Es war eine Nachricht, die nicht nur die Menschen in den Niederlanden erschütterte, sondern auch international Wellen schlug: Neun Jahre lang soll ein 58-jähriger Österreicher eine sechsköpfige Familie gegen deren Willen auf einem Bauernhof in Ruinerwold festgehalten und von der Außenwelt isoliert haben. Der Fall war am Montagabend ins Rollen gekommen, als einer der angeblich Gefangenen, ein 25-Jähriger namens "Jan", in einer Gaststätte der Stadt auftauchte und dem Wirt von seiner Geschichte erzählte. Dieser informierte die Polizei, seither laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Am Mittwoch dann nahmen Beamte den Österreicher fest. Dem gebürtigen Wiener wird unter anderem Freiheitsberaubung vorgeworfen, er sitzt in Untersuchungshaft, wie die Polizei bestätigte. Inzwischen wurde nun auch der 67 Jahre alte Vater festgenommen. Das teilte die Polizei in der Provinz Drenthe mit.

War der Fall da nicht schon mysteriös genug, gerieten im Zuge der Berichterstattung mehrere Social-Media-Profile in den Fokus. So gibt es sowohl bei Facebook, Instagram, Twitter wie auch Linkedin Accounts, die auf den Namen des 25-Jährigen laufen. Ob "Jan" tatsächlich auch dahintersteckt, ist nicht klar. Der Wirt soll den Mann auf den Fotos als "Jan" identifiziert haben. Nach stern-Recherchen legen mehrere Bilder und offenbar mit einem Smartphone gemachte Selfies nahe, dass dieser "Jan" die Seiten auch verwaltet. Und genau das macht den Fall aus Ruinerwold noch rätselhafter: Wie passt es zusammen, dass ein Mann isoliert gelebt haben soll - aber offenbar gleichzeitig Zugang zum Internet und Social Media hatte.
Gutes Englisch, obwohl "Jan" nie in der Schule war?
So wurden die Profile größtenteils im Juni dieses Jahres angelegt, der Twitter-Account bereits im Mai. Allein das widerspräche der Angabe, dass die festgehaltene Familie seit 2010 keinerlei Kontakt zur Außenwelt hatte. "Jan" selbst gab gegenüber dem Wirt an, dass er in den vergangenen neun Jahren nicht "draußen" gewesen sei und er nie eine Schule besucht habe.
Gerade auf Instagram finden sich unter den insgesamt zwölf Postings – das erste wurde am 21. Juli veröffentlicht – allerdings Beiträge, die in sehr solidem Englisch verfasst sind. Ein Indiz, das stutzig machen kann - schließlich soll er nach eigenen Angaben nie ein Klassenzimmer von innen gesehen haben. Zwei weitere Bilder zeigen "Jan" nach stern-Recherchen meditierend in einem Garten. Auch dies würde der Darstellung des 25-Jährigen widersprechen, dass er seit Jahren nicht mehr draußen war.

Auch wurde der 25-Jährige von dem Gaststättenbesitzer als "ungewaschen und mit zerzausten Haaren" beschrieben. Selfies auf Facebook und Instagram zeigen jedoch einen jungen Mann, der einen eher gepflegten Eindruck macht.

Zeitstempel verändert: Facebook-Postings werfen Fragen auf
Derartige Ungereimtheiten verdichten sich beim Blick auf das Facebook-Profil, das – anders als von vielen Medien berichtet – nicht bereits seit 2010 besteht, sondern wahrscheinlich ebenfalls erst im vergangenen Juni angelegt worden ist. Die Zeitstempel mehrerer älterer Postings zeigen, dass diese allesamt manuell zurückdatiert wurden. "Jans" Umzug nach Ruinerwold zum Beispiel, vom Account-Inhaber auf den 1. August 2010 datiert, wurde demnach erst am 15. September 2019 gepostet und dann nachträglich angepasst.
Der nächste Eintrag stammt vom 6. Juni diesen Jahres, also nach vermeintlich rund neun Jahren ohne Account-Aktivität. Tatsächlich wurde auch dieses Posting erst elf Tage später als angegeben veröffentlicht und dann zurückdatiert. Der erste, nicht veränderte Beitrag, stammt vom 16. Juni und zeigt die Aufnahme eines Blumen- oder Gemüsebeets.
Naturverbunden und mit einem Faible für Bäume
Alle Accounts haben gemein, dass sich "Jan" dort als sehr naturverbunden, leicht esoterisch und offenbar mit einem besonderen Faible für Bäume und Holzprodukte präsentiert. Er gibt zudem an bei "Creconat" im benachbarten Meppel zu arbeiten – als was genau und welche Produkte dort hergestellt werden, ist nicht ersichtlich. Zudem verwaltet er dem Profil zufolge weitere Seiten von kleineren Firmen, von denen mindestens eine im Handelsregister auf den inzwischen verhafteten Österreicher eingetragen ist.
"Jan" folgt diversen Klimaschutz- und Friday-for-Future-Seiten sowie Accounts mit Marketing-Bezug. Was sich in diesem Zusammenhang sehr viele User in Kommentaren auf "Jans" inzwischen auch Teilen der Öffentlichkeit bekannten Facebook-Account, der keine Freunde führt, fragen:
Hat ein 25-Jähriger, der neun Jahre isoliert gelebt haben soll, nicht andere "Probleme", als sich erstmal Social-Media-Profile anzulegen und sich dem Klimaschutz zu verschreiben?
Wie und woher weiß er, wie man Beiträge zurückdatiert und warum macht er das auch bei Postings, die nur wenige Wochen oder gar Tage zurückliegen?
Tatsächlich finden sich im Facebook-Profil drei Postings, die offenbar bei einem nächtlichen Spaziergang durch Ruinerwold entstanden sind und ebenfalls zurückdatiert wurden. Sie zeigen ein Ortsschild der Stadt ... ... eine Kirche ... ... und ein weiteres Gebäude. "Jan" datierte die Beiträge auf den 4. und 5. Oktober, tatsächlich wurden sie jedoch allesamt erst am 12. Oktober hochgeladen. Auch dies stünde der Isolationstheorie entgegen, wonach der 25-Jährige seit 2010 nicht draußen gewesen sei.


"Jan" widmet Gaststättenwirt zwei Postings auf Instagram
Auf Instagram postete "Jan" zuletzt am 13. Oktober. Dort widmete er dem Gaststättenwirt des "Café De Kastelein", das er auch auf Facebook geliket hat, gleich zwei, fast schon verehrend anmutende Beiträge. Offensichtlich bediente sich der 25-Jährige dafür an Bildern aus dem Facebook-Profil des Wirts, die er nachträglich grafisch bearbeitete. Einem Bild fügte er die Worte "Angel Kisses" ("Engelsküsse") hinzu und kommentierte: "Sieht er nicht süß aus".
Der Polizei sind die verschiedenen Accounts bekannt. Man überprüfe derzeit, ob sich diese tatsächlich zu dem 25-Jährigen gehören, hieß es von Seiten der Ermittler. Die kehrten am Donnerstag mit einer Spezialeinheit auf den abgelegenen Bauernhof zurück, um dort "alle Räume digital (zu erfassen), sodass wir eine vollständige Übersicht bekommen", zitiert die Deutsche Presse-Agentur einen Polizeisprecher. Der Fall könnte die Ermittler also vermutlich noch etwas länger beschäftigen, bislang bleiben vor allem Ungereimtheiten.
Quellen: eigene Recherchen / Facebook / Twitter / Instagram / Linkedin / Niederländische Polizei / mit DPA und AFP