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AKW Fukushima in Japan Mit Wasserpistolen gegen den Super-GAU

Immer neue Methoden ersinnen die Techniker im AKW Fukushima, um die Kernschmelze zu verhindern. Doch lässt sich ein Super-GAU mit Wasserwerfern und dem Einsatz von Hubschraubern stoppen?
Von Mareike Rehberg

Seit acht Tagen kämpfen die Techniker im Atomkraftwerk Fukushima 1 verzweifelt gegen die drohende, in einigen Reaktorblöcken vermutlich schon begonnene Kernschmelze. Immer wieder versuchen sie mit neuen, zum Teil abenteuerlich anmutenden Methoden, die überhitzten Brennstäbe im Inneren der stark beschädigten Reaktorblöcke zu kühlen, Brände zu löschen und das fehlende Wasser in den Becken wieder aufzufüllen. Ob ihr selbstloser Einsatz überhaupt etwas nützt, ist umstritten, viele Fachleute sehen die Kühlungsversuche als Tropfen auf den heißen Stein.

Schon seit Samstag, dem ersten Tag nach dem Tsunami, der das Kühlsystem lahmgelegt hat, leiten die Arbeiter provisorisch mit Borsäure versetztes Meerwasser in die Reaktoren - mit Hilfe von Feuerwehrpumpen, die keineswegs dafür gedacht sind. So sollen die Brennstäbe, die zeitweise komplett trocken liegen, gekühlt werden. Eine allerletzte Notlösung, die in keinem Betriebshandbuch steht, so bezeichnen Experten der renommierten US-Wissenschaftlerorganisation Union of Concerned Scientists (UCS) die Maßnahme.

Am Samstagnachmittag verschlimmerte sich die Lage, in Reaktorblock 1 explodierte Wasserstoff und zerstörte das Dach und die Wände. In den folgenden Tagen wurden mehrere Reaktoren durch Explosionen und Brände schwer beschädigt. Die Techniker können nicht mehr direkt zu den Reaktoren vordringen, die radioaktive Strahlung ist zu hoch, Feuer und zerstörte Zufahrtswege behindern die Löschmaßnahmen.

Lage lässt sich von außen schwer beurteilen

Hinzu kommt, dass man von außen schwer sagen kann, wie groß die Gefahr wirklich ist. Die Wasserstände in den einzelnen Reaktoren können nur geschätzt werden. In den Blöcken 1 und 3 sind die Brennstäbe nach Informationen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) nur halb mit Wasser bedeckt, im Reaktor 2 liegt der Wasserstand etwas über der Mitte der Brennstäbe. Außerdem wird vermutet, dass der Sicherheitsbehälter beschädigt ist, was zu einem verstärkten Austritt von Radioaktivität führen kann. In den Reaktoren 1, 2 und 3 sind die Brennstäbe nach IAEO-Angaben vermutlich beschädigt. Die Situation im Reaktor 4 bezeichnet IAEO-Experte Graham Andrew sogar als "große Sicherheitsgefahr": Seit Dienstag gebe es keine Daten mehr über den Zustand der Brennstäbe im Abklingbecken, nach dem letzten gemessenen Wert war das Wasser dort kurz vor dem Kochen.

Also ersinnen die Fachleute vor Ort immer neue Methoden: Am Mittwoch kreisten erstmals Hubschrauber über der AKW-Ruine, wegen zu hoher Strahlung mussten sie wieder abdrehen. Am Donnerstag startet ein neuer Versuch, die Blöcke 3 und 4 werden aus der Luft mit Wasser besprüht, am Boden kommen Wasserwerfer zum Einsatz. Am Freitag helfen neben den Mitarbeitern des AKW-Betreibers Tepco nun auch Fachleute anderer Energiekonzerne, Angehörige der Armee und Feuerwehrleute bei der Bekämpfung der Atomkatastrophe - mehr als 120 Männer sollen an dem strahlenden Wrack im Einsatz sein, rund 140 weitere Feuerwehrleute werden erwartet.

Während der ganzen Zeit arbeiten die Techniker fieberhaft daran, die Stromversorgung wiederherzustellen, um die Kühlung in den Reaktoren 1 und 2 wieder in Gang zu bekommen. Ein Stromverteiler zu Block 1 wurde bereits installiert, an der Verbindung zum Transformator am zweiten Reaktor wird gearbeitet. Immer wieder heißt es, die Stromversorgung sei bald wiederhergestellt. Erst sollte es Donnerstag so weit sein, jetzt hoffen die Betreiber auf einen Erfolg am Samstag. Derweil ist zur Kühlung der Blöcke 5 und 6 auch ein Diesel-Generator im Einsatz. Die Reaktoren 3 und 4 sollen am Sonntag ans Stromnetz angeschlossen werden.

Zweifel über den Nutzen der Kühlmaßnahmen

Über Sinn und Unsinn all dieser Aktivitäten gibt es unterschiedliche Ansichten. Japans Regierungssprecher Yukio Edano wertet die Kühlversuche an Block 3 als Erfolg, ein Armeesprecher fügt hinzu: "Wir haben das Ziel getroffen." Der Betreiber Tepco will die Aktionen mit Wasserwerfern und Hubschraubern zwar fortsetzen, erwägt aber schon, das Kraftwerk unter einer Schicht aus Sand und Beton zu begraben, um die Ausbreitung der Strahlung zu verhindern. Optimistisch klingt diese Ansage nicht.

Auch Fachleute wie der Greenpeace-Atomexperte Karsten Smid haben ihre Zweifel, ob die verzweifelten Aktionen am AKW Fukushima 1 etwas bringen. Die Hubschrauber beispielsweise konnten ihr Wasser wegen der hohen Radioaktivität nur im Vorbeifliegen abwerfen, ein präzises Zielen ist nahezu unmöglich. Smid bezweifelt, dass überhaupt Kühlwasser im Reaktorbehälter ankommt, die Situation sei "mies". Ob die Wiederherstellung der Stromversorgung Besserung bringt, ist ebenfalls unklar. Denn selbst wenn die Energie wieder fließt, ist noch lange nicht gesagt, dass die Kühlsysteme, die Messinstrumente und der Rest der Technik in dem zerstörten Kraftwerk wieder funktionieren.

Dass in Fukushima alles schnell gelöst sein wird - mit dieser Nachricht darf vorerst niemand rechnen.

mit Agenturen

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