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Terrorgefahr in Deutschland Mit GPS zum Bombenanschlag

Eine ganz neue Form von Terroranschlägen mit verheerenden Folgen lässt sich einfach per Internet-Anleitung planen. Im Interview mit stern.de schildert Bert Weingarten, der sich mit der Entwicklung von Internet-Schutzfiltern befasst, eine bislang ungeahnte Gefahr: Terroranschläge per GPS.
Von Manuela Pfohl

Herr Weingarten, Sie warnen vor einer neuen Gefahr. Terroristen könnten Bomben per GPS zünden?

Ich habe beim Europäischen Polizeikongress unsere neuen Erkenntnisse zu Anleitungen und Eigenschaften der "GPS-Bombe" vorgetragen. Unser Unternehmen analysiert im "verborgenen Internet", abseits des Web, dem sogenannten Deep Internet und fahndet dort nach Bombenbau- und Terror-Anleitungen. Im Oktober 2008 recherchierten wir erstmals bei Routineanalysen neueste Anleitungen und Technologien, die wir anschließend als Bestandteile der "GPS-Bombe" klassifizierten. Im Anschluss betrachteten wir die möglichen Einsatzfelder der "GPS-Bombe" und gewannen die Erkenntnis, dass die per Internet erhältliche Technologie und die im Internet befindlichen Sprengstoff- und Bombenbauanleitungen, zusammen den Bau einer höchst brisanten Waffe ermöglichen, die unmittelbar für die Verübung einer bis dato nicht für möglich gehaltenen terroristischen Anschlagswelle eingesetzt werden kann.

Sie sagen, ahnungslose Logistikunternehmen wären dabei die unfreiwilligen Attentäter. Wie soll das gehen?

Durch eine bereits im Internet befindliche Softwareerweiterung für Mobiltelefone mit GPS-Empfänger wird aus einem handelsüblichen Mobiltelefon ein automatischer und metergenauer Präzisionszünder, der die Signale des Global Positioning System (GPS), eines satellitengestützten Systems, das vom Verteidigungsministerium der USA betrieben wird und der weltweiten Positionsbestimmung dient, zur Zündung des Sprengsatzes missbraucht. Somit können Terroristen ihren Anschlag metergenau programmieren und den Ort exakt bestimmen, an dem die Bombe explodiert. Die üblichen Ablaufmuster zur Verübung eines Terroranschlags haben beim Einsatz der GPS-Bombe keine Relevanz mehr. So brauchen die Terroristen keine Selbstmordattentäter mehr. Auch eine gesteigerte Kommunikation, unmittelbar vor der Ausführung des Anschlages, wird es nicht mehr geben, da Fahrer eines Paketzustellers oder einer Spedition als "unwissende Selbstmordattentäter" die Bomben zum Anschlagsziel fahren. Kurz, die Vorbereitung zum Terroranschlag besteht nur noch aus dem Download einer Bombenanleitung und einer Softwareerweiterung aus dem Internet, dem Einkauf in einem Supermarkt, dem Kauf der GPS-Telefone und der abschließenden Paketaufgabe.

Zur Person

Bert Weingarten

gilt als Online-Sicherheitsexperte. Er ist Vorstand der Hamburger PAN AMP AG. Nach Abschlüssen in Informations- und Kommunikationstechnik am Max-Planck-Institut gründete Weingarten 1995 das erste Internet-Projekt-Haus in Deutschland. Er arbeitete unter anderem als Betreiber der ersten öffentlichen Internet-Standorte, als Mitbegründer der deutschen Domain-Registrierungsstelle Denic und als Gründungsmitglied der Internet Society German Chapter mit an der Verbreitung des Internets in Deutschland. Seit der Gründung der PAN AMP im Jahre 1998 leitet Weingarten die Entwicklung von Internet-Filtern und Sicherheitstechnologien sowie von automatisierten Internet-Analyse und Forensik-Verfahren.

Welche Schäden könnte man damit anrichten?

