Sicherheitspanne nach Terroralarm Das Phantom vom Münchner Flughafen

  • von Sönke Wiese
  • und Manuela Pfohl
Wer ist der Passagier? Und: Wo ist er? Das Versagen der Sicherheitskräfte in München wirft viele Fragen auf und zeigt: Deutsche Flughäfen haben Probleme, die Nacktscanner nicht lösen können.

Am Mittwoch um 14.35 Uhr schlägt der Scanner am Sicherheitscheck von Terminal 2 des Münchner Flughafens Alarm. Der Laptop eines Passagiers, der gerade kontrolliert wird, weist einen Markierungsstoff auf, der den allermeisten Sprengstoffen beigemischt ist. Laut Dienstanweisung müsste die Kontrolleurin jetzt eine zweite Prüfung veranlassen - und dürfte den betreffenden Fluggast samt Corpus delicti keine Sekunde mehr aus den Augen lassen. Doch nichts dergleichen geschieht. Der Passagier nimmt seinen Laptop, zieht sich seinen Mantel an und verlässt den Kontrollpunkt in Richtung Sicherheitsbereich. Unmittelbar danach ist er verschwunden und bis jetzt nicht wiedergefunden. Obwohl das gesamte Gelände abgeriegelt und stundenlang von einem Großaufgebot der Bundespolizei jeder Winkel durchsucht wurde.

Eine "nichtharmlose Feststellung"

Der jüngste Vorfall am Münchner Flughafen macht mit aller Wucht klar, wie sinnlos Diskussionen über Nacktscanner sind, solange das Flughafenpersonal ein großes Sicherheitsproblem darstellt. Die Geräte haben in München funktioniert, doch dann gab es ein kollektives Versagen - bei der Sicherheitsfirma SGM, die für die Sicherheitschecks am Münchner Flughafen zuständig ist, bei der zuständigen Bundespolizei, die im Falle eines Terroralarms einschreiten muss, bei der Regierung Oberbayern, in deren Auftrag SGM handelt, und beim Flughafenbetreiber.

Nach den Aussagen des Sprechers der Regierung von Oberbayern, Heinrich Schuster, wurde bei der Kontrolle des Laptops um 14.35 Uhr eine so genannte "nichtharmlose Feststellung" gemacht. 30 bis 40 Sekunden später habe sich der Passagier mit seinem Laptop entfernt. Doch erst um 14.50 Uhr wird von der Kontrollstelle der Alarm ausgelöst, der die Bundespolizei ruft. Wiederum 20 Minuten später, um 15.10 Uhr wird das Terminal 2 abgeriegelt. Der unbekannte Passagier hat also mehr als eine halbe Stunde Zeit zu "verschwinden", ehe die Suche nach ihm beginnt.

Doch wen sollen die Beamten eigentlich suchen und wo?

"Vielleicht ist das nur ein Geschäftsmann"

Schuster: "Es gibt eine lückenlose Überwachung des Sicherheitschecks. Bei der Auswertung des Materials konnte festgestellt werden, dass der Mann offenbar um die 50 ist, ergrautes Haar hat, bei mitteleuropäischem Aussehen, Anzug, Krawatte und einen Mantel trug. Darüber hinaus schien er der deutschen Sprache nicht mächtig zu sein. Er war bei der Kontrolle auf Englisch angesprochen worden." Mehr Informationen habe er nicht, sagt Schuster und verweist auf die Polizei.

Vielleicht, so mutmaßt Edgar Dommermuth, stellvertretender Leiter der Bundespolizeiinspektion des Flughafens München, handelt es sich dabei um einen Geschäftsmann, der gar nicht mitbekommen hat, dass sein Sicherheitscheck noch gar nicht abgeschlossen war.

Gab es einen Kontrollverlust?

War der Mann also harmlos und wollte nur schnell seinen Flieger erreichen? In dem Fall hätte er Glück gehabt. Denn tatsächlich ergibt sich aus den Flugplänen, dass am Mittwoch offenbar erst ab 15.40 Uhr mehrere Abflüge von Terminal 2 gestoppt wurden. Das wiederum lässt vermuten, dass auch ein potentieller Terrorist jede Menge Gelegenheit gehabt hätte, trotz des Alarms noch in einen Flieger zu steigen. Gab es also mehr als eine Stunde lang einen Kontrollverlust? Eine entsprechende Nachfrage beim Flughafenbetreiber blieb bislang erfolglos.

Auch wenn man hinter den Kulissen die Brisanz des Vorfalls erkannt und Bundesinnenminister Thomas de Maizere (CDU) die Angelegenheit zur "Chefsache" erklärt hat, bekommt die Öffentlichkeit bislang keine Antworten auf die wichtigsten Fragen

Jede Menge Nebelkerzen

Wie kann es sein, dass ein Verdächtiger im Sicherheitsbereich eines deutschen Flughafens spurlos verschwinden kann? Dass er, womöglich mit Sprengstoff im Handgepäck, sogar noch ein Flugzeug besteigen kann? Dass man bis jetzt, rund 24 Stunden später, offenbar immer noch nicht seine Identität festgestellt hat?

Stattdessen werden allerhand Nebelkerzen gezündet. Vermutlich habe es sich um einen Fehlalarm gehandelt, meinen nun die Verantwortlichen, nachdem sie erst einen der wichtigsten europäischen Flughäfen stundenlang lahmgelegt haben und trotz Großfahndung nicht den Verdächtigen finden oder seinen Verbleib klären konnten.

Die Kontrollgeräte seien so eingestellt, dass sie Sprengstoffverdacht schon auf niedrigstem Niveau meldeten, erklärte der Geschäftführer der eingesetzten Sicherheitsfirma in München. Daher kämen auch Fehlalarme immer wieder vor.

Eindruck eines erheblichen Sicherheitsproblems

Doch ob es auch in diesem Fall so war, ist nicht geklärt. Und es stellt sich die Frage, was die besten Geräte und sensible Einstellungen helfen, wenn es das Sicherheitspersonal im Zweifelsfall nicht schafft, einen Verdächtigen aufzuhalten und das Gepäck näher zu untersuchen? Die Bundespolizei hat vor kurzem Tests durchgeführt, bei denen es teilweise 30 Prozent der Polizisten gelang, ihre Waffen unbemerkt durch die Sicherheitssperren an deutschen Flughäfen zu schmuggeln. Der Münchner Fall verschärft den Eindruck, dass es ein erhebliches Sicherheitsproblem gibt.

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