Crime Story Das Rätsel von Alcàsser

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Drei tote Mädchen. Und eine Geschichte, die so nicht stimmen kann
Zeitungsausriss der Meldung der toten Mädchen
Miriam García. Antonia Rodríguez. Desirée Hernández (v.l.n.r.)

Fieber wärmt Fernando Garcías müden Körper, aber die Nacht, in der er Miriam verliert, ist kalt. García lenkt sein Auto vorbei an Orangenfeldern über die dunkle Straße in Richtung einer Diskothek. Ihn quält eine Frage: Wo ist meine Tochter?

Am Nachmittag hatte García sie von der Schule abgeholt, Miriam hatte an der Bushaltestelle gewartet. Später, gegen sieben Uhr, hatte Miriam sich eilig die Schuhe übergestreift und sich verabschiedet. Sie wolle sich mit ihren Freundinnen treffen, hatte sie gesagt. Danach verließ sie die Wohnung der Garcías, 7. Stock, ockerfarbener Wohnblock in Alcàsser, einem spanischen Dorf nahe Valencia.

García hatte sich schlafen gelegt. Er fühlte sich schwach. Hatte die kleine Matratzenfabrik, die er leitete, vorzeitig verlassen. Das erste Mal in seinem Leben. García, ein Mann von 40 Jahren, mit lichter werdendem Haar und ernstem Gesicht, arbeitete hart. An nichts sollte es seinen drei Kindern fehlen. Miriam sollte es gut haben. 

Später, als García aus seinem Schlaf erwacht war, erzählte ihm seine Frau Matilde von einem Anruf. Miriam, die wollte, dass der Vater sie zur Diskothek fährt. Aber Matilde wollte Fernando nicht wecken. Sie solle sich das Tanzen heute besser aus dem Kopf schlagen, hatte sie Miriam gesagt. War es nicht ohnehin schon spät? 

Fernando García
Seine Tochter und ihre Freundinnen wollten in die Diskothek „Coolor“, Fernando García sollte sie hinfahren, aber er lag mit Fieber im Bett

Fernando García liebte seine Tochter, und seine Tochter liebte ihn. Einmal, vor vielen Jahren, als seine Klamotten auf der Terrasse trockneten, hatte die kleine Miriam sie genommen und zärtlich geküsst.

Garcías Tochter war ein zuverlässiges Mädchen. Meist kam sie gegen neun Uhr wieder nach Hause. Nicht an diesem Abend.

Miriam liebte es zu tanzen. In ihrem Zimmer, über dem Bett aus hellem Kiefernholz, klebten ausgeschnittene Fotos von Tänzerinnen. Daneben hingen rosarote Ballettschuhe. War Miriam an diesem Abend doch in die Diskothek gegangen? Gegen den Rat ihrer Mutter?

Die Minuten wurden lang. Addierten sich zu einer Stunde. Gegen zehn Uhr begannen sich die Garcías zu sorgen. Sie nahmen das Telefon, riefen die Eltern Miriams bester Freundinnen an.

Auch sie vermissten ihre Töchter.

Erschienen in stern Crime 27/2019