Claudia Pechstein schreibt wieder Schlagzeilen. Nicht als ehemalige Weltklasse-Eisschnellläuferin, sondern als Rednerin. Auf dem CDU-"Grundsatzkonvent" am Samstag hielt sie einen Impulsvortrag, der für Aufsehen sorgte – und für Kritik. Aus mehreren Gründen.
Pechstein, seit mehr als drei Jahrzehnten Bundespolizistin, trat in Uniform ans Rednerpult. Hat die Beamtin damit gegen das Mäßigungsgebot und Neutralitätspflicht verstoßen? Die Bundespolizei wolle den Vorgang prüfen. Pechstein selbst sagt, sie habe sich vorher die Erlaubnis von einem Vorgesetzten geholt. Kritik entzündete sich aber insbesondere an ihren Aussagen. In ihrer Rede zog sie einen Zusammenhang zwischen nicht-abgeschobene Asylbewerbern und dem Sicherheitsgefühl der Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Außerdem sagte sie, dass Kinder eine "traditionelle Familie" bevorzugten. "Sie wollen Mama und Papa", so Pechstein.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Pechstein über den Sport hinaus äußert – und mit ihrer Wortwahl polarisiert. Als sie 2016 vorm Bundesgerichtshof mit einer Schadenersatzklage scheiterte, beschwerte sie sich: "Jeder Flüchtling, der in Deutschland einreist und registriert wird, genießt Rechtsschutz. Aber wir Sportler nicht." Pechstein war 2009 zu Unrecht wegen Dopings zwei Jahre gesperrt worden und wollte dafür Verdienstausfall geltend machen – der BGH wies ihre Klage zurück. Zuvor hatte sie jahrelang ihre Unschuld beteuert. Erst 2014 bescheinigte ihr eine medizinische Kommission, dass sie tatsächlich an einer höchst seltenen Blutanomalie leide, die die positiven Dopingtest erklärte.
Claudia Pechstein für die CDU zur Bundestagswahl
Jahre später trat sie auf Bitten der CDU bei der Bundestagswahl 2021 im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick an. Die Hauptstadt-Union suchte nach einem prominentem Gesicht, um einen Kontrapunkt zum Dauersieger Gregor Gysi zu setzen. Pechstein machte gerne mit.
Seinerzeit sprach sie unter anderem mit der "Welt am Sonntag" über die Hintergründe ihres politischen Engagements. Demnach habe sie ein Leitsatz von Altkanzler Helmut Kohl für die Christdemokraten begeistert: "Leistung muss sich wieder lohnen". Darum habe sie der Union auch 2004 als Wahlfrau bei der Wahl zum Bundespräsidenten unterstützt, später auch aktiv bei Bundestagswahlen.
Schon im Mai 2021, als der besagte Artikel veröffentlicht wurde, bezeichnete Pechstein die innere Sicherheit als ein wichtiges Thema. Demnach gehöre es zu den Alltagsproblemen vieler Menschen, wurde sie von der "Welt am Sonntag" indirekt zitiert, die öffentlichen Verkehrsmittel ohne ängstliche Blicke nach links und rechts werfen zu müssen. "Darüber wird viel zu wenig gesprochen", beklagte Pechstein. "Hier für Verbesserungen zu sorgen, sollte uns 100-mal wichtiger sein, als darüber nachzudenken, wo wir das nächste Gendersternchen setzen, ob ein Konzert noch deutscher Liederabend heißen darf oder ob es uns noch erlaubt ist, Indianerhäuptling zu sagen."
Markige Worte, die große Ähnlichkeit zu ihren Äußerungen beim CDU-Konvent aufweisen. Tatsächlich verwendete sie den letzten Teil der Aussage von 2021 am vergangenen Samstag fast wortgleich. Nur ist der "Indianerhäuptling" nach zwei Jahren zum "Zigeunerschnitzel" geworden. Das Wahlvolk hat sie damit schon 2021 in Berlin nicht überzeugt: Sie hatte gegen den Linken-Star keine Chance und landete mit 13,5 Prozent sogar hinter der SPD-Kandidatin auf dem dritten Platz.
