"Snippa" Schwedische Richter heben Urteil zu Vergewaltigung an Kind auf – weil sie Bezeichnung für Vagina nicht kennen

Das umstrittene Urteil wurde am Hovrätten für West-Schweden gefällt
Das umstrittene Urteil wurde am Hovrätten für West-Schweden gefällt
© Johan Wingborg / Sveriges Domstolar
In Schweden hat ein Berufungsgericht ein Urteil wegen Vergewaltigung an einem Kind aufgehoben. Der Grund: Das zehnjährige Opfer verwendete eine umgangssprachliche Bezeichnung für Vagina. Die Richter wussten offenbar nicht, was der Begriff "snippa" bedeutet.

Was bedeutet das Wort "snippa"? Das schwedische Wörterbuch definiert es ganz klar: das weibliche Geschlechtsorgan.

Doch ein paar Richtern in Schweden schien das nicht klar zu sein – was dazu führte, dass ein Urteil wegen Vergewaltigung einer Zehnjährigen aufgehoben wurde. So berichten mehrere schwedische Medien. Die Entscheidung führte zu Unverständnis und Wut in der Bevölkerung.

Der 50-jährige Angeklagte wurde von einem Bezirksgericht zu drei Jahren Haft verurteilt; der Fall ging dann aber vor ein Berufungsgericht. Dieses sprach den Mann vom Vorwurf der Vergewaltigung frei. Es war zwar erwiesen, dass der Mann das Mädchen berührte und anfasste. Allerdings war das Gericht unsicher, wie es das Wort "snippa" interpretieren sollte, berichtete der Fernsehsender SVT.

Gericht hatte Schwierigkeiten "snippa" zu deuten

"Snippa" wird in Schweden seit etwa 20 Jahren von Kindern, aber auch Eltern und Pädagogen verwendet, wenn sie über die Vagina reden. Es ist ein umgangssprachliches Wort, am ehesten vergleichbar mit den deutschen Wörtern "Muschi" oder "Mumu" vergleichbar.

Das Mädchen hatte beschrieben, wie der 50-Jährige seine Hand in ihr Höschen steckte. Er "hatte seine Hand auf ihrer 'snippa' und hatte einen Finger in ihrer 'snippa'".

Das Gericht habe der Schilderung des Mädchens geglaubt. Allerdings habe sie Schwierigkeiten gehabt, zu erklären, was "snippa" bedeutet und wie weit der Mann in sie eingedrungen sei, so SVT weiter. Nach Ansicht einer Mehrheit der Richter sei es daher "nicht möglich zu beweisen, dass der Mann in ihren Unterleib eingedrungen ist".

Richter: "Snippa" nur äußere Geschlechtsorgane

Die Richter führten aus, dass es wegen mangelnder Informationen darüber, was das Mädchen mit diesem Ausdruck meinte, das schwedische Wörterbuch zu Rate zog. Darin wird "snippa" als "die äußeren Geschlechtsorgane einer Frau" beschrieben. "Snippa" sei also kein Synonym für Vagina, denn dieses Wort bezeichnet den schlauchartigen Kanal, der von der Gebärmutter nach außen führt.

Åke Thimfors war einer der fünf Richter, die das Urteil fällten. Er sei der Ansicht, dass das von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Material für eine Verurteilung wegen Vergewaltigung nicht ausreichte, so SVT. Thimfors erklärte, dass in Fällen von Vergewaltigung von Kindern die Verhöre von der Polizei während der Voruntersuchung durchgeführt und dann dem Gericht vorgespielt werden. Daher konnte während der Verhaltung nicht weiter nachgefragt werden.

"In dem Material war unklar, was mit dem Wort 'snippa' gemeint war, und es wurde ihr keine klare Frage gestellt, was sie meinte oder was sie beschrieb. Wir haben also nur diese Worte erhalten, und dann kommt es darauf an, wie sie interpretiert werden", sagte er. Es müsse zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass der Finger in der Vagina war. Die Staatsanwaltschaft hätte für eine Verurteilung zusätzliche Beweise vorlegen müssen, so Thimfors.

