Halberstadt-Prozess Solidarische Kameraden

  • von Lars Radau
Im Prozess um den brutalen Neonazi-Überfall auf Theaterschauspieler in Halberstadt treten die Angeklagten und ihre Kameraden sehr selbstbewusst auf - während die Opfer noch heute spürbar unter den psychischen Folgen leiden.

Der Ton von Richterin Gabi Bunzendahl wird scharf, fast schneidend. "Was soll denn das?" Sie weist die Justizbeamten an, sofort die Personalien der beiden glatzköpfigen Männer festzuhalten, die noch in der Ausgangstür des großen Gerichtssaales des Magdeburger Landgerichts stehen. Die beiden, an ihrer Kleidung und einigen Tätowierungen unschwer als Mitglieder der rechten Szene erkennbar, hatten sich ungeniert neben dem Angeklagten Stephan L. aufgebaut und wollten anfangen, ein Schwätzchen zu halten. Die Köpfe der Staatsanwälte, Verteidiger und Zeugen, die sich um den Richtertisch scharen, um eine Skizze zu betrachten, fliegen herum. Die Zeit, bis die schwarzgekleideten Wachtmeister L's Kameraden aus dem Raum zu drängen beginnen, nutzen die beiden noch für einen Handschlag, ein triumphierendes Lächeln und unverständliche Beschimpfungen in Richtung Bunzendahl.

Am Dienstag, zum Auftakt des Prozesses um den brutalen Überfall auf Halberstädter Theaterschauspieler im Juni, der aufgrund des großen Publikumsinteresses jetzt in Magdeburg verhandelt wird, hatte sich die Szene noch zurückgehalten. Jetzt, am zweiten Verhandlungstag, sind die beiden letzten Zuschauerreihen voll besetzt mit mutmaßlichen Gesinnungsgenossen der Angeklagten Christian W., David O., Tobias L. und Stephan L.

Die Angeklagten geben sich selbstbewusst

Entsprechend selbstbewusst geben sich die Angeklagten, denen die Staatsanwälte Harald Sehorsch und Bodo Mattstedt schwere Körperverletzung vorwerfen. Der 29-Jährige David O. etwa trägt auch in der Verhandlung Flecktarnhose und behält seine dunkle Sonnenbrille auf. Sein Verteidiger Jan-Robert Funck begründet das damit, dass seinem Mandanten in der Untersuchungshaft die normale Brille kaputt gegangen sei - und er ohne Sehhilfe nichts erkenne. Die Sonnenbrille hilft zumindest, die Kameraden zu finden - und ihnen ab und an spöttische Grimassen zu präsentieren. Die geschädigten Musiker und Tänzer dagegen mustert O. dagegen ausgesprochen kalt, mit zusammengekniffenen Lippen und verächtlich heruntergezogenen Mundwinkeln.

So wird der Kontrast zwischen Tätern und Opfern noch augenfälliger: Der Sänger und Tänzer Timo Bendszus ringt bei seiner Schilderung des Überfalls hörbar um Fassung, muss mit seiner Anwältin Frauke Steuber kurz vor die Tür gehen, um sich wieder zu sammeln. An jenem Juniabend bekam er als erster die Faust des mutmaßlichen Haupttäters Christian W. zu spüren, erlitt mehrere stark blutende Platzwunden im Gesicht. Die waren schnell genäht - die psychischen Folgen des Angriffs belasten den großen, schlanken 22-Jährigen noch heute.

Nervenzusammenbruch hinter der Bühne

Als er Mitte September wieder mit der "Rocky Horror Show", nach deren Premiere die Ensemblemitglieder des Nordharzer Städtetheaters überfallen worden waren, in Halberstadt auf der Bühne stand, erlitt er hinterher einen Nervenzusammenbruch. Im Publikum auf dem Marktplatz, auf dem das Harzstädtchen ein Zeichen gegen Rechts setzen wollte, hatte er mehrere Gestalten mit Glatzen und schwarzen Kapuzenshirts ausgemacht. Viel mehr hatte er auch beim Überfall nicht von den Angreifern gesehen. Das Bild, wie die "schwarzen Gestalten" auf seine Freunde und Kollegen einschlugen und eintraten, habe sich allerdings in seinem Kopf "festgebrannt", betont er.

Seine Psychologin attestiert Bendszus eine posttraumatische Belastungsstörung - und will ihn auch weiterhin behandeln. Für den 22-Jährigen ist die Teilnahme am Prozess, sein Engagement als Nebenkläger, auch deshalb wichtig. "Es ist für mich einerseits sehr belastend", sagt er, als der Vorsitzende Richter Holger Selig nach seinem Befinden fragt, "andererseits will ich mich von denen auch nicht besiegen lassen." Deswegen habe er auch schnell wieder Abstand davon genommen, aus Halberstadt wegzuziehen. "Mit dem Gedanken hatte ich unmittelbar nach dem Überfall schon gespielt."

"Keine Punks und keine Nazis"

Das geht Alexander Junghans ähnlich. Der schmächtige 22-Jährige, der sich in jener Nacht einen Nasenbeinbruch einhandelte, hatte sich nach dem Überfall im Krankenwagen sogar bei Bendszus entschuldigt. Schließlich sei sein roter Irokesenschnitt, den er auch heute noch trägt, wohl der Anlass für den Überfall gewesen. Staatsanwalt Sehorsch jedenfalls spricht in seiner Anklageschrift davon, dass die Theater-Leute "ausschließlich deshalb angegriffen und misshandelt wurden, weil sie aufgrund ihres Aussehens der linken Szene zugeordnet" worden seien. Mit diesem Argument hatte auch der Türsteher der Halberstädter Kneipe "Spucknapf", in dem die Ensemble-Mitglieder gegen drei Uhr morgens ihre Premiere weiterfeiern wollten, Junghans den Einlass verweigert. In den Laden kämen "keine Punks und keine Nazis", habe er erklärt, erinnert sich Junghans.

Daraufhin habe die ganze Gruppe beschlossen, draußen zu bleiben. Dass aber einige der möglicherweise bis zu acht rechten Angreifer ausgerechnet aus Richtung des oder gar direkt aus dem "Spucknapf" kamen, können weder Alexander Junghans noch Timo Bendszus ausschließen. Während Bendszus nach dem Gesichts-Treffer von Christian W. außer Gefecht gesetzt war, bekam Junghans fast parallel einen Schlag an die Schläfe. "Da war ich kurzzeitig ausgeknockt".

Keiner will sich an das "Gerangel" erinnern

Entsprechend wenig können die beiden Geschädigten zur Rekonstruktion des exakten Tatgeschehens - Wer tat was wann? - beitragen. Das wiederum kommt den Anwälten der einschlägig vorbestraften David O., Tobias L. und Stephan L. durchaus entgegen. Denn der mutmaßliche Haupttäter Christian W. hatte in einer Erklärung zu Prozessbeginn nicht nur seinen Schlag ins Gesicht von Timo Bendszus eingeräumt, sondern auch ausgesagt, dass die drei ehemaligen Kameraden auf der Anklagebank in dem entstehenden "Gerangel" dabei gewesen seien. Was genau sie dort gemacht haben - daran will er sich nicht erinnern können.

Zumindest zurzeit nicht. Sein Anwalt hatte bei der Staatsanwaltschaft nach der Möglichkeit einer milderen Bestrafung gefragt, wenn sein Mandant umfassend auspacke. Das, betont Staatsanwaltschaft Sehorsch, allerdings erst, nachdem die Behörden eine Nachricht W's aus der Untersuchungshaft abgefangen hatten, in der er seine Frau dazu auffordert, Entlastungszeugen oder einen Alibi-Geber aus der rechten Szene zu organisieren. Einer der in dem Kassiber genannten Kameraden und möglichen Helfer sitzt zu Sitzungsbeginn mit verschränkten Armen und breitem Grinsen im Publikum. Sichtlich erbost lässt Staatsanwalt Sehorsch den potenziellen Zeugen aus dem Saal weisen. Die Justizbeamten müssen nicht aktiv werden - seine Personalien stehen längst in den Akten.

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