Viertel Saint-Germain soll ein Prozess nun klären, ob "Carlos" damals die Handgranate warf, die zwei Menschen tötete und 34 weitere verletzte. Er selbst bestreitet das.

"Carlos, der Schakal": Nebenkläger sind "Aasgeier"

In seinen teils konfusen Einlässen am ersten Verhandlungstag spricht er von Manipulation und einem "zionistischen Komplott", die als Nebenkläger auftretenden Opferverbände bezeichnet er als "Aasgeier". Irgendwann ufert eine Stellungnahme zu einem Vortrag über das französische politische System aus: "Es gibt keine echte Demokratie in Frankreich", lautet sein Urteil.

Es ist ein Prozess für die Geschichtsbücher - und für die Opfer. "Die Nebenkläger erwarten, dass die Schuld von Carlos festgestellt wird", sagt Anwalt Georges Holleaux, der 18 Nebenkläger vertritt.

"Carlos" war lange Zeit ein Mythos des internationalen Linksterrorismus, er hielt Europa und den Nahen Osten mit zahlreichen Anschlägen in Atem. Der Sohn eines marxistischen Anwalts sieht sich selbst als Kämpfer der "palästinensischen Sache". Ein einstiger Weggefährte beschrieb ihn in einem früheren Prozess als eiskalten Killer, selbstverliebt und größenwahnsinnig.

"Er versteht es meisterhaft, Menschen zu verführen und zu manipulieren", sagte "Carlos'" frühere deutsche Ehefrau Magdalena Kopp einmal über ihn. Die beiden waren 1978 ein Paar geworden und hatten 1991 geheiratet. Ein Jahr später ging die Beziehung in die Brüche; Kopp starb vor zwei Jahren. Der zum Islam konvertierte "Carlos" heiratete 2001 in einer religiösen Zeremonie ohne Rechtskraft seine Anwältin Isabelle Coutant-Peyre, die ihn auch jetzt wieder verteidigt.

Die spektakulärste Aktion eines "Carlos"-Kommandos war der Überfall auf die Konferenz der Opec-Ölminister 1975 in Wien, bei dem drei Personen erschossen wurden. Erst 1994 wurde der Venezolaner im Sudan gefasst und nach Frankreich gebracht - seine Verteidiger sprechen bis heute von einer "Entführung". Bereits zweimal haben französische Gerichte "Carlos" seitdem zu lebenslanger Haft verurteilt: Wegen eines Dreifachmords im Jahr 1975 und einer Anschlagsserie mit elf Toten Anfang der 1980er-Jahre.

Mit Granaten-Attacke wird er 1974 zum Mörder

Nach Auffassung der Anklage soll Carlos aber bereits vorher zum Mörder geworden sein: mit der Granaten-Attacke am 15. September 1974. Die Ermittler gehen davon aus, dass "Carlos" mit der Attacke zusätzlichen Druck auf die Pariser Regierung aufbauen wollte - zwei Tage zuvor hatte ein japanisches Terror-Kommando in der französischen Botschaft in Den Haag Geiseln genommen, um einen Häftling freizupressen.

Schon beim Prozessauftakt wird deutlich, dass es kein einfaches Verfahren wird. Die Tat liegt lange zurück, eine Reihe von Zeugen sind gesundheitlich angeschlagen, nicht auffindbar oder gar tot. Ein "Zeugen-Friedhof", schimpft Verteidiger Francis Vuillemin. Die Strategie der Verteidigung ist klar, sie will den langen Zeitraum als zentrales Argument nutzen und hält die Tat ohnehin für verjährt. 1999 war die Strafverfolgung zu dem Anschlag schon eigentlich eingestellt worden - erst nach jahrelangem juristischen Tauziehen gelang es Staatsanwaltschaft und Nebenklage, doch noch einen Prozess durchzusetzen. Er soll drei Wochen dauern.

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"Carlos - Der Schakal"
DPA
Sebastian Kunigkeit

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