Die Schüsse fielen am späten Mittwochabend: Vor einer Shisha-Bar im hessischen Hanau hat ein Mann mit einer Waffe mehrere Menschen umgebracht. Später wurde vor einem weiteren Lokal in der Stadt geschossen, auch dort starben Menschen. Insgesamt gab es elf Tote, darunter soll auch der mutmaßliche Täter sein.
Am Donnerstagmorgen verlautete nach Angaben der Nachrichtenagentur DPA aus Sicherheitskreisen, dass es ein Bekennerschreiben und ein Video gibt. In diesem vor wenigen Tagen veröffentlichten Video spricht der Mann in fließendem Englisch von einer "persönlichen Botschaft an alle Amerikaner". Der Clip wurde offensichtlich in einer Privatwohnung aufgenommen. Darin sagt der Mann, in den USA existierten unterirdische Militäreinrichtungen, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Dort würde auch dem Teufel gehuldigt. Amerikanische Staatsbürger sollten aufwachen und gegen diese Zustände "jetzt kämpfen". Ein Hinweis auf eine bevorstehende eigene Gewalttat in Deutschland ist in dem Video nicht enthalten.
Bereits in der Nacht hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen wegen der besonderen Bedeutung des Falls übernommen. Das sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Donnerstag. Nach DPA-Informationen sind Hinweise auf eine ausländerfeindliche Motivation des mutmaßlichen Täters der Grund. Das passiert immer dann, wenn es Hinweise auf eine staatsgefährdende Tat gibt. Zuvor hatte der "Spiegel" berichtet.
Schüsse an zwei Tatorten
Wie die Polizei mitteilte, griff der Täter gegen 22 Uhr zunächst die Bar am Heumarkt an, im Westen von Hanau. Dort seien mehrere Menschen erschossen worden, sagte der Polizeisprecher. Ein dunkler Wagen sei von dort weggefahren, hieß es weiter. Vor dem Lokal am Heumarkt waren nach den Schüssen Patronenhülsen zu sehen, wie ein Reporter der DPA berichtete. Nicht weit entfernt in einer Seitenstraße fanden die Ermittler ebenfalls Patronenhülsen auf dem Fußweg, auch hier ist bislang aber noch unklar, was genau passiert ist.

Kurz darauf wurden im weiter westlich gelegenen Stadtteil Kesselstadt weitere Menschen erschossen. Der zweite Tatort liegt nur zwei Kilometer vom ersten entfernt. Insgesamt starben neun Personen bei den beiden Angriffen.
Zwei weitere Leichen in Hanauer Wohnung entdeckt
Die Polizei fahndete mit einem Großaufgebot nach dem oder den Tätern. Am frühen Donnerstagmorgen stürmten Spezialkräfte dann eine Wohnung im Stadtteil Kesselstadt. Nach Zeugenaussagen zum Fluchtfahrzeug gab es Hinweise, dass sich dort der mutmaßliche Täter aufhalten solle. In der Wohnung fanden die Polizisten zwei Leichen, unter diesen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter, sagte ein Polizeisprecher. Es gebe keine Hinweise auf weitere Täter.
Die Ermittlungen zu ihrer Identität seien noch nicht abgeschlossen. Angaben zu ihrer Nationalität wie zur Nationalität der neun zuvor erschossenen Menschen könnten noch nicht gemacht werden, hieß es weiter.
Entsetzen am Heumarkt
Am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt blicken Passanten später in der Nacht immer wieder fassungslos auf die Szenerie am abgesperrten Tatort. Es ist ein Verbrechen, das die beschauliche und nur wenige Kilometer östlich von Frankfurt gelegene Stadt in ihrer jüngeren Geschichte noch nicht erlebt hat.