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Anwälte überrascht und unzufrieden

Die Staatsanwaltschaft äußerte sich in einer Pressemitteilung zu dem Urteil überrascht. Man sei nicht zufrieden. Es sei eine sehr "seltsame Auslegung", sagte Eva-Lotta Swahn von der Staatsanwaltschaft Halmstad. Das Berufungsgericht habe auch nicht die Frage nach der Bedeutung des Wortes "snippa" aufgeworfen. Ein Anfechten des Urteils werde geprüft.  

Agneta Carlquist, Anwältin des Kindes, reagierte mit Fassungslosigkeit auf die Entscheidung des Berufungsgerichts. Sie habe so etwas noch nie erlebt, sagte sie SVT. "Es sollte kein Ratespiel sein. Es hat schwerwiegende Folgen, wenn das Kind sich nicht selbst erklären darf." Das Berufungsgericht hätte in der Lage sein sollen, dieses Wort zu verstehen.

Auch viele in der Bevölkerung sowie Experten in Schweden sind entsetzt über das Urteil der Berufungsrichter.

"Ich habe viele Urteile gelesen und kann mich an kein so merkwürdiges Urteil erinnern", schreibt der Kolumnist Oisín Cantwell in der Zeitung "Aftonbladet". Er kritisierte zudem das hohe Alter der männlichen Richter, die den Begriff "snippa" offenbar nicht kannten.

"Ich frage mich, welches Wort nach Meinung der Richter für eine 10-Jährige korrekt gewesen wäre?"

Der Rechtsexperte Sven-Erik Alhem sagte dem Blatt: "Ich kann die Grundlagen nicht nachvollziehen. Ich finde die Urteilsbegründung seltsam geschrieben und bin sehr skeptisch, was die Gründe angeht. Ich war nicht im Gerichtssaal, aber was ich in der Urteilsbegründung gelesen habe, klingt für mich seltsam."

Die Journalistin Lisa Bjurwald nannte die Aufhebung des Urteils "äußerst bizarr". Der Zeitung "Expressen", sagte sie: "Die Argumentation des Berufungsgerichts ist grotesk und widerspricht offensichtlich den bekannten Tatsachen. Jedes normale Elternteil in Schweden weiß, dass 'snippa' heute der Standardname für die Genitalien von Mädchen ist."

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Ida Östensson, Gründerin der Organisation Make Equal und Generalsekretärin der Stiftung Child 10, "kocht vor Wut", wie sie der Zeitung sagte: "Ich frage mich, welches Wort nach Meinung der Richter für eine Zehnjährige korrekt gewesen wäre? Fotze? Vagina? Oder wäre ersteres zu vulgär gewesen? Letzteres als zu medizinisch? Jetzt gibt es endlich einen Sammelbegriff für die Genitalien von Mädchen, der Kindern beigebracht wird und der auch Mädchengeschlechter besprechbar macht." Sie fordert, dass das Oberste Gericht sich das Urteil nochmal genauer anschaut.

Schweden: Nur eine Richterin stimmte gegen Freispruch

In den sozialen Medien protestieren ebenfalls Menschen gegen die Entscheidung der Berufungsrichter – unter dem Hashtag #jagvetvadensnippaär. Das bedeutet: "Ich weiß, was eine 'snippa' ist."

Das Hashtag hat Caroline Svelid auf Instagram gestartet. "Zeigen wir den alten Männern im Berufungsgericht, dass es unendlich viele von uns gibt, die genau wissen, was mit 'snippa' gemeint ist!", schreibt sie in einem Beitrag, der schon mehr als 200.000 Mal geliked wurde.

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Sie denke vor allem an das Mädchen und ihre Familie. "Ich möchte, dass die Familie spürt, dass viele von uns hinter ihr stehen, und gleichzeitig aufzeigen, wie krank es ist, dass so etwas vor einem Berufungsgericht passiert", sagte sie "Aftonbladet".

Von den fünf Mitgliedern des Berufungsgerichts, die das Urteil gegen den Angeklagten aufhoben, war nur eine Person gegen die Aufhebung –die einzige Richterin der Gruppe.

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