Übergriffe in Halberstadt Ein Rechtsextremer zeigt Reue

  • von Lars Radau
Im Juni hatten Rechtsextreme in Halberstadt eine Theatergruppe überfallen und auf die Schauspieler eingeprügelt. Beim Prozessauftakt in Magdeburg hat sich sich der mutmaßliche Haupttäter des Überfalls heute entschuldigt - und angekündigt, dass er auspacken will.

Genau vier Monate nach dem brutalen Überfall auf Theaterschauspieler in Halberstadt stehen die mutmaßlichen Täter in Magdeburg vor Gericht. Während drei der vier der rechtsextremen Szene zugerechneten Angeklagten zum Prozessauftakt jegliche Aussage verweigerten, ließ der mutmaßliche Anführer seinen Anwalt eine Erklärung verlesen: Das "Gerangel" tue ihm leid - und außerdem sei er dabei, sich von der Neonazi-Szene zu lösen.

Der Übergriff hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt: Am 9. Juni waren in Halberstadt Ensemblemitglieder des Nordharzer Städtetheaters auf dem Heimweg von der Premierenfeier der "Rocky Horror Show" überfallen und zusammengeschlagen worden. Für fünf der vierzehn Schauspieler, Musiker, Tänzer und Statisten endete der Abend im Krankenhaus. Bilanz: unter anderem ein gebrochenes Nasenbein, einige ausgeschlagene Zähne, etliche Prellungen - und das Gefühl, "sich abends nicht mehr sicher durch die Straßen bewegen können." So beschreibt es jedenfalls der Franzose Julian Avril, der im großen Gerichtssaal des Landgerichts Magdeburg, wo das zuständige Amtsgericht Halberstadt wegen des großen Zuschauer- und Medienandrangs tagt, das erste Mal seit vier Monaten wieder auf die einschlägig vorbestraften Christian W., David O., Tobias L. und Stephan L. trifft.

Kurzhaarige Bekannte zwinkernd begrüßt

Als die vier in den Saal geführt werden, wendet Avril seinen Blick demonstrativ zur Wand. Auch die Angeklagten schirmen sich mit dunklen Sonnenbrillen und tief in die Stirn gezogenen Kapuzen ab - allerdings eher vor den zahlreichen Kamerateams und Fotografen, die Bilder vom Auftakt des bis Ende Januar terminierten Prozesses machen wollen. Kaum sind die Medienvertreter aus dem Raum, fallen Kapuzen und Brillen, Stephan L. und Tobias L. zwinkern vertrauten Gesichtern im Zuschauerraum zu. Dort, in der letzten Reihe, haben sich mehrere Jugendliche niedergelassen, die mit ihren kurzen Haaren, Flecktarnhosen und Lonsdale-Jacken offenbar Bekannte aus der rechten Szene sind.

In der, heißt es sogar beim sachsen-anhaltischen Verfassungsschutz, habe der 22-jährige Christian W. bereits weit vor dem Überfall eine "nicht ganz so kleine Rolle" gespielt. Zumindest in dem etwas mehr als 40.000 Einwohner zählenden Harzstädtchen Halberstadt. Aktenkundig sind unter anderem Beschwerden über laute Neonazi-Musik aus seiner Wohnung, das Hissen einer Hakenkreuzfahne mitten im Ort - gemeinsam mit sieben "Kumpels" - und die Teilnahme an Demonstrationen der NPD-Jugendorganisation JN. Die Prozesstaktik von seines Anwalts schreibt W. aber offenbar eine andere Rolle zu: Die des zu Hause nicht gut aufgehobenen, hyperaktiven Jungen, der vor allem wegen des "guten Zusammenhalts" in der Szene gelandet sei und "eigentlich eher unpolitisch" ist. So zumindest heißt es in der Erklärung, die Verteidiger Jens Glaser für seinen Mandanten zu Protokoll gibt. Danach sei W. am Tatabend - nach der Geburtstagsfeier seines Bruders und etlichen Bieren und Schnäpsen - vor allem alkoholbedingt ausgerastet, nachdem er sich von den vorbeilaufenden Theaterschauspielern durch eine Bemerkung provoziert gefühlt habe.

Überprüft, aber freigelassen

Wie seine Kumpels David O., Tobias L. und Stephan L. in das entstehende "Gerangel" gekommen seien - daran will sich W. nicht mehr erinnern können. Wohl aber, dass sie dabei waren - auch aufgrund seiner Hinweise wurden die drei bereits wenige Tage nach der Tat verhaftet. Christian W. selbst war unmittelbar nach dem Überfall geflüchtet, dann aber zum Tatort zurückgekommen. Laut der Anklageschrift, die Staatsanwalt Harald Sehorsch routiniert vorträgt, hatte er dort noch einer Zeugin ins Gesicht gespuckt und war wieder davongeradelt. Warum das möglich war, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits Polizei und mehrere Krankenwagen vor Ort waren, W. selbst zwischendurch sogar von Streifenbeamten überprüft wurde - und, obwohl nur auf Bewährung auf freiem Fuß und selbst von der Prügelei gezeichnet, wieder laufen gelassen worden war -, beschäftigt mittlerweile auch einen Untersuchungsausschuss des sachsen-anhaltischen Landtages.

Anwalt Glaser jedenfalls müht sich, seinen Mandanten als geläutert darzustellen. Er wolle aus der rechten Szene aussteigen und sei darüber hinaus bereit, umfassende Aussagen über die Neonazi-Szene Halberstadts zu machen, heißt es in der Erklärung. Dass er dafür als "Verräter" gebrandmarkt werde und im Gefängnis bereits von Mitgefangenen malträtiert wurde, nehme er in Kauf. Im Gegenzug hoffe er auf ein mildes Urteil.

Freundin sollte Zeugen suchen

Tatsächlich, bestätigt Staatsanwalt Harald Sehorsch, habe er im Gespräch mit Anwalt Glaser vor Prozessbeginn Verhandlungsbereitschaft angedeutet - wenn W. denn komplett auspacke und zudem auch die Namen der vier weiteren am Überfall beteiligten Neonazis nenne, die bislang noch nicht ermittelt sind. Doch davon ist in W.s Erklärung keine Spur. Sehorschs Gesicht zeigt deutlich, dass er von der Einlassung nicht überzeugt ist. Dazu beigetragen haben dürfte wohl auch, dass W. erst auf die Behörden zugekommen war, nachdem Justizbeamte in der Untersuchungshaft eine Nachricht abgefangen hatten, in dem er seine damalige Freundin und heutige Frau dazu auffordert, in der Halberstädter Szene zehn bis fünfzehn Zeugen dafür zu organisieren, dass "die Theater-Leute die Prügelei angefangen" hätten.

In seiner Klageschrift geht der Staatsanwalt davon aus, dass vielmehr vier die 22 bis 29 Jahre alten Angeklagten eine "gemeinschaftlich begangene Körperverletzung" initiiert hätten. Diese indes will Richter Holger Selig "nach Lage der Akten derzeit nicht sehen". Es habe "keinen gemeinsamen Tatplan" gegeben, hatte er bereits in seinem Eröffnungsbeschluss festgestellt. Dies brachte die Anwältinnen Martina Arndt und Undine Weyers, die zwei der insgesamt sieben als Nebenkläger auftretenden Ensemblemitglieder vertreten, in Rage. "Der Überfall hat stattgefunden, weil die Angeklagten unsere Mandanten aufgrund ihres Aussehens für Linke gehalten haben", betont Weyers. Und um denen eine Abreibung zu verpassen, brauche es aus Sicht der Neonazis wohl kaum eine explizite, womöglich noch schriftliche Planung. "Das ist inhärent - da läuft eben der Feind".

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