Am Tag danach steht das Wohnhaus mit der Nummer 30 verlassen und zerstört in der Harrisleer Straße in Flensburg. Die beige Fassade verkohlt, die Fenster teils zerstört, der Dachstuhl nur noch ein Gerippe. Das dreistöckige Gebäude ist unbewohnbar. Flatterband sperrt es ab. "Brandstelle. Tatort. Ist beschlagnahmt! Betreten verboten!", steht auf leuchtend roten Aufklebern an der Eingangstür. Das Zuhause von 43 Männern, Frauen und Kindern ist den Flammen zum Opfer gefallen, die am Donnerstagnachmittag aus den Fenstern schlagen (der stern berichtete).
Flensburg trauert um Feuer-Tote
Die Fördestadt steht am Tag danach unter Schock. Da ist die Trauer um einen vierjährigen Jungen und dessen 70-jährige Oma, die den Brand nicht überlebten. Und da ist das Entsetzen über das, was sich während des Feuers auf der Straße abspielte. Aber da sind auch: Mitmenschlichkeit, Fürsorge, Hilfsbereitschaft.
Der Notruf erreicht die Feuerwehr gegen 16.50 Uhr, acht Minuten später sind die ersten Einsatzkräfte vor Ort, rund 120 werden es am Ende sein. "Bei Eintreffen der Feuerwehr mussten wir feststellen, dass ein Mehrfamilienhaus in Vollbrand stand und mehrere Personen sich noch in dem Gebäude befanden", sagt Feuerwehr-Einsatzleiter Marco Litzkow der Nachrichtenagentur DPA. Sofort beginnen die Retter mit dem Löschen, dringen in das Gebäude ein – müssen es aber schon bald wieder verlassen. Die Treppe in die Stockwerke ist eingestürzt, das Treppenhaus nicht mehr begehbar, die Gefahr für die Helfer zu groß. Das Feuer breitet sich in kürzester Zeit in dem Haus aus. Von außen versucht die Feuerwehr Herr der Flammen zu werden. An einen Einsatz wie diesen könne er sich nicht erinnern, sagt Flensburgs Feuerwehrchef Carsten Herzog noch am Abend.
Freiwillig mitten ins Feuer

Ist eine Freiwillige Feuerwehr in der Leitstelle als einsatzbereit angemeldet, müssen die Feuerwehrmänner - und frauen zu jeder Tageszeit mit einem Alarm rechnen. Sobald ihr FME, der Funkmeldeempfänger, laut piept, tickt die Uhr. Jede Minute zählt. Bei vielen Freiwilligen stehen die Einsatzstiefel mit der darübergestülpten Hose schon sprungbereit neben der Haustür. Die sogenannte Hilfsfrist ist je nach Bundesland und Kommune unterschiedlich, bei einem Brand jedoch wird es statistisch gesehen bereits nach 17 Minuten kritisch. Danach wird aus einem Zimmerbrand schnell ein Vollbrand der Wohnung oder des Hauses.
Was zu Beginn des Einsatzes noch niemand weiß: Zwei Menschen schaffen es nicht aus dem Gebäude. Nicht einmal die toten Körper des Kindes und der Seniorin kann die Feuerwehr in den ersten Stunden bergen. Andere Hausbewohner können sich in Sicherheit bringen. "Einige konnten sich und ihre Kinder nur durch Sprünge aus den Fenstern retten", schreibt das "Flensburger Tageblatt". Noch bevor die Feuerwehr am Brandort eintrifft, eilen Anwohner der Harrisleer Straße herbei, schreiben eine Heldengeschichte. Sie schaffen Matratzen und einen Container heran, damit die eingeschlossenen Menschen darauf springen und so den Flammen entkommen können.
Es müssen sich dramatische Szenen abgespielt haben. Flensburgs Feuerwehrchef sagt, was ihm seine Kollegen schildern: "Menschen, die sich versuchen, selber zu retten. Menschen, die in der Nähe gewohnt haben oder aus dem Haus stammen und versuchten, andere zu retten." Aufgestapelte Matratzen vor dem beigen Haus mit der Hausnummer 30 sind am Morgen danach stumme Zeugen dieser Heldengeschichte.

Doch es gibt noch eine andere Geschichte. Sie sorgt für Fassungslosigkeit bei den Einsatzkräften und Flensburgs Oberbürgermeister Fabian Geyer (parteilos). Immer mehr Schaulustige strömen im Verlauf der Löscharbeiten in die Harrisleer Straße, mehr als Hundert sollen es sein, die Polizei sperrt schließlich die Umgebung ab. Die meisten wollten helfen, sagt der Feuerwehrchef, aber eben nicht alle. Einige lassen alle Hemmungen fallen. "Es gab aber auch Schaulustige und Menschen, die Videos machten, die später im Netz kursieren."
Oberbürgermeister Geyer wird angesichts der pietätlosen Gafferei und Filmerei deutlich: "Man ist da ja gefangen in den Gefühlen zwischen Unverständnis, Wut, Zorn, Sprachlosigkeit, dass Menschen (...), wenn andere um ihr Leben kämpfen (...) Freude daran haben das zu filmen und ins Netz zu stellen." Das habe nichts damit zu tun, wie eine zivilisierte Gesellschaft sich zu benehmen habe. Es sei intolerabel. Die Polizei kündigt an, strafrechtliche Schritte zu prüfen.
Brandursache ist noch ungeklärt
Am Ende zählt die Feuerwehr neben den zwei Toten neun Verletzte. Sie werden im Krankenhaus behandelt, drei von ihnen kommen dem Norddeutschen Rundfunk zufolge auf die Intensivstation. Zwei Verletzte können die Klinik bis zum Freitagmorgen wieder verlassen. In Lebensgefahr schwebe niemand. Die Überlebenden können in Notunterkünften unterkommen. Ihr Zuhause, ihr Hab und Gut sind zerstört.
Die Ursache für den verheerenden Brand ist am Tag danach noch unklar. "Es liegen keine Hinweise auf Fremdverschulden oder ein fremdenfeindliches Motiv vor", teilt die Polizei mit. Experten sollen die Brandruine untersuchen. Im vergangenen Jahr hatte es in Flensburg immer wieder mutwillig gelegte Brände in Wohnhäusern gegeben, die die Stadt in Unruhe versetzten. Die Polizei nahm mehrere Verdächtige fest, die Zahl der Brände ging zurück.

Am Tag nach dem Feuer in der Harrisleer Straße kommt Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) nach Flensburg. Sie spricht von einer "furchtbaren Tragödie". "Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der Toten und bei den Verletzten, die sich noch aus dem Haus retten konnten", sagt sie der DPA. Sie dankt den Helfern von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Polizei – und den weiteren Helden von Flensburg. "Mein Dank gilt aber auch den Menschen, die den Bewohnerinnen und Bewohnern geholfen haben, um sich aus dem Gebäude in Sicherheit bringen zu können."
Quellen: Polizeidirektion Flensburg, Norddeutscher Rundfunk, "Flensburger Tageblatt", Nachrichtenagentur DPA