Fahnen in bunten Farben wehen im leichten Wind, junge und ältere Menschen sitzen auf Picknickdecken und spielen Karten, andere liegen in ihren Schlafsäcken und sonnen sich im vormittäglichen Licht. Seit den frühen Morgenstunden haben Aktivisten von Extinction Rebellion den Großen Stern in Berlin, die Umgehungsstraße um die Siegessäule und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, besetzt. An allen fünf Zufahrtsstraßen haben sie sich auf die Straße gesetzt. Für Autos gibt es kein Durchkommen.
Seitdem bauen sich die Leute vor Ort Ihre eigene Welt. Zwei Künstler erschaffen mit riesigen Netzen Seifenblasen und lassen sie über die Menge schweben. Verschiedene Kleingruppen machen Musik, initiieren Kanons, andere bemalen die Straßen mit dem XR-Symbol, einer stilisierten Sanduhr in einem Kreis, die die Welt und die davonlaufende Zeit darstellen soll. Immer wieder gibt es Sprechchöre. "Extinction!" ruft einer unvermittelt, "Rebellion" heißt es lautstark aus der Runde zurück.
"Die besorgte Mitte der Gesellschaft"
Auf der Wiese vor der Säule steht die "Rebella", eine Arche aus Holz. Sie soll als Bühne dienen und ist als Parallele zur großen Sintflut aus dem Alten Testament gedacht. Am Vormittag bemalen Aktivisten sie mit verschiedenen Tieren in rosa Farbe. Insgesamt herrscht auch dank des sonnigen Wetters eine sommerliche Volksfestatmosphäre. Ein Fest für alle, unabhängig von Alter, Geschlecht und Beruf.
"Die Leute hier sind die besorgte Mitte der Gesellschaft. Es sind nicht nur junge Aktivisten, die schon seit Jahren aktiv sind. Auch viele ältere sind dabei", erzählt Annemarie Botzki. Die 32-Jährige ist eine der Sprecherinnen der Bewegung in Deutschland. und bericht unter anderem von einer über 70-jährigen Rentnerin, die seit halb vier Uhr morgens mitgeholfen habe.
Marta dagegen ist "erst" 62 und war am 20. September schon bei der großen Demo von "Fridays for Future". Seit diesem Sommer engagiert sie sich nebenher für Extinction Rebellion. "Die Atmosphäre hier ist super. Wir machen friedlich und mit guter Laune auf eine großes Problem aufmerksam. Was soll man dagegen haben?"
In Amsterdam und London gab es Festnahmen
In anderen Städten hat zumindest die Polizei etwas gegen einige Teilnehmer: In den Niederlanden und Großbritannien gab es am Montag zahlreiche Festnahmen. Die Amsterdamer Polizei nahm etwa 50 Demonstranten bei einer Blockade-Aktion in Gewahrsam. Die Demonstranten hatten am frühen Montagmorgen eine wichtige Durchgangsstraße versperrt und Dutzende kleine Zelte aufgestellt. Mit "zivilem Ungehorsam" solle die Regierung gezwungen werden, mehr für den Klimaschutz zu tun, sagte ein Sprecher der Demonstranten im niederländischen Radio. Die Stadt hatte die Protestaktion aber an dieser Stelle verboten.
In London legten Teilnehmer des Klimaprotests teilweise den Verkehr in der britischen Hauptstadt lahm. Mehrere Gruppen von Demonstranten blockierten am Morgen die Westminster Bridge und mehrere Straßen im Regierungsviertel. Bereits wenige Stunden nach Beginn des Protests hatte es mehr als 20 Festnahmen gegeben. Auch in Australien und Neuseeland demonstrierten Hunderte Aktivisten, Dutzende wurden festgenommen, wie die Polizei mitteilte. Aktionen sollte es unter anderem auch in Paris, Madrid, New York und Buenos Aires geben.
XR will aufhören, "wenn die Regierung den Klimanotstand ausruft"
Wie lange möchten die Aktivisten in Berlin den Kreisverkehr um die Siegessäule blockieren? "Die Polizei wird uns nicht eine Woche hier sitzen lassen", sagt Botzki. Trotzdem wolle man weiterhin mit den Behörden sprechen. "Notfalls lassen wir uns wieder von der Polizei wegtragen."
Bei einer anderen XR-Demonstration am Potsdamer Platz nach der "Fridays-for-Future"-Demo hatten etwa 1000 Leute am Abend die Straße blockiert. Nach mehreren Aufforderungen, zu gehen, trugen Polizisten die Blockierer damals von der Straße. "Es gibt allerdings ein Szenario, in dem wir abbauen würden", sagt Aktivist Norman Schumann. "Nämlich wenn die Regierung den Klimanotstand ausruft und unsere Forderung alle erfüllt werden."
Carola Rackete spricht auf der Arche
Ab 12 Uhr sammeln sich allmählich immer mehr Kameraleute und sowie Journalisten rund um die Arche. Der Auftritt von Carola Rackete ist angekündigt. Davor wird noch unter großem Jubel der Mast des Schiffs aufgestellt und an der Spitze eine XR-Fahne gehisst.
Carola Rackete spricht zunächst recht wissenschaftlich, wählt hölzerne Formulierungen, es gelingt ihr nicht, die Menge zu begeistern. Sie verweist auf wissenschaftliche Studien, erwähnt historische Umweltkatastrophen und zitiert die Bibel. Erst nach und nach kann sie die Zuhörer vor der Arche fesseln. "In den vergangenen zehn Jahren lief erst der Trailer für den Horrorfilm über unseren Planeten und die Menschheit", sagt sie mit Nachdruck. An die Politik richtet sie eine klare Ansage: "Es ist an der Zeit, dass die Regierung die Wahrheit sagt und den ökologischen Notstand ausruft!" Ihre Rede beendet sie mit einem Schlachtruf, der ankommt. "Extinction!" - "Rebellion", ruft die Menge. Das war keine schwere Aufgabe.