Als Eisschnellläuferin war sie erfolgreicher. Sie legte eine außergewöhnliche Karriere mit fünf olympischen Goldmedaillen und acht Olympia-Teilnahmen hin. Ihr sportlicher Triumph gereichte ihr beim CDU-Konvent nun zur Kritik: Dass sie mit 51 Jahren immer noch Deutsche Meisterin sei, spreche nicht für sie, sondern gegen die Leistungswillen des Nachwuchses.

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CDU ringt um grundsätzlichen Kurs
Die Einladung Pechsteins zum CDU-Konvent sei eine "gemeinsame Idee der Führung in Vorbereitungsrunden" gewesen, heißt es am Montag aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Pechstein sei als "bekannte Repräsentantin" zum Thema Breitensport eingeladen gewesen, ist aus der Parteizentrale zu hören. Dass die Eisschnelläuferin schließlich auch über Asyl- und Familienpolitik ausholen sollte, kann die Führung allerdings kaum überrascht haben. Schon in der Vergangenheit ist die Olympionikin mit kontroversen Aussagen jenseits der Sportpolitik aufgefallen, auch im Zusammenhang mit Flüchtlingen.
Man habe verschiedene Vertreter der Zivilgesellschaft einladen wollen, damit diese ihre Perspektiven einbringen könnten, heißt es in der Parteizentrale. Das hat Pechstein zweifellos getan. Allerdings wird in der CDU darüber gestritten, ob es sich dabei um einen spannenden Impuls von außen handelt oder um eine unnötige Provokation, die nun ein unschönes Schlaglicht auf die Christdemokraten wirft. In jedem Fall dürfte der Pechstein-Auftritt den Richtungsstreit in der CDU zusätzlich befeuern.
Derzeit ringen die Christdemokraten um ihren grundsätzlichen Kurs, nicht zuletzt sollte es beim "Grundsatzkonvent" am Samstag – auf dem Pechstein ihre Rede hielt – über die inhaltliche Neuaufstellung der Partei nach 16 Jahren an der Regierung diskutiert werden. Gestritten wird dabei auch über die Frage, mit welcher Sprache die CDU sprechen soll. Denn obwohl die Ampel-Koalition gerade viel Energie darauf zu verwenden scheint, die Wähler zu verschrecken, kann die CDU vom Dauerkrach der Bundesregierung nicht profitieren – während die Umfragewerte für die AfD steigen.
Die einen wollen dem Erstarken der Rechtspopulisten nun mit einer deutlicheren Ansprache beikommen, die auch auf "einfache Botschaften" (Fraktionsvize Jens Spahn) setzt. Parteichef Friedrich Merz sagte auf dem Konvent, die Partei müsse auch in der Lage sein, "Probleme zu adressieren – auch mal mit Formulierungen, die nicht jedem gefallen". Das sei "dann nicht gleich rechts", auch "nicht gleich rassistisch" oder "AfD-Sprech". Andere CDU-Politiker mahnen hingegen zu einer "Politik mit dem Herzschlag der Mitte" (NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst) und warnen, dass "populistisches Draufhauen" (Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther) der Partei nicht helfen werde.
Gespalten zeigen sich die Christdemokraten auch in der Bewertung des Pechstein-Auftritts. CDU-Chef Merz lobte diesen als "brillant", der Inhalt der Rede sei "wirklich interessant" gewesen und habe "uns auch ein Stück motiviert, in diese Richtung weiterzuarbeiten". Ebenso Thüringens CDU-Chef Mario Voigt zeigte sich begeistert. Er sei "froh, dass sie auf unserem Grundsatz-Konvent klare Worte gefunden hat", schrieb er auf Twitter. Das mache eine Volkspartei aus.
Der frühere Innenminister Thomas De Maiziére betonte im ZDF, dass die CDU eine Partei der bürgerlichen Mitte sei. Durch Populismus werde die Mitte "eher abgestoßen", das sei weder demokratisch noch taktisch gut. Gefragt nach Pechsteins Äußerungen zu Asylbewerbern, sagte der CDU-Politiker: "Ich hätte ihr diese Formulierung nicht empfohlen." Karin Prien, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und stellvertretende Parteivorsitzende, lobte zwar einen "exzellenten" Konvent. Aber: "C. Pechstein sollte ihre Perspektive zu Sport und Ehrenamt beitragen". Weiterführende Äußerungen hätte Prien offenbar nicht gebraucht.