Crime Story Der Whiskey-Räuber

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  • von Bernd Volland
Bei keinem einzigen Überfall war er nüchtern. Aber jedes Mal kam er davon. Fast jedes Mal.
Attila Ambrus in einem Bett
Attila Ambrus wurde mit seinen merkwürdigen Banküberfällen zum Volkshelden

Am Freitag, dem 22. Januar 1993, betrat ein Mann mit einer leuchtend roten Skimütze die Postfiliale in der Villányi út in Budapest. Der Mann trug einen Regenmantel, unter den Ohrenklappen seiner Mütze stach borstiges, braunes Haar hervor, und es war schwer zu sagen, ob sein ungelenker Gang eine Folge seiner übergroßen Schuhe war oder ob er mit dem Schnapsgeruch zusammenhing, der ihn umwallte.

„Dies ist ein Überfall!“, sagte der Mann und zog eine Waffe, die aussah wie eine Spielzeugpistole. Eine der beiden Kassiererinnen fragte, was er da tue. „Mund halten“, sagte er und schob verlegen hinterher: „Bitte!“ Dann räumte er das Bargeld aus den Schubladen, sperrte die Tür von außen mit einem Vorhängeschloss zu und hastete davon, wobei er die Beine wegen seiner großen Schuhe so weit heben musste, dass er wirkte wie ein Storch auf der Hundertmeterbahn.

Weder die Überfallenen noch der Räuber ahnten, dass sie gerade einen historischen Moment erlebt hatten: den ersten Auftritt eines künftigen Volkshelden. Ein paar Jahre später würde seine Biografie in den USA zum Bestseller werden, Johnny Depp würde sich die Filmrechte sichern, und in Ungarn würde jedes Kind den Mann kennen, der 1993 aus der Postfiliale in der Villányi út davongestolpert war. Den Whiskey-Räuber, den berühmtesten Kriminellen des Landes, den berühmtesten schlechten Eishockeyspieler des Landes, den Pelzschmuggler, Schürzenjäger, Polizistenverarscher, Johnnie-Walker-Red-Label-Säufer, Kunstbusenfinanzier… 

Erschienen in stern Crime 8/2016