Nach einem der schwersten Terroranschläge in der russischen Geschichte hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Tat mit fast 140 Toten und 150 Verletzten für sich reklamiert und mehrere Bekennerschreiben veröffentlicht. Dennoch will Russland eine Verwicklung der Ukraine sehen, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg führt.
Nach Angaben des russischen Präsidenten Wladimir Putin wollten die Täter in die Ukraine flüchten, Beweise dafür legte er aber nicht vor. Kiew wies jede Beteiligung an der Tat von Freitagabend zurück. Auch die US-Vizepräsidentin Kamala Harris sieht für eine ukrainische Beteiligung "keinerlei Beweise". Unterdessen beging Russland am Sonntag einen nationalen Trauertag.
Putin braucht einen Sündenbock für die vielen Toten bei Moskau
"Weser-Kurier" (Bremen): "Wo arglose Menschen getötet werden, haben sie und ihre Hinterbliebenen nichts als Mitleid und Anteilnahme verdient. Unabhängig davon, in welchen politischen Verhältnissen sie leben oder wie die Tat motiviert war. Der russische Präsident Wladimir Putin und sein Militärapparat mögen sich schlimmer Verbrechen schuldig gemacht haben. Aber Putin ist nicht Russland, und unter den mehr als 130 getöteten Frauen, Männern und Kindern wird niemand gewesen sein, der Freiheit und Frieden nicht der Politik ihrer Regierung vorziehen würde. Wenn er denn Einfluss darauf hätte."
"Lausitzer Rundschau" (Cottbus): "Russland terrorisiert seit zwei Jahren sein Nachbarland Ukraine. [...] Kann man dann Mitleid haben, wenn inmitten Russlands, noch dazu nahe dem Machtzentrum Moskau, Menschen von Extremisten massakriert werden? Wenn der Aggressor also selbst machtlos mit ansehen muss, wie schutzlose, unschuldige Menschen getötet werden? Ja, man kann. Man muss sogar. Denn die bestialischen Taten von Butscha und Krasnogorsk eint eines: Sie hatten unschuldige Zivilisten zum Ziel. Sie wurden von gewissenlosen Verbrechern mit einem Ziel angeordnet: Terror zu verbreiten. Und ein Menschenrechtsverbrechen wie Terror darf niemals irgendwo als legitim anerkannt werden."
"Leipziger Volkszeitung": "Die Beamten brauchten eine geschlagene Stunde, um zum Tatort zu finden und sich ein Bild von der Lage zu machen. Unterdessen starben in der Konzerthalle mehr als 130 Menschen. Gäbe es in Russland freie Medien, wäre jetzt von Wladimir Putins Crocus-City-Skandal die Rede. Denn der Staatschef persönlich hat am 19. März Warnungen westlicher Geheimdienste vor extremistischen Anschlägen beiseitegeschoben. Putin braucht dringend einen Sündenbock. Was liegt näher, als auf Kiew zu verweisen? Die Ukraine muss sich auf neue, furchtbare Attacken einstellen. Wer in Wirklichkeit die Terroristen waren, ist für Putin unwichtig. In seinen Staatsmedien kann er alles darstellen, wie er will."

"Frankfurter Rundschau": "Der Autokrat Wladimir Putin wird weiter alles tun, um die Trauer und die Wut seiner Landsleute auf das überfallene Nachbarland zu lenken. Ganz offensichtlich interessiert ihn wenig, dass Kiew gar kein Interesse an solch einem Anschlag hat, weil die Regierung von Wolodymyr Selenskyj damit die westlichen Hilfen gefährden würde. Doch derlei Überlegungen werden den Kreml nicht daran hindern, die eingeschlagene Linie weiter zu verfolgen. Dann dürfte es leichter fallen, eine erneute Mobilmachung umzusetzen. Zudem wird Putin weitere Attacken auf ukrainische Städte mit dem Massaker in der Konzerthalle rechtfertigen."
"Stuttgarter Zeitung": "Während die russischen Behörden in den vergangenen zwei Jahren nahezu täglich Andersdenkende wegen 'Rechtfertigung des Terrorismus' jagten, haben sie den Blick für echte Gefahren aus Islamistenkreisen vernachlässigt. Um nun nicht allzu viele Fragen dazu beantworten zu müssen, verschärft der Kreml das propagandistische Getöse um eine 'ukrainische Spur' beim jüngsten Terroranschlag – auch wenn die Regierung in Kiew dies vehement zurückweist und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Anschlag für sich reklamiert. So lässt Putin die Menschen vollkommen darüber im Ungewissen, was in den kommenden Tagen auf sie zukommen wird."
