Das Technikkaufhaus "Bic Camera" in Tokio am Freitagnachmittag. Es ist ruhig, doch auf einmal wackeln die Regale, der Boden schwankt - und die Besucher ahnen: Die kleineren Beben zu Beginn dieser Woche in Tokio waren nur ein Vorspiel waren auf das, was am Freitag passierte.
Vor den Kaufhaustüren, draußen auf dem Bürgersteig geht es sich auch Minuten nach der ersten Bebenwelle noch wie auf einem Schiff bei schwachem Seegang. "Das war das stärkste Erdbeben, das ich erlebt habe", sagt ein Rentner. Hochhäuser schwanken leicht. Die Erdstöße verursachen sichtbare Schäden an und in den Gebäuden. Getroffen hat es auch den 20-stöckigen Wolkenkratzer, in dem sich in den zwei obersten Etagen der Tokioter Club der Auslandspresse befindet. Die Fahrstühle fallen aus, das Treppenhaus ist übersät mit abgeplatztem Mörtel und anderem Schutt. Die Wucht der Erschütterungen hat fest verschraubte Bücherregale aus der Wand gerissen. Den Korrespondenten steht der Schock ins Gesicht geschrieben.
Leben mit der Gefahr
Am Horizont: Meter hohe Flammen eines Feuers in der Ölraffinerie der Gesellschaft Cosmo steigen gen Himmel. Nur Japans guter Vorsorge ist es zu verdanken, dass die Katastrophe noch vergleichsweise geringe Auswirkungen haben wird. In keinem Land werden Häuser so erdbebensicher gebaut wie hier, werden Baurichtlinien und -technik immer weiter verbessert. Der historische Tokioter Bahnhof wurde sogar in seiner gesamten Länge von mehr 300 Metern nachträglich auf mächtige Gummi-Stahlpuffer gestellt, um auch schwerste Erdbeben unbeschadet zu überstehen. Solche Maßnahmen kommen nicht von ungefähr: Das Inselreich thront auf der Bruchzone gleich mehrerer Erdplatten. Fast täglich werden Erdstöße irgendwo auf dem Archipel registriert. Zudem wird Japan von rund 40 aktiven Vulkanen bedroht.
Die Japaner leben seit Jahrzehnten mit der Gefahr und haben sich darauf eingestellt. Selbst am Freitag reagieren sie relativ gelassen und ruhig. "Gegen Erdbeben kann man nichts machen, sondern nur hoffen, nicht da zu sein, wenn sie passieren", sagt eine Frau. Auch die Regierung bewahrt kühlen Kopf. Sie richtet umgehend einen Krisenstab ein und ordnet Evakuierungen an, die sehr geordnet ablaufen. Notfallzentren füllen sich schnell. Allerdings bleibt die Frage, warum das Mega-Beben und der schwere Tsunami nicht vorhergesagt werden konnten, obwohl gerade Japan über technisch hochgerüstete Frühwarnsysteme verfügt.
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Schnell wird den Japanern klar: Ihr Land hat Glück im Unglück gehabt. Nicht auszudenken, wenn das Epizentrum im Großraum Tokio mit seinen 36 Millionen Einwohnern gelegen hätte. 1923 starben beim großen Kanto-Erdbeben mehr als 100.000 Menschen. Ein Beben der Stärke 7,3 auf der Richterskala in der Region um die Stadt Kobe im Jahr 1995 kostete mehr als 6000 Einwohnern das Leben. Erderschütterungen dieser Größenordnung in der japanischen Hauptstadt würden nach amtlichen Berechnungen 11.000 Tote fordern und Schaden im mehrstelligen Milliardenbereich anrichten. Ein Beben der Stärke 8,9 wie am Freitag haben die Experten für Tokio offiziell gar nicht erst durchgerechnet. Die Begründung lautet, Erdstöße solch katastrophalen Ausmaßes kämen in der Stadt nur alle 200 bis 300 Jahre vor. Und da das letzte erst 90 Jahre her ist, müsse ein solches Horrorszenario nicht erstellt werden. Der wahre Grund aber ist, dass die Einwohner der Metropole und ihrer Umgebung nicht übermäßig verunsichert werden sollen.
An diesem Freitag kommt zumindest Tokio mit dem Schrecken davon. Stunden nach dem Beben beginnt wieder der Alltag. Seit dem späten Abend fahren wieder einige Bahnen. Die Einwohner fangen an, ihre Stadt aufzuräumen - stets im Gedanken an die vielen hundert Opfer im Nordosten des Landes.