Langsam löst sich das Rätsel um die gesprengten Nordstream-Pipelines – auch wenn die deutschen Ermittler einen Rückschlag hinnehmen müssen. Die Generalbundesanwaltschaft in Polen hat Recherchen von "Zeit", ARD und "Süddeutscher Zeitung" bestätigt, nach denen europäischer Haftbefehl gegen einen Ukrainer vorliegt. Der Mann lebte zuletzt in Polen. Die Ermittler hätten ihn jedoch nicht an seinem Wohnort angetroffen, sagte eine Sprecherin der polnischen Generalstaatsanwaltschaft. "Er hat Anfang Juli die Grenze zwischen Polen und der Ukraine überquert."
Gesucht: Wolodymyr Z., Tauchlehrer
Bei dem Mann soll es sich um Wolodymyr Z. handeln, ein Tauchlehrer. Dass der Gesuchte ungehindert ausreisen konnte, lag laut der Sprecherin an der deutschen Seite, die keinen Eintrag in das Schengen-Register, in dem die mit Europäischem Haftbefehl Gesuchten geführt werden, vorgenommen habe. "Der polnische Grenzschutz hatte weder die Informationen noch die Grundlage, Z. festzunehmen, da er nicht als Gesuchter aufgelistet war", sagte die Sprecherin.
Ermittlungen zufolge, aus denen "Die Zeit" als auch der "Spiegel" berichten, sei Z. zwei Wochen vor der Explosion in der Ostsee in einem weißen Citroën bei Rügen geblitzt worden. Der gleiche Mann soll von Zeugen als Teil einer Gruppe erkannt worden sein, die von der Ukraine über Polen nach Deutschland gebracht wurde – und die als das mutmaßliche Sabotage-Kommando gelten.
Zwei weitere Ukrainer unter Verdacht
Nach Recherchen der Medien stehen auch zwei weitere ukrainische Staatsangehörige unter Tatverdacht – darunter eine Frau. Zur Tatzeit sollen insgesamt sechs Männer und die Frau an Bord einer Jacht gewesen sein, von der aus der Anschlag verübt wurde. Sie könnten als Taucher die Sprengsätze an den Pipelines angebracht haben, heißt es. Die nun veröffentlichten Informationen stützen sich auch auf "Hinweise eines ausländischen Nachrichtendienstes".
Die Nordstream-Pipelines, die von Wyborg und Ust-Luga in Russland unter der Ostsee verlaufen und in Lubmin bei Greifswald enden, wurden am 26. September 2022 gesprengt. Drei der insgesamt vier Röhren wurden beschädigt, die vierte stillgelegt. Die umstrittene Gasleitung liegt seitdem brach. Beinahe alle Ostsee-Anrainer sowie die Ukraine, Frankreich und die USA hatten die Pipeline aus Sicherheitsbedenken scharf kritisiert, weil sie die starke europäische Energie-Abhängigkeit von Russland zementiere.
Z. – in Polen ein Held?
In Polen und der Ukraine bestand daher auch ein eher geringes Interesse an der Aufklärung des Anschlags auf die Energietrasse. "In Polen galt der Bau der Nordstream-Pipelines als Sünde, ein mutmaßlicher Saboteur wie Wolodymyr Z. wäre aus dieser Perspektive ein Held, ähnlich haben sich polnische Politiker hinter vorgehaltener Hand immer wieder geäußert", schreibt etwa die "Zeit" über die schleppenden Ermittlungen.

Nach bisherigem Stand war Anfang September 2022 die Segeljacht "Andromeda" vom Rostocker Hafen aus zu der Sabotageaktion aufgebrochen, an Bord wohl auch Z. Der gesamte Törn verlief über Rügen, Bornholm, das dänische Christiansø, Sandhamn in Schweden und das polnische Kolobrzeg zurück nach Rostock. Zwölf Seemeilen südöstlich der Insel Bornholm wurden in 80 Meter Tiefe die Sprengsätze angebracht. An Bord der "Andromeda" wurden Sprengstoffreste gefunden.
Dänemark und Schweden stoppen Ermittlungen
Nach der Tat kam schnell die Frage auf, wie die Sprengladungen angebracht wurden, um die Leitungen der Pipelines zu beschädigen. Experten hielten es für möglich, dass ausgebildete Taucher Sprengsätze an den Orten angebracht haben könnten. Die Behörden mehrerer Länder nahmen nach dem Anschlag die Ermittlungen auf. Mittlerweile stellten Dänemark und Schweden die Verfahren allerdings ein.
Russland, das ebenfalls als mutmaßlicher Drahtzieher hinter dem Anschlag verdächtigt wird, hatte die Einstellung der Ermittlungen in Dänemark und Schweden kritisiert. "Die Entscheidung ist bezeichnend, und es ist bezeichnend, wie die Ermittlungen beendet wurden", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Februar dieses Jahres. Russland sei kein Zugang zu den Ermittlungsergebnissen gewährt worden. Und nun werde der Fall einfach zu den Akten gelegt.