Mit für den kommunistischen Staat ungewöhnlicher Offenheit hat Nordkorea auf das verheerende Zugunglück in Ryongchon reagiert - wenn auch erst zwei Tage nach der Katastrophe. Die Bestätigung der Regierung, dass die Explosion durch menschliches Versagen verursacht wurde und ein offizieller Hilferuf an die internationale Gemeinschaft sind für das abgeschottete Regime bislang beispiellose Schritte. Dass Pjöngjang damit eine neue Politik der Transparenz einläutet, ist fraglich: Die Reaktion dürfte vielmehr auf das Ausmaß der Katastrophe hindeuten.
Selbst ranghohe Vertreter des Landes waren von der Erklärung ihrer Regierung am Samstag überrascht. "Ich weiß nicht, was wirklich passiert ist, aber ich glaube, es ist sehr ernst, weil unser Land die internationale Gemeinschaft um Hilfe bittet", sagte der stellvertretende nordkoreanische UN-Botschafter Kim Chang Guk in New York. "Das bedeutet, dass es sich um einen ziemlich schweren Zwischenfall handeln muss", sagte der Diplomat der Fernsehnachrichtenagentur APTN.
Kinder unter den Opfern
Mindestens 154 Personen kamen nach offiziellen nordkoreanischen Angaben bei der Explosion am Donnerstagnachmittag in Ryongchong ums Leben. raurige Gewissheit: Unter den Todesopfern sind 76 Grundschulkinder. Mehr als 1.300 Menschen seien verletzt worden, meldete die amtliche Nachrichtenagentur KCNA. Ein Rot-Kreuz-Mitarbeiter berichtete, die Umgebung um den Unglücksort sei komplett "ausradiert". Ursache für die Explosion sei Fahrlässigkeit gewesen; ein elektrischer Kontakt habe die Detonation beim Rangieren von Eisenbahnwaggons ausgelöst, die zum Teil mit dem hoch explosiven Düngemittel Ammoniumnitrat beladen gewesen seien, berichtete KCNA.
Hintergrund
In den 90er Jahren hatte Pjöngjang nach einer katastrophalen Hungersnot schon einmal um weltweite Hilfe gebeten und ausländische Hilfer ins Land gelassen. Danach galten jedoch klare Restriktionen für die wenigen Ausländer in dem kommunistischen Staat, die Nordkoreaner wurden von der Außenwelt praktisch abgeschnitten.
Kommunisten gestehen Schwäche ein
Mit der Einräumung menschlichen Versagens hat die Regierung mit ihrer bisherigen Linie gebrochen, Schwächen des isolierten Regimes unter den Tisch zu kehren. Wirtschaftlicher und politischer Druck der USA, Überschwemmungen und andere Wetterkatastrophen werden in der Regel für die brachliegende Wirtschaft und die damit verbundenen Entbehrungen verantwortlich gemacht. Öffentliche Erklärungen strotzen gewöhnlich vielmehr vor pathetischem Lob für Staatschef Kim Jong Il, für die Streitkräfte und eine unbezwingbare Autarkie des Landes.
Ob das jetzige Eingeständnis menschlichen Versagens auch innerhalb Nordkoreas verbreitet wird, ist zweifelhaft - die Regierungserklärung könnte der sorgfältig gepflegten Glaubwürdigkeit des Regimes empfindlich schaden. Gegenüber dem Ausland sichert sie immerhin die offenbar mehr als notwendige humanitäre Unterstützung
Internationale Hilfe angerollt
Die nordkoreanische Regierung dankte in dem KCNA-Bericht der internationalen Gemeinschaft für die angebotene Unterstützung. In einem bislang beispiellosen Aufruf hatte das kommunistische Regime zuvor offiziell um Hilfe gebeten, wie UN-Sprecher Fred Eckhard in New York bestätigte. Vertreter der Vereinten Nationen und mehrerer Hilfsorganisationen wurden am Samstag in Ryongchon erwartet, wo sie die humanitären Bedürfnisse einschätzen und die medizinische Notfallversorgung einleiten sollten.
Nordkorea hatte bereits am Freitag mehreren internationalen Helfern den Zugang zum Unglücksort genehmigt. Allerdings durften sie nach UN-Angaben keine Mobiltelefone mitnehmen, so dass vorerst keine Meldungen über das Ausmaß der Katastrophe übermittelt werden konnten. Ausländischen Journalisten wurde der Zugang weitgehend verwehrt.
EU stellt Hilfsgelder bereit
Das Rote Kreuz stellte Zelte und Decken für rund 4.000 Familien zur Verfügung. Da bei dem Unglück fast 2.000 Wohnhäuser zerstört und gut 6.000 beschädigt wurden, war mit einer hohen Anzahl Obdachloser zu rechnen. Das Auswärtige Amt in Berlin bewilligte für Sofortmaßnahmen 50.000 Euro. Die Europäische Union sagte 200.000 Euro zu und kündigte die Entsendung eines Koordinators für humanitäre Unterstützung an.
Südkorea will nach Angaben aus Seoul Medikamente, Lebensmittel und andere Hilfsgüter im Wert von umgerechnet einer Million Dollar zur Verfügung zu stellen. Auf Regierungsebene sollen zudem Gespräche mit Pjöngjang über eine mögliche Unterstützung beim Wiederaufbau geführt werden.