"[Unser] Dorf ist unter Wasser. Es gibt keinen Weg dorthin", schildert Noor Mohammad Thebo die dramatische Lage "CNN"-Reportern, während ihm selbst das Wasser bis zu den Knöcheln steht. Thebo lebt in einem Dorf in der von dem Hochwasser besonders betroffenen Sindh-Region im Südosten Pakistans. Seit Mitte Juni wird das Land von einem ungewöhnlich starken Monsunregen heimgesucht, der in den letzten Wochen zu massiven Überschwemmungen geführt hat. Inzwischen steht ein Drittel von Pakistan unter Wasser – Häuser, Straßen, Vieh und Felder sind weggespült worden. Rund 33 Millionen Menschen mussten bereits aus ihrer Heimat fliehen, mehr als 1480 Menschen sind nach offiziellen Angaben ums Leben gekommen.
Auch Thebo weiß nicht, wann er nach Hause zurückkehren kann und was ihn dort erwartet. Zehn bis 15 Familien haben nicht schnell genug vor den Fluten fliehen können und sind nun in dem Dorf von den Wassermassen eingekesselt. "Es gibt keine Rettungsteams, die [ihnen] helfen könnten, und es gibt keine Möglichkeit herauszukommen", berichtet der Pakistani. Und eine Verbesserung der Lage ist vorerst nicht in Sicht.
Bis zu sechs Monate könnte es laut den Behörden dauern, bis das Hochwasser in den am stärksten betroffenen Gebieten des Landes zurückgeht. Die Schäden, die zunächst auf zehn Milliarden US-Dollar geschätzt worden waren, wurden Anfang der Woche auf das Dreifache beziffert.
Pakistan: Nach der Flut kommen Hunger und Krankheiten
Die Fluten haben vielen Menschen die Lebensgrundlage genommen. Wo einst Bauern auf den Feldern Getreide und Baumwolle geerntet haben, bringen nun hölzerne Motorboote die Bewohner von einem Insel-Dorf zum anderen. "Viele Leute haben sich auf höher gelegene Straßen gerettet. Es fehlt an Zelten, es fehlt an Nahrungsmitteln, an sauberem Wasser und an sanitärer Versorgung", erläutert Isabel Bogorinsky von der "Welthungerhilfe". Die Ausmaße der Katastrophe seien kaum vorstellbar, sagt sie. Selbst die Menschen in weniger betroffenen Gebieten leiden unter den Folgen. Die Preise für Lebensmittel sind fast überall in die Höhe geschossen, vieles ist knapp oder nicht erhältlich. Weil die Kunden ausbleiben, haben inzwischen viele Läden dichtgemacht.
Bisher haben die Vereinten Nationen und mehrere Länder rund 90 Flugzeugladungen mit Hilfsgütern geschickt. Doch die überfluteten Zugangsstraßen erschweren die Lieferung von dringend benötigtem Trinkwasser, Lebensmitteln und Medikamenten. Viele abgeschnittene Dörfer haben bislang noch gar keine Hilfe erhalten. "Wir sind verlassen, wir müssen alleine überleben", berichtet Ali Nawaz, ein Baumwoll-Farmer aus einem Dorf in der Sindh-Region, der "New York Times".
Hinzu kommen die gesundheitlichen Risiken, die das Hochwasser mit sich bringt. Die Sorge wächst, dass sich durch das stehende Gewässer – und die angelockten Mücken – schneller Infektionskrankheiten wie Denguefieber und Cholera ausbreiten. Bisher habe man mehr als 4000 Fälle von Denguefieber registriert, teilte die Regierung in der Hauptstadt Islamabad am Donnerstag mit. In der stark betroffenen Sindh-Region kämen täglich 150 bis 200 neue Fälle hinzu. Andere Krankheiten wie Ruhr, Durchfall, Malaria und Hautkrankheiten seien ebenfalls weit verbreitet. Besonders dramatisch ist die Lage für Schwangere. Tausende werdende Mütter hausen derzeit in provisorischen Zeltlagern, ohne medizinische Versorgung – und ohne jede Chance auf ein schnellen Weg ins Krankenhaus. "Mit 584.246 Menschen in Camps im ganzen Land könnte [eine] Gesundheitskrise verheerenden Schaden anrichten", warnte Pakistans Klima-Ministerin Sherry Rehman.
