Sie sind erschöpft, ausgehungert und oft schwer krank. Wer bei Tankred Stöbe an der syrisch-irakischen Grenze ankommt, ist dem Krieg nur knapp entkommen. Die Geschichte eines modernen Heldens.
Krisengebiet Syrien Der selbstlose Einsatz eines deutschen Arztes

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Sie sind ausgehungert, erschöpft, oft schwerkrank. Besonders die Kinder. Wer hier im irakischen Grenzlager Pishkabur ankommt, ist dem Krieg in Syrien nur knapp entkommen. Hier wartet ein Deutscher auf sie: der Berliner Arzt Tankred Stöbe. "Das ist Niemandsland, das ist heiß. Aber was uns natürlich Sorgen macht, sind die wunderablen Menschen. Mütter, die gerade entbunden haben, mit ihren kleinen Säuglingen. Schwangere Frauen, aber auch alte Leute mit chronischen Erkrankungen." Die syrische Grenze ist nur fünf Kilometer entfernt. Doch der Weg ist eine Tortur. In der Sonne herrschen 45 Grad. Wir fahren mit Stöbe zur Grenze. Wer sich hier einreiht, dem ist nur geblieben, was er tragen kann. Oft wartet Stöbe genau hier. Aus gutem Grund. Er hält Ausschau nach Kranken, nach Familien, nach Kindern, die schnell Hilfe benötigen. Denn ohne diese würden sie den Marsch durch die Wüste von der Grenze bis ins Auffanglanger kaum überstehen. "Can you ask, if the Baby is okay?"..."They should go first" Stöbes Geschichte, ist die Geschichte eines Mediziners, der mehr ist, als ein Arzt, der Erstversorgung leistet. In einer solchen Krisenregion Arzt zu sein, bedeutet für Stöbe auch mit Soldaten zu diskutieren, ob sie Menschen über die Grenze lassen. Es gibt Tage, da drängen 1200 Flüchtlinge hier in den Irak. Oft sind die Menschen bereits mehrfach innerhalb Syriens geflohen. Der Irak ist ihre letzte Chance. "Es gibt so ein paar Elemente des Lebens, die alle berichten. Also die Schwierigkeiten oder, dass das Leben gar nicht mehr möglich ist. Seit Monaten kein fließend Wasser mehr. Der Strom ist abgedreht worden. Sie können ihren Beruf nicht mehr ausüben. Es gibt auch nicht mehr genügend zu essen. Also da müssen sie sich gegenseitig aushelfen. Schwieriger aber noch ist dann - und das ist oft der Moment, wo sie sich entscheiden zu fliehen – wenn dann in ihrer Nachbarschaft geschossen wird." Stöbe ist Präsident von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. Er ist ein erfolgreicher Funktionär, 45 jahre alt, er hat eine junge Frau. Er müsste nicht in Kriegsgebieten arbeiten. Er macht es trotzdem. In Deutschland schuftet er wie verrückt Überstunden, um sich Urlaub nehmen zu können für Auslandseinsätzen wie diesen. Für Ärzte ohne Grenzen war Stöbe schon in Somalia, in Pakistan und in Indonesien nach dem Tsunami. Seine Mission ist es, den Menschen zu helfen. Nun also der Irak. "Menschen hier, die nach Monaten aus einem Flüchtlings- aus einem Kriegsgebiet heraus kommen. Als Flüchtlinge, die schwerste Schicksalsdramen durchgemacht haben, die lebensbedrohlich verletzt wurden. Oder bedroht wurden. Oder alle ihre existenziellen Grundlagen verloren haben. Und dann zu sehen wie diese Menschen, wie man denen dann, wenn sie über diese Grenze kommen, als erste menschliche Anlaufstelle in diesem Zelt ein bisschen was an Wärme und an Zuwendung und Interesse entgegenbringen kann, das finde ich ganz, ganz wichtig." Die Untersuchung beginnt mit einer einfachen frage: Wie geht es Ihnen? Bereits da brechen viele Flüchtlinge in Tränen aus. Ihr Wohlbefinden hat in dem dreieinhalb Jahre andauernden Krieg noch niemanden interessiert. "Hier kann ich nochmal ganz anders Arzt sein. Es ist natürlich das medizinische, was hier nochmal breiter ist und nochmal ganz anders als es im Berliner Kontext ist, aber hier neben der Medizin diese schicksalhaften Begegnungen." Stöbe begutachtet die Medikamente, die die Flüchtlinge bei sich tragen. Gerade chronisch Kranken fehlen dringend notwendigen Tabletten über einen langen zeitraum. Die medizinische Versorgung ist in Syrien längst zusammengebrochen. Besonders schwierig wird es für Stöbe, wenn er vor der Entscheidung steht, welches Leben er retten kann - und welches nicht. Hamad ist zwei Monate alt. Er wiegt nicht einmal zwei Kilo. Seine Familie ist aus dem Norden Syriens geflohen. Eigentlich müsste der Säugling zwei Wochen an einen Tropf. Sonst stirbt er. "Natürlich ist das auch immer ein Dilemma als Arzt zu sehen, was bräuchte dieses Kind, was bräuchte dieses schwerkranke, mangelernährte Kleinkind eigentlich. Was wären wir bereit. Was können wir geben. Aber was ist dann auch das kulturelle Umfeld. Was sind die Wünsche der Eltern. Was ist die medizinische Infrastruktur, auf die wir nur bedingt Einfluss haben. Und es ist oft schon frustrierend zu sehen, ja dieses Kind könnte gerettet werden, aber es stirbt vielleicht trotzdem, weil die Bedingungen einfach so schwierig sind." Der kleine Hamad wird die Strapazen überleben. Gerade so. Doch nicht alle haben dieses Glück. Lagebesprechung unter den Mitarbeitern von Ärzte ohne Grenzen. Am Vortag verstarb ein junger Mann nach einem Herzschlag. Ihre Hilfe kam zu spät. Die Gefühle zu teilen, ist ein Weg, um mit der bedrückenden Lage umzugehen. "Auch wichtig die Frage, wie gehe ich damit um. Mir ist eben ganz wichtig, da nicht abgebrüht zu sein, mir einen Panzer umzulegen und zu sagen, das geht mich nichts mehr an. Im Gegenteil: zu sagen, was mir an Leid da entgegenkommt, das als Ansporn zu nehmen, als emotionale Motivation: ich will hier was tun. Ich kann hier auch was tun." Ein Ansporn, obwohl die Lage unglaublich schwierig ist. Und - nicht besser wird. Die Flüchtlingslager sind überfüllt. Und es drohen neue Gefahren: Im Januar werden Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen entfürt. Im Juni fallen Dschihad-Kämpfer von Syrien aus in den Irak ein. Stöbes Aufenthalt in dem Krisengebiet war da bereits vorbei. Doch er will schon wieder los. So schnell wie möglich.