Seit Freitag bin ich mit vier Freunden beim "Paris Photo", einem großen Foto-Festival. Am Nachmittag waren wir im Grand Palais, haben Bilder angeschaut, Kaffee getrunken, den Abend und die weiteren Tage geplant. Wir sind an der Seine entlang gewandert, haben Selfies vor dem Eiffelturm gemacht, wollten später auf eine Party auf einem Boot. Und davor erst noch im Viertel St. Germaine etwas essen. Als wir im Restaurant ankamen, standen dort zwei Polizisten vor dem Eingang.
Wir haben sie registriert, uns aber nicht groß gewundert. Gibt’s in Berlin an einem Freitagabend auch. Wir aßen also und setzten uns später raus, um Wein und einen Espresso unter der Wärmelampe zu trinken. Mittlerweile standen dort vier Polizisten, einer mit Maschinengewehr. Es fuhren Autos mit Blaulicht vorbei, aber es fühlte sich trotzdem noch irgendwie ruhig an. Ich bezahlte die Rechnung und fragte nebenbei den Kellner, ob er wisse, was dort los sei. Er sagte, ganz in der Nähe lebe ein hoher Minister. Die Polizei sei seinetwegen hier. Alles normal also. Wir scherzten, es sei ein bisschen wie im Science-Fiction-Film "Allegro", in dem ein ganzer Stadtteil Kopenhagens von allem abgeschottet und für alle Menschen unpassierbar wird.
In diesem Moment bekomme ich die erste Eilmeldung auf mein Handy. Die New York Times vermeldet Anschläge in Paris. Hier?
Djamila Grossman, 33
...ist stern-Fotografin aus Berlin. "Es ist das erste Mal, dass ich ohne Kamera losgefahren bin", sagt sie uns ungläubig am Telefon. "Aber wozu brauche ich die auch bei einem Fotofestival, hab ich mir noch gedacht. Ich hab doch mein Handy..." Auf diesem konnten wir sie dann glücklicherweise um 01.19 Uhr wohlbehalten erreichen. Und auf diesem tippte sie auch diese Zeilen.
Wir beginnen Nachrichten zu lesen, sicherheitshalber den Eltern SMS zu schicken: "Wir sind sicher. Da gab es nur eine Meldung von einer Explosion in der Nähe des Stadions."
Mittlerweile stehen fünf, dann mehr Polizisten an der kleinen Straßenecke, sperren die Straße. Ein Pizzalieferant auf einem Mofa mit einem großen schwarzen Rucksack kommt ahnungslos um die Ecke gefahren und wird mit blitzschnell gezückter Waffe vom Mofa geholt, muss den Rucksack öffnen. Unsere Eltern melden sich zurück, Freunde auf Facebook fragen, ob wir sicher sind. Das mit leichter Ironie auf Facebook gepostete Foto ist auf einmal nicht mehr so lustig. Mir wird etwas mulmig. Wir stehen auf und gehen. Müssen 2,5 Kilometer durch die Stadt und jetzt vielleicht Angst haben? Wir wohnen in einer angemieteten Airbnb-Wohnung im 9. Arrondissement. Die Anschläge sind hauptsächlich im 10. und 11. Arrondissement, also gleich nebenan für Pariser Größenverhältnisse. Am Morgen war ich dort noch laufen. Am Donnerstag waren wir dort noch bei einer Party.
Meine Freundin war am Freitagabend zwei Parallelstraßen von den ersten Anschlägen etwas trinken, kam nach Hause und sah dann, was sich fast zeitgleich dort abgespielt hatte. Sie habe nichts gemerkt oder hätte es knapp verpasst, meint sie am Telefon. Sie und ihr Freund sind mittlerweile in unserer Wohnung und warten auf uns.
Plötzlich wirkt alles verdächtig
Die Stadt ist wie ausgetauscht. Leute laufen zielstrebig, viele Pärchen, wenige alleine. Einer führt, der andere liest auf dem Handy. Keiner flaniert, alle wissen Bescheid, wir wissen es, sie wissen es. Besorgte Blicke, eine Frau weint. Alles wirkt verdächtig. Große Plätze, große Straßen, Mopeds, schwarze Autos, geparkte Autos mit laufendem Motor. Besser nicht in die Nähe von Restaurants. Jeder wird gecheckt. Wir unterhalten uns, wie schnell die Stimmung in einer Stadt kippen kann. Innerhalb von einer halben Stunde ist mit drei bekannten Anschlägen ein Ausnahmezustand eingetroffen, der alles aus den Angeln zu heben scheint. Die Anzeigen der Taxis leuchten rot - besetzt. Alle wollen nach Hause. In die Metro wagen wir uns jetzt natürlich nