"Mein Gott!" "Was macht er denn da?!" "Was für ein Riesenschreck!" Die Touristen aus aller Welt, die von der Aussichtsplattform auf der Kuppel des weltberühmten Petersdoms über Rom blicken, wollen nicht glauben, was sie da sehen. Ein Mann in schwarzer Hose und hellblauem Kurzarmhemd klettert auf das Geländer und steigt darüber, als wäre es ein Gartenzaun. Das einzig Auffällige an dem Kletterer ist sein kurz gebundener Pferdeschwanz, seine Gesichtszüge sind entspannt. Mit dem Rücken Richtung Abgrund steigt er ein paar Meter nach unten und befestigt einen Karabinerhaken an der Unterseite der Plattform. Mit Hilfe eines Seils steigt er weiter abwärts – bis zu einem Steinvorsprung. Er öffnet seinen Rucksack und entfaltet ein Transparent.
Was aussieht wie eine Szene aus der Verfilmung eines Buches von "Da-Vinci-Code"-Autor Dan Brown hat sich so am späten Dienstagnachmittag tatsächlich ereignet . Die italienische Zeitung "Corriere della Sera" zeigt die gefährliche Aktion auf ihrer Internetseite. Sie wurde offenbar zufällig von Touristen gefilmt. Der italienische Restaurantbesitzer Marcello di Finizio harrt seit Stunden in 137 Metern Höhe auf dem Petersdom aus – und ließ sich bisher von niemandem zum Aufgeben bewegen.
Sein Restaurant wurde zweimal komplett zerstört
Auch wenn di Finizio die Parolen "Hilfe!!! Es reicht mit Monti, es reicht mit Europa, es reicht mit den Multinationalen" auf sein Transparent geschrieben hat, treibt ihn offenkundig mehr an als rein politische Agitation. Es ist die Angst vor dem finanziellen Ruin. Der 46-Jährige hat es schon das zweite Mal innerhalb von zwei Monaten geschafft, unbehindert auf den Petersdom zu klettern, eines der größten Kirchengebäude der Welt. Er betrieb italienischen Medienberichten zufolge ein beliebtes Restaurant am Strand von Triest, "La Voce della Luna" ("Die Stimme des Mondes"), das 2008 durch einen Brand vollständig zerstört wurde. Di Finizio berappelte sich wieder und errichtete auf Pfählen ein zweites Lokal. 2010 zerriss es eine Sturmflut. Seit dem Brand kämpft er dafür, den Schaden ersetzt zu bekommen, für den die Versicherung bis heute nicht aufkommt.
Der Mann auf dem Petersdom muss fürchten, dass es für ihn noch schlimmer kommen könnte: Bis zum Jahr 2015 muss Italien eine europäische Richtlinie für die Dienstleistungsbranche umsetzen, die vorschreibt, dass die Erlaubnisse für den Betrieb von Gaststätten versteigert werden. Di Finizio könnte das Letzte verlieren, was er noch hat: seine Konzession.
Maurizio di Finizi ist stark geschwächt
All das wird dem Italiener auf seinem Lagerplatz durch den Kopf gehen. Er, der Wert darauf legt, weder verrückt noch lebensmüde zu sein, sagt: "Ich bin einfach nur verzweifelt." Während di Finizio mit den Ministern für Sport (Piero Gnudi) und Europäische Angelegenheiten (Enzo Moavero) telefoniert, bereiten Helfer den Platz unter ihm auf die Audienz vor, die Papst Benedikt XVI. am nächsten Morgen abhalten wird.
Di Finizio lässt sich nicht besänftigen. Seine Forderungen sind klar: Er steigt herab, wenn die Regierung verspricht, sofort die Vertreter der Badeorte an einen Tisch zu bringen. Sie sollen mit ihm über seine Sache reden, zuhören, versuchen, die Versteigerung von Restauranterlaubnissen zu verhindern, die nicht nur seine Existenz bedrohen kann.
Doch bislang - so wirkt es jedenfall -, schalten beide Seiten auf stur. Am Mittwochmorgen verliert di Finizio das Gleichgewicht und stürzt um ein Haar. Er hat kaum geschlafen, ist im Hungerstreik, sein Körper geschwächt. Während 40.000 Gläubige den Worten des Papstes lauschen, schnallt sich di Finizio sein Rettungsseil ab.
Die Verantwortlichen sind in Rom angekommen
Mittlerweile sind sie angekommen, die Aufsichtsbeamten von der "Gesellschaft für die Badeorte", begleitet von Unternehmern, die im Touristiksektor arbeiten und di Finizio unterstützen wollen: "Die Gesellschaft für die Badeorte steht an der Seite Marcello die Finizios", heißt es auf der Website der Organisation. Ob sie mehr erreichen als die Vatikanpolizisten, die stundenlang mit di Finizio verhandelten, ist offen. Eins jedoch scheint sicher: Der Mann, der seit Jahren protestiert, vier Tage und Nächte auf einem Kran ausharrte und bereits zum zweiten Mal den Petersdom geentert hat, meint es ernst.