Menschen vor Gericht Eine Mutter kauft einen gefälschten Impfpass. Aus Angst und Verzweiflung, sagt sie

Eine Apothekerin hält einen Impfpass aus Papier in der Hand und gibt die Daten in einen Computer ein
Als eine Apothekerin den Impfpass der Frau digitalisieren wollte, stellte sie die Fälschung fest (Symbolbild)
© localpic / Imago Images
Eine 29-Jährige aus Hamburg hat einen gefälschten Impfpass gekauft. Sie habe aus Verzweiflung gehandelt, sagt die alleinerziehende Mutter vor Gericht. 

"Ich bin keine Corona-Leugnerin", sagt die Angeklagte H. Der Grund, weshalb sie an diesem Dienstag in Saal 0.39 im Amtsgericht St. Georg in Hamburg sitzt, hat auch schon den ein oder anderen Corona-Leugner in deutsche Gerichtssäle geführt. Bei H., einer 29-jährigen alleinerziehenden Mutter, stecken dahinter kein Querdenken und keine Ideologie, sondern, so sagt sie, "Angst" und "Verzweiflung". 

Sie sitzt in diesem Gerichtssaal, die Haare von einem schwarzen Kopftuch bedeckt, Nase und Mund von einer schwarzen FFP2-Maske, weil sie Ende 2021 am Steindamm unweit des Hamburger Hauptbahnhofs einen gefälschten Impfausweis gekauft hat. Für 200 Euro. Sie habe den Mann nicht gekannt, aber gesehen, wie er einer anderen Person einen Impfpass verkaufte. Da sei sie auf ihn zugegangen. "Eine Kurzschlussreaktion", erzählt H. mit fester, schneller Stimme. 

Verschärfte Corona-Bedingungen brachten sie in Bedrängnis

Als sie wenige Tage später in einer Apotheke versucht, den Ausweis digitalisieren zu lassen, wird die Apothekerin stutzig. Sie wählt die angegebene Nummer der Praxis und landet im Leeren. Als sie den Namen des Arztes googelt und die eigentliche Telefonnummer findet, bestätigt dieser, dass Fälschungen im Umlauf seien. Bei diesem Ausweis handle es sich vermutlich auch um eine. Die Apothekerin ruft die Polizei. 

H. sagt, ihre Beweggründe mögen für den ein oder anderen banal klingen. Ihr jüngeres Kind habe ein Handicap, sie müsse regelmäßig zur Physiotherapie. Doch das geht für die Mutter im November 2021 nur noch unter 2G-Bedingungen. H. ist zu dem Zeitpunkt aber weder geimpft noch genesen. Zum Schulweg des älteren Kindes gehört zudem eine Bahnfahrt unter 3G-Bedingungen. Für H. würde das regelmäßige Tests bedeuten. "Auf einmal war da ein immenser Druck", sagt sie. 

Ein einfacher Ausweg wäre die Impfung gewesen. Doch die kommt damals nicht für sie in Frage, auch wenn ihr Umfeld dazu rät. Ihre Familie – ja, alle – hätten gesagt, sie solle sich impfen lassen. "Aber ich hatte Angst, dass meine Kinder darunter leiden, wenn ich Impfschäden habe. Und ich hatte Angst vor Nebenwirkungen". Also greift sie zum gefälschten Pass. 

"Ich habe das Problem mit etwas Falschem gelöst. Das sehe ich auch total ein", sagt sie mit Nachdruck in der Stimme. War es zuvor die Angst vor Impfschäden und Nebenwirkungen, ist es jetzt die Sorge um Geld, die ihr zu schaffen macht. Sie schluckt, als sie nachfragt, ob sie die Verfahrenskosten selber zahlen müsse. Die Alleinerziehende ist Studentin, sie bezieht Bafög. 

Richterin: "Sie waren in einer totalen Zwickmühle"

Die Staatsanwaltschaft sieht ursprünglich eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 30 Euro wegen Urkundenfälschung vor. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Angeklagten reduziert sie das geforderte Strafmaß auf 60 Tagessätze à 10 Euro. So lautet schließlich auch das Urteil der Richterin.

Die sagt über die Lage von H.: "Sie waren in einer totalen Zwickmühle." Die Angeklagte sei in einer Notsituation gewesen. Zu ihren Gunsten sei zu sehen, dass sie geständig sei und nicht vorbestraft. Das habe sowohl die Staatsanwaltschaft und als auch sie als Richterin dazu bewogen, vom Strafbefehl Abstand zu nehmen. Die 60 Tagessätze seien "ganz am unteren Ende des Möglichen". Zahlen kann die Angeklagte den Betrag in Fristen von 30 Euro pro Monat. Hinzu kommen die Verfahrenskosten, ebenfalls zahlbar in Raten. Und der gefälschte Impfpass wird eingezogen. 

Bald erhält H. ohnehin einen echten. Eigentlich hätte sie inzwischen längst einen: Sie habe sich am Ende doch dazu entschieden, sich impfen zu lassen und Anfang Januar einen Termin ausgemacht. Doch ausgerechnet an diesem Tag, H. lacht kurz auf – ihr muss in diesem Moment die bittere Absurdität dieser Geschichte bewusst werden – bekommt sie hohes Fieber. Sie ruft die Corona-Hotline, macht einen Test. Positiv. "Ich hatte Atemnot. Ich hatte Panik", sagt sie. Das war vor drei Monaten, ihr Genesenenstatus läuft bald aus. Einen Impftermin habe sie schon. Für den 7. April. 

Die Angeklagte hat eine Woche Zeit, um gegen das Urteil Revision einzulegen. 

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