Werner Siebers hat sichtlich Mühe, ein zufriedenes, breites Grinsen zu unterdrücken. "Wir sind uns also einig, dass das eine unglaublich dumme Provokation war?", fragt der Braunschweiger Rechtsanwalt mit erhobener Stimme. Alexandra M., sonst alles andere als auf den Mund gefallen, rutscht ein Stück im Zeugenstuhl zusammen und nickt. Schweigend. Die schwarzhaarige, selbstbewusste 19-Jährige ist bereits das fünfte von insgesamt sieben Ensemblemitgliedern des Nordharzer Städtebundtheaters, die im Prozess um den Überfall auf Schauspieler und Musiker der "Rocky Horror Show" als Zeugin und Nebenkläger auftreten.
Die Schlägerei vor der Halberstädter Kneipe "Spucknapf" Anfang Juni hatte bundesweit Aufsehen erregt - weil es sich bei den mutmaßlichen Tätern um stadtbekannte Neonazis handelte. Und weil - das wird im Verlauf der Vernehmung M's. im großen Saal des Magdeburger Landgerichts, in dem das zuständige Amtsgericht Halberstadt wegen des großen Publikumsinteresses tagt, deutlich - die Schauspieler mit ihren Unterstützern ungleich virtuoser auf der Klaviatur der öffentlichen Meinung spielen können als die vier einschlägig vorbestraften Rechtsradikalen auf der Anklagebank.
Dazu gehört zum Beispiel, dass es die Schauspieler bislang nicht an die große Glocke gehängt haben, dass der geständige mutmaßliche Haupttäter Christian W. zumindest in einem Punkt seiner zum Prozessauftakt verkündeten Erklärung Recht hatte. Er habe, ließ Christian W. seinen Anwalt verlesen, sich durch Gelächter aus der Schauspieler-Gruppe provoziert gefühlt. In der Annahme, die aus dem Stimmengewirr heraushörbaren Worte "Schwuler" oder Schwuchtel" hätten ihm gegolten, sei er ausgerastet. Dass er damit nicht ganz falsch lag, bestätigt Alexandra M. indirekt. Sie sei mit einem Kollegen und einer Kollegin etwas vorausgelaufen, als einige Ensemblemitglieder nach der gemeinsamen Premierenfeier beim Griechen durch das nächtliche Halberstadt schlenderten, um im "Spucknapf" weiterzufeiern. Kurz vor der Kneipe habe sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite, auf den Treppen und an die Säulen eines ehemaligen Klubhauses gelehnt, vier oder fünf dunkel gekleidete Männer wahrgenommen, die sie anhand ihrer kurzen Haare, Glatzen und Springerstiefel als "Rechte" eingeordnet habe. "Die haben uns feindselig gemustert", erinnert sich Alexandra M., "ich habe die Situation durchaus als unangenehm empfunden".
Am "Spucknapf" fanden die Schauspieler keinen Einlass - weil eines der Ensemblemitglieder für seine Rolle einen roten Irokesenschnitt trug. "Wir sind dann zu dritt vorausgegangen, weil ein Teil der Gruppe noch mit dem Türsteher diskutierte", erzählt Alexandra M. Dabei habe ihre Kollegin wohl einer der Gestalten auf den Treppen zugerufen, was er denn so gucke und hinzugefügt "Bist Du schwul, oder was?". Dies, schiebt M. schnell hinterher, meine die Kollegin aber nicht im Sinne von homosexuell, sondern eher als flapsige Beschreibung von "komisch" oder "anders". "Wer sie kennt, nimmt das auch nicht sonderlich ernst", betont die Schauspielerin.
Genau hier hakt Rechtsanwalt Siebers wieder ein. Er ist Verteidiger von Stephan L., der nach Aussage von Christian W. im auf das Wortgefecht und seinen Ausraster folgende "Gerangel" mittendrin dabei war. Dessen Ergebnis: ein Nasenbeinbruch, mehrere ausgeschlagene Zähne und etliche Prellungen bei den Schauspielern. Mit schneidender Ironie fragt er: "Und wenn man die Kollegin nicht kennt? Und dazu noch ein stumpfer, stiernackiger Rechtsradikaler ist?" Könne man die Frage dann "unter Umständen möglicherweise eventuell sogar" als Beleidigung auffassen? Alexandra M. nickt - und erweist damit der Strategie der Verteidiger von Christian W´s. drei Mitangeklagten Tobias L, David O. und Stephan L. einen großen Dienst. Denn, so der Tenor der Anwälte, einen wirklich politischen Hintergrund für den Angriff gebe es keinesfalls. Ganz abgesehen davon, dass die Beteiligung ihrer Mandanten bislang noch nicht "mit einem noch so kleinen Stückchen Beweis" belegt sei, betont Siebers.
Tatsächlich konnte bislang keines der befragten Ensemblemitglieder bis auf den mutmaßlichen Haupttäter Christian W. weitere Beteiligte eindeutig benennen oder gar im Detail aufklären, wer wann wie hart zugeschlagen oder zugetreten hat. Fest steht indes, dass die Neonazis vom Klubhaus noch Unterstützung von der anderen Straßenseite, aus Richtung des "Spucknapf"-Parkplatzes bekamen. Bis zu zehn Angreifer, sagen die Schauspieler übereinstimmend, hätten ihre Gruppe aufgemischt. Einen davon will Alexandra M. allerdings genau erkannt haben. Sie sei vor der Schlägerei dicht an ihm vorbeigegangen, sein Gesicht habe sich ihr besonders eingeprägt. Unter den Verdächtigen-Fotos, die ihr Polizisten bei zwei oder drei Befragungen unmittelbar nach dem Überfall vorgelegt hätten, sei er allerdings nicht dabei gewesen. "Die Beamten haben dann nach meiner Beschreibung im Computer gesucht und mir etwa 200 weitere Kandidaten vorführen wollen", erzählt die Schauspielerin. Doch schon nach etwas über vierzig Fotos habe sie "ihren" Täter "mit hundertprozentiger Sicherheit" identifiziert. Und sei jetzt "sehr verwundert", dass er nicht auch mit auf der Anklagebank sitze.
Das ist exakt der Augenblick, in dem sich die
Ankläger Bodo Mattstedt und Harald Sehorsch ebenfalls sehr verwundert anschauen. In der Pause, die Richter Holger Selig wenig später nach fast dreieinhalb Stunden Verhandlung einlegt, telefoniert Staatsanwalt Sehorsch hektisch. Und erklärt später lediglich lapidar, der von Alexandra M. Beschuldigte sei bislang "noch nicht einschlägig in Erscheinung getreten". Spätestens in diesem Moment weicht das Grinsen aus Werner Siebers Gesicht - der Anwalt schüttelt demonstrativ den Kopf.