Durch die Zustellung einer größeren Anzahl von GPS-Bomben können am selben Tag und zeitgleich erhebliche Detonationen ausgelöst werden. Die Schäden können sich nicht nur an Zielen mit GPS-Empfang ereignen. Die analysierte "Counterfunktion" ist dazu geeignet, in Verkehrsunterführungen und Tunneln Sprengungen auszulösen. Die Verwendung von Sprengstoffen ab einem zweistelligen Kilobereich kann erhebliche Opferzahlen und Strukturschäden auslösen.

Ist das Ganze eine Fiktion oder reale Bedrohung?

Zwischen 2004 und 2006 wurde die Internetverbreitung zum Bombenbau noch mit Sätzen wie "Kein Terrorist braucht eine Bombenbauanleitung aus dem Internet" kommentiert. Die von unserer Firma PAN AMP verbreitete Veröffentlichung "Bombenbauanleitungen aus dem Internet gefährden Fluggäste" führte hingegen seit dem 14. September 2005 zu schnellen Veränderungen in der Fluggastkontrolle in ganz Europa. Grund war die Feststellung, dass Internetanleitungen zu Sprengstoffen bestehen, die bis dato kaum oder gar nicht detektierbar waren.

Neben den beabsichtigten Anschlägen per Kofferbomben, kamen Bombenbauanleitungen aus dem Internet auch beim Amoklauf von Sebastian B. in Emsdetten zum Einsatz. In einem einschlägig bekannten Fachforum wurde ein Bereich zum Thema "Wie baue ich eine Bombe?" am 13. Juli 2005 eröffnet. Der versuchte Anschlag mit zwei Kofferbomben auf Nahverkehrszüge in Köln am 31. Juli 2006 machte insbesondere Sicherheitskreisen in Deutschland Sorgen, da die Anleitungen zur Herstellung der Kofferbomben aus dem Internet stammten und es nur durch einen Flüchtigkeitsfehler im Nachbau der Internetanleitung zu keiner Detonation kam.

Szenario eines GPS-Anschlags

Ein Mann wendet sich unter falschem Namen an einen Paketzusteller. Er behauptet, er habe einen Kühlschrank, der an die angegebene Adresse einer Pizzeria geliefert werden soll. Einen Personalausweis muss er nicht vorzeigen. Im Paket befindet sich kein Kühlschrank, sondern eine mehrere Kilo schwere GPS-Bombe, die so programmiert ist, dass sie exakt in dem Moment explodiert, in dem das Fahrzeug des Kurierdienstes die Zielkoordinaten für den gewünschten Anschlagsort erreicht hat. Das kann beispielsweise ein Ministerium sein, das in der unmittelbaren Nähe einer Pizzeria liegt.

Die Anschlagsplanung der Sauerland-Terrorgruppe im September 2007 führte zu noch größerer Besorgnis, da aus den zwölf mit Wasserstoffperoxid gefüllten Fässern, die sich das Trio zum Herstellen von Sprengstoff beschafft hatte, eine Sprengkraft von mehr als 400 Kilo TNT berechnen ließ. Die hierzu erforderlichen Bombenbauanleitungen hat PAN AMP deutlich vor der jeweiligen Tatplanung im Internet analysiert und über die resultierenden Gefahren berichtet. Die GPS-Bombe ist von allen bislang festgestellten Internet-Anleitungen die brisanteste.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wo die GPS-Technologie per Internet bereits gelandet ist und was ein hochrangiger Vertreter von Europol beklagt.

Kritiker in bestimmten Internet-Foren behaupten, Anschläge dieser Art seien unmöglich. Es gäbe dagegen wirksame Abwehrmaßnahmen.

Herkömmliche Methoden, die in kritischen Umgebungen wie zum Beispiel in einer Ölraffinerie verwendet werden, basieren auf GSM-Scannern. (Anm.d. Red.: Global System for Mobile Communication wurde in Europa entwickelt und ist weitweit das am meisten genutzte Mobilfunksystem) Dabei wird Alarm geschlagen, sobald ein Mobiltelefon in der Umgebung einer Anlage entdeckt wird. Im Fall der GPS-Bombe kann die GSM-Einheit deaktiviert werden und ist somit für die GSM-Scanner nicht detektierbar. Die Herausforderung ist nicht so trivial wie es manchem scheint, da insbesondere der Aufbau von Störsendern direkten Einfluss auf die reguläre Zivilnutzung hat und somit ein Einsatz zum Beispiel an Flughäfen sehr gefährlich ist.

Sind das Spinner oder potenzielle Terroristen, die solche Anschlagsideen im Netz debattieren?

Radikal-islamistische Zeichnungen ohne Sprechblasen, auf denen fertige Sprengstoffgürtel von kindlichen Körpern getragen werden und die mit Links zu Bombenbauanleitungen verknüpft wurden, zeigen auf, welche unverantwortbaren Folgen durch frei zugängliche Sprengstoff- und Bombenbauanleitungen im Internet entstehen. Im Fall der GPS-Bombe bestehen bereits Foreneinträge, von denen abzuleiten ist, dass die Technologie bereits per Internet in Krisengebiete gelangt ist. Somit kann auch ein unmittelbarer Terroranschlag mit einer oder mehreren GPS-Bomben nicht ausgeschossen werden.

Was sagen die staatlichen Behörden zu Ihrer Warnung?

Vor meinem Vortrag auf dem diesjährigen Europäischen Polizeikongress hat sich Gilles der Kerchove, oberster Terrorismus-Koordinator bei der Europäischen Union, ausführlich über unsere Erkenntnisse und Einschätzung informiert. In meinem Vortrag habe ich die Gefahr anschließend kurz vorgestellt, da bereits eine ausreichende Anzahl von abstrakten Terrorwarnungen existieren. Ich halte es für dringend erforderlich, dass die breite Öffentlichkeit über neue Terrorgefahren informiert wird, da ansonsten die Maßnahmen zur Verbesserung der Inneren Sicherheit nicht nachvollzogen werden können. In der anschließenden Diskussionsrunde unter anderem mit August Hanning, Staatssekretär des Inneren, einem Repräsentanten von Interpol bei der Europäischen Union und dem Executive Director bei Europol, informierte Gilles der Kerchove, dass der elektronische Nachrichtenaustausch und die gemeinsame Nutzung von Daten im Argen liegt und es häufig so abläuft, dass man von einem Attentat oder Anschlagsversuch erst durch die Medien erfährt und dann einen Kollegen in dem betreffenden Land anrufen muss, um sich zu informieren.

Was müsste getan werden?

Als erstes müssen die bisherigen Verbreitungen der GPS-Bomben-Technologie und der beteiligten Personen im In- und Ausland vollständig aufgeklärt werden. Zeitgleich müssen bestehende Foren und diesbezügliche Download-Quellen aus dem Internet genommen werden. Die rechtliche Grundlage hierzu wird derzeit geprüft, da in Deutschland das Einstellen von Sprengstoff- und Bombenbauanleitungen noch immer nicht explizit verboten ist. Das Bundesjustizministerium ist seit nunmehr fünf Jahren nicht im Stande, eine eindeutige Gesetzeslage zur Strafbarkeit von Veröffentlichungen und zum Bezug von Sprengstoff- und Bombenbauanleitungen einzubringen. Insbesondere dem Bundeskriminalamt ist durch diese Fehlentwicklung die Handlungsfähigkeit in der Verfolgung der Sprengstoff- und Bombenbauanleitungen im Internet genommen.

Wird Ihre Warnung unmittelbar Logistikabläufe verändern?

Die Warnung sicherlich nicht, der erste Anschlag mit einer GPS-Bombe in Europa wird jedoch ganz sicher zu Veränderungen in der Logistik führen. Ich gehe davon aus, dass im Anschluss eine Paketannahme ohne die Vorlage eines Personalausweises nicht mehr möglich sein wird. Weiter werden neuartige Schutzmechanismen besonders gefährdete Objekte und den Paketverkehr im Inland überwachen.

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