Das Gebiet rund um den Heumarkt ist keine schmucke Gegend, Spielhallen, Wettlokale und Döner-Imbissbuden prägen das Straßenbild – und am späten Mittwochabend auch Polizeisirenen, Blaulicht und Absperrband. Die Polizei forderte Passanten und Schaulustige auf, den Bereich zu verlassen. Beamte mit Maschinenpistolen sicherten die Umgebung ab. Menschen standen in der Nähe der mit Flatterband abgesperrten Bereiche und weinten. In der Gegend kurvten wuchtige Sportkarossen umher.
Nahe der Absperrungen versammelten sich Männer in mehreren Grüppchen. Die Stimmung pendelte zwischen Entsetzen, Sprachlosigkeit und Wut, beobachteten Reporter von der Deutschen Presseagentur. Eine laut wehklagende Frau wurde von Sanitätern in ein nahe gelegenes Hotel gebracht. Dort saßen später im Frühstücksraum noch weitere Frauen versammelt, mit Tränen in den Augen.
"Ein Schock für alle"
Der zweite Tatort am Kurt-Schumacher-Platz liegt in einem Wohnviertel. Dort befindet sich im Erdgeschoss eines Wohnblocks eine Art Kiosk, mit der Aufschrift "24/7 Kiosk" auf der großen Glasscheibe, auf einem Reklame-Leuchtschild steht "Arena Bar & Café". Der Blick ins Innere ist versperrt, die Scheiben sind teils halbhoch mit orangefarbener Folie beklebt. Auf dem Platz vor dem Café stand in der Nacht eine beschädigte Limousine, die Frontscheiben waren zum großen Teil mit Rettungsdecken abgedeckt. Später wurde ein Feuerwehrzelt, das auch als Sichtschutz dient, um das Auto herum aufgebaut.

Auch hier sicherte die Polizei die Gegend weiträumig ab, ein schwer bewaffneter Beamter stand dabei. Immer wieder fuhren Einsatzwagen der Polizei zum Tatort, auch Krankenwagen waren vor Ort. Nur wenige Menschen waren hier in der Nacht noch unterwegs, einige kamen aber bis an das Absperrband der Polizei. Sie seien Freunde oder Angehörige von den Opfern, berichteten sie.
Unter ihnen war auch ein 24-Jähriger, der nach eigenen Angaben der Sohn des Kioskbesitzers ist. Er sei bei der Tat nicht vor Ort gewesen, sein Vater auch nicht, wie er erst später erfahren habe. Als er von den Schüssen gehört habe, sei er sofort hergekommen. "Ich habe erstmal einen Schock bekommen." Die Opfer seien Leute, "die wir jahrelang kennen". Es seien zwei Mitarbeiter und eine Person, die er schon von klein auf kenne.
Wer verübt solch ein Verbrechen? Der 24-Jährige zeigte sich auf Nachfrage eines DPA-Reporters ratlos: "Wir kennen sowas nicht, wir sind auch nicht mit Leuten zerstritten. Wir können es uns gar nicht vorstellen. Es war ein Schock für alle."
Es gibt auch Verletzte
Die Polizei hatte die Zahl der Toten zunächst mit acht, am Morgen mit neun angeben. Außerdem wurden nach Polizeiangaben mehrere Menschen verletzt. Die genauen Hintergründe für die außergewöhnliche Gewalttat sind bislang unklar.

Eine mögliche dritte Schießerei im Stadtteil Lamboy bestätigte sich nicht. Die Polizei war aber auch dort mit einem Großaufgebot vor Ort.
Die zum Main-Kinzig-Kreis gehörende Stadt Hanau liegt rund 20 Kilometer östlich von Frankfurt/Main und hat etwa 100. 000 Einwohner. Zur Unterstützung der hessischen Polizei waren auch Beamte aus Bayern im Einsatz.
Politiker nach Verbrechen in Hanau erschüttert
Die Bundesregierung hat bestürzt auf das schwere Gewaltverbrechen in Hanau mit bislang elf Toten reagiert. "Die Gedanken sind heute morgen bei den Menschen in #Hanau, in deren Mitte ein entsetzliches Verbrechen begangen wurde", schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstagmorgen auf Twitter.
Die Hanauer Bundestagsabgeordnete Katja Leikert (CDU) sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Ich bin erschüttert darüber, was passiert ist." Auf Twitter schrieb sie: "In dieser fürchterlichen Nacht in Hanau wünsche ich den Angehörigen der Getöteten viel Kraft und herzliches Beileid." Und: "Den Verletzten eine hoffentlich schnelle Genesung. Es ist ein echtes Horrorszenario für uns alle. Danke an alle Einsatzkräfte!!"
Auch der CDU-Politiker Norbert Röttgen zeigte sich bestürzt. "Was heute Nacht in #Hanau geschehen ist, ist einfach erschütternd. Mein tiefstes Beileid an die Angehörigen der Opfer", schrieb der Bewerber für den CDU-Vorsitz am Morgen auf Twitter.