Piratenprozess in Hamburg "Dann bin ich in Deckung gegangen"

  • von Manuela Pfohl
Nur ungefähr fünf Minuten habe der Angriff auf sein Schiff gedauert, berichtet der Kapitän der "Taipan" im Hamburger Piratenprozess. Dass er und seine Mannschaft in Lebensgefahr waren, sei ihm gar nicht bewusst gewesen.

Sie hatten sich auf alles vorbereitet: Stacheldrahtrollen über das Deck gezogen, aus den Feuerlöschrohren schoss seit Stunden das Wasser, um möglichen Angreifern zu signalisieren, dass die "Taipan" sich wehren und jeden Piraten mit den Wassermassen von Bord fegen würde. Und dann kam doch alles ganz anders. Am 5. April 2010 kapern somalische Piraten das deutsche Containerschiff, und die Besatzung kann nichts dagegen tun. Als Schüsse das Glas der Brücke durchschlagen, schickt Kapitän Dierk Eggers seine 15 Mann in den Sicherheitsraum und als schließlich einer der Piraten eine Panzerfaust schultert, ist klar, "da war nichts mehr zu machen, und dann bin ich auch in Deckung gegangen". So schildert es Eggers heute, bei seiner zweiten Befragung, im Piratenprozess vor dem Hamburger Landgericht.

Die Richter wollen wissen, wie die Sicherheitsmaßnahmen an Bord waren, wie hoch der Kapitän die Bedrohungslage einschätzte und auch, wie lange der Angriff der Piraten dauerte. Eggers berichtet langsam, jedes Wort abwägend und erstaunlich sachlich. Todesangst habe er nie gehabt, sagte Eggers. "Ich habe höchstens befürchtet, dass wir entführt werden. Aber ich denke nicht, dass sie uns erschossen hätten."

Nur als er sagt: "Ich vergesse das Ganze in zehn Jahren nicht", lässt sich erahnen, wie dramatisch die Situation für ihn und seine Leute war.

Als sich am Ostermontag rund 530 Seemeilen vor der somalischen Küste zwei kleine Boote der "Taipan" nähern, befindet sich das Schiff auf dem Weg nach Mombasa. Den von der Nato-Mission "Atalanta" abgesicherten Korridor im Golf von Aden hat es längst verlassen müssen. Die Route, die Eggers nun nehmen muss, ist hochgefährlich. Überfälle gehören hier schon fast zum Alltag. Doch es gibt keine Alternative. Eggers ist 69, ein erfahrener Kapitän, den so schnell nichts aus der Ruhe bringt. Als nur wenige Tage zuvor der polnische Kapitän der "Taipan" die Fahrt ablehnt, weil er die riskante Route scheut, übernimmt Eggers das Ruder. "Ich wusste also, was mich erwartet", sagt er vor Gericht.

Er glaubt, das Wichtigste getan zu haben, um im Ernstfall reagieren zu können. Doch am Ende hilft ihnen, so Eggers, nur das "große Glück, dass uns holländische Soldaten befreiten". Alle zehn Angreifer werden festgenommen - und sitzen Eggers nun im Piratenprozess als Angeklagte gegenüber.

Jüngstes Opfer: ein algerischer Frachter

Die Piratenangriffe vor der afrikanischen Küste gehen indes unvermindert weiter. Derzeit sind nach Angaben der EU-Antipiratenmission Atalanta 28 Schiffe und 654 Seeleute in der Gewalt von Piraten. Die Nichtregierungsorganisation Ecoterra spricht sogar von mindestens 44 Schiffen und mehr als 770 Gefangenen, die sich in der Hand von Piraten befinden. Anders als Atalanta listet die Organisation auch kleine Schiffe auf. Viele der Seeleute müssen monatelang in Häfen an der somalischen Küste ausharren, bis Piraten und Schiffseigentümer ein Lösegeld aushandeln.

Jüngstes Opfer ist der algerische Frachter "MS Blida". Somalische Piraten haben ihn am Neujahrstag etwa 150 Seemeilen südöstlich von Oman gekapert. An Bord des Schiffes seien 27 Besatzungsmitglieder aus Algerien, der Ukraine und den Philippinen, teilte ein Sprecher der EU-Antipiratenmission "Atalanta" am Sonntag mit.

Aussicht auf Millionengewinne

Tatsächlich hat sich die Piraterie längst zu einer sprudelnden Einnahmequelle für afrikanische Freischärler und ihre Hintermänner entwickelt. Jede erfolgreiche Entführung bringt den Piraten Geld, das in neue effektivere Waffen, schnellere Boote und bessere Logistik investiert werden kann. Die Aussicht auf Millionengewinne ist für Rebellen und Milizen am Horn von Afrika mehr als verlockend und hat zur Entwicklung einer regelrechten Piratenindustrie geführt. Zwischen dem Horn von Afrika und der jemenitischen Küste lauern schätzungsweise rund 1000 Freibeuter auf fette Beute. Gesteuert werden sie von der somalischen Küste aus, wo die Piraterie für einen regelrechten Wirtschaftsboom gesorgt hat. Die Hintermänner sitzen nach Einschätzung von Experten in Nairobi, Dubai oder London im Trockenen.

Gefahr durch Hightechpiraten

Wie perfekt das System funktioniert, zeigte ein Vorfall schon im Januar 2009. Damals hatten Seeräuber den EU-Server manipuliert, über den sich Handelsschiffe über die Bedrohungslage und sichere Fahrtrouten am Horn von Afrika informieren können. Nach Erkenntnissen des US-Geheimdienstes CIA hatten die Piraten den Server mit Trojanern verseucht, was dazu führte, dass ahnungslose Schiffe in die falsche Richtung geschickt wurden, direkt in die Arme der Piraten.

Hinzu kommt das Problem, dass der Bürgerkriegsstaat Somalia keine eigene Küstenwache besitzt. Kriegsschiffe der EU und anderer Staaten patrouillieren zwar im Golf von Aden, um den wichtigen Schifffahrtskorridor zu sichern. Allerdings weichen die Seeräuber bei ihren Überfällen zunehmend auf weit von der somalischen Küste entfernte Gebiete im Indischen Ozean aus.

Auf die Frage des Richters, ob denn die "Taipan" gegen Überfälle versichert sei, antwortet Kapitän Eggers im Hamburger Piratenprozess: "Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass die Seeleute die doppelte Heuer bekommen, wenn sie in Kriegs- und Krisengebieten fahren." Dass er bei einer so riskanten Fahrt sein Leben aufs Spiel setzt, scheint Kapitän Eggers wenig zu beeindrucken. Im Gegenteil: Er selbst habe aus dem Überfall sogar etwas Positives mitgenommen. "Weil ich so erfahren durfte, dass ich in solchen Situationen die Ruhe bewahren kann."

Mit DPA

PRODUKTE & TIPPS