UN-Chef: "Noch nie ein solches Klima-Gemetzel gesehen"
Erschüttert über die Lage vor Ort zeigte sich auch UN-Generalsekretär António Guterres bei einem Besuch vergangene Woche. "Ich habe schon viele humanitäre Katastrophen auf der Welt gesehen, aber noch nie habe ich ein Klimagemetzel in diesem Ausmaß gesehen. Mir fehlen schlicht die Worte, um zu beschreiben, was ich heute gesehen habe: ein überschwemmtes Gebiet, das dreimal so groß ist wie die Gesamtfläche meines eigenen Landes, Portugal". Er forderte die Weltgemeinschaft dazu auf, "die Kräfte aller im Kampf gegen den Klimawandel zu mobilisieren". "Wir haben einen Krieg gegen die Natur geführt und die Natur schlägt jetzt auf verheerende Weise zurück, warnte Guterres."
Zu dem Schluss, dass die menschengemachte Klimakrise zu den verheerenden Regenfällen in Pakistan beigetragen hat, kommt auch eine am Donnerstag veröffentlichte Schnellanalyse des Netzwerks "World Weather Attribution" (kurz WWA). Für die stark betroffenen Provinzen Sindh und Baluchistan zeigen demnach Modellrechnungen, dass die Regenmenge über einen besonders schlimmen Fünf-Tage-Zeitraum bis zu 50 Prozent höher war, als es ohne Klimawandel der Fall gewesen wäre.
Insgesamt liege die Wahrscheinlichkeit, dass Überschwemmungen wie dieses Jahr jedes Jahr passieren, dem Netzwerk zufolge zwar nur bei einem Prozent. Es sei jedoch schwierig den Einfluss des Klimawandels genau zu quantifizieren, da die Regenfälle in der Region Pakistan von Jahr zu Jahr höchst unterschiedlich ausfielen. "Wir können aber mit großer Sicherheit sagen: Die Chance, dass so etwas passiert, wäre ohne Klimawandel geringer gewesen", bilanziert die deutsche Klimawissenschaftlerin Friederike Otto vom Imperial College.
"Globale Krise erfordert globale Antwort"
Pakistan liegt laut dem "Global Climate Risk Index" auf Rang acht der Länder, die weltweit am meisten von verstärktem Extremwetter durch den Klimawandel betroffen sind. Dabei hat das Land selbst kaum zur Krise beigetragen. Der globalen Emissionsdatenbank der Europäischen Union zufolge ist Pakistan für weniger als ein Prozent (0,6 %) der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, obwohl es fast 2,7 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht. Mit 32,5 Prozent ist China weltweit der größte Verursacher, die USA stehen mit 12,6 Prozent an zweiter Stelle, haben jedoch historisch gesehen die meisten Emissionen zu verantworten. Auch Deutschland gehört mit 1,7 Prozent zu den Top Ten.
UN-Generalsekretär Guterres nahm bei seinem Pakistan-Besuch daher besonders die G20-Länder in die Pflicht. "Es ist absolut notwendig, dass die Weltgemeinschaft das anerkennt, vor allem jene Länder, die mehr zum Klimawandel beigetragen haben", mahnte Guterres und forderte auf, das Land finanziell "massiv" zu unterstützen. "Heute ist es Pakistan. Morgen könnte es Ihr Land sein, wo auch immer Sie leben. Dies ist eine globale Krise...sie erfordert eine globale Antwort."
Unterdessen bereiten sich die Rettungskräfte in Pakistan auf weitere Regenschauer vor. Die Behörden riefen am Mittwoch die Alarmstufe "hoch" aus. Für Millionen Menschen könnte sich die bereits desaströse Lage nun noch weiter verschlimmern.
Quellen: "CNN", "NY Times", "Guardian", "UN-Bericht", "WWA-Studie", "WFP-Bericht", "CRI", mit DPA und AFP-Material