"Reutlinger General-Anzeiger": "Dabei ist Putin selbst mit seiner grausamen Kriegsführung in Tschetschenien und der Unterdrückung der islamisch geprägten Provinzen im Süden Russlands mitverantwortlich für derartige Reaktionen. Doch derzeit führt er den Eroberungskrieg gegen die Ukraine – und dem muss alles untergeordnet werden. Darum ließ er die Ukraine kurz nach dem Anschlag ganz besonders intensiv mit Raketen und Drohnen angreifen. Die Wut der russischen Bürger über diesen Anschlag soll auf die Ukraine als Urheber umgelenkt werden. Tatsächlich stecken hinter dem Anschlag wohl Tadschiken, vermutlich aus Afghanistan heraus operierend."
"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle): "Putin tickt wie die Tschekisten, Lenins geheime Sondertruppen zur Ausschaltung Oppositioneller, die ab dem Jahr 1917 in Russland ihr Unwesen trieben. Tschekisten leugnen generell das Gute im Menschen, sie sehen allerorten nur Feinde, die man ohne Skrupel belügen, betrügen und ermorden darf. Für diese mehr als düstere Weltsicht ihres Staatschefs haben die russischen Opfer in der Crocus City Hall einen hohen Preis bezahlt. Doch damit nicht genug. Weil in Moskau nicht sein kann, was nicht sein darf, waltet das Böse weiter: Putin braucht dringend einen Sündenbock. Was liegt da näher, als auf Kiew zu verweisen? Für die Ukraine heißt das nichts Gutes."
"Volksstimme" (Magdeburg): "Der Kreml kann einen Krieg in der Ukraine führen, westliche Sanktionen auslösen und Russland international isolieren – alles trägt das Volk irgendwie mit. Es wählt den Kriegsherrn sogar wieder zum Präsidenten. Aber am Freitagabend bei ersehnter Ablenkung beim Rockkonzert einfach abgeknallt zu werden – damit ist für die Russen eine Grenze überschritten. Es trifft mitten ins Herz."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Der Anschlag auf einen Konzertsaal nahe Moskau ist ein abscheuliches Verbrechen, die hohe Zahl der Opfer ist erschütternd. Es war richtig und angemessen, dass die Bundesregierung und andere westliche Führungen die Tat verurteilt haben. Bei allen tief reichenden Differenzen [...] sollte nicht der Eindruck von Schadenfreude aufkommen. [...] Terroranschläge sind nicht leicht zu verhindern. In diesem Fall liegt aber der Verdacht nahe, dass der russische Sicherheitsapparat durch den Krieg und die politische Repression beansprucht, wenn nicht abgelenkt war. Putin hat Russland nicht stärker gemacht, wie er ständig behauptet, sondern verwundbarer."
Islamistischer Terror ist zurück in Europa
"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg): "Ein Gespenst kehrt zurück nach Europa. Und das ist das Gespenst des islamistischen Terrors. Mag Russlands Präsident Putin nach dem Blutbad in der Moskauer Konzerthalle eine 'Spur in die Ukraine' reklamieren: Experten [...] halten die Urheberschaft des Islamischen Staates für glaubhafter. Und es wäre auch nicht der erste Anschlag von Islamisten in Russland."
Bomben und Geiselnahmen: Der Terror in Russland und wie er das Land veränderte

Im Oktober 1999 folgt der zweite Tschetschenienkrieg. Die Anschläge waren für Russland der Anlass dafür. Die Instabilität in Russland wurde eng mit dem Terror und dem Kampf dagegen verknüpft. "Wir werden die Terroristen überall verfolgen", sagte der damalige Regierungschef Wladimir Putin, der 2000 Präsident wurde und sich in diesem Amt stärken konnte. Doch der Krieg sollte Folgen haben.
"Rheinpfalz": "Was in der Konzerthalle Crocus City Hall bei Moskau passierte, ist wie ein Albtraum, den wir Europäer verdrängt hatten. Das Coronavirus, der Ukrainekrieg, der Nahostkonflikt, Donald Trumps mögliche Rückkehr ins Weiße Haus, Chinas Drohgebärden gegen Taiwan, all das hat uns zuletzt politisch beschäftigt – der Terror dschihadistischer Gruppen weniger. Er war zwar nicht verschwunden, erst im Januar hat der IS im iranischen Kerman ein Blutbad angerichtet. Aber aus europäischer Perspektive ist das weit weg. […] Auch Deutschland bleibt im Fadenkreuz des IS."
"Rhein-Zeitung" (Koblenz): "In jüngster Zeit wurden Anschläge in Deutschland oft nur durch Hinweise von ausländischen Geheimdiensten verhindert – was bei vielen Bürgern das ungute Gefühl hervorruft, dass die deutschen Sicherheitsdienste bei diesem Thema nicht gut aufgestellt sind. Nancy Faeser muss also schnell zeigen, dass die Behörden mit diesen Gefahren umgehen können und Hinweise ernst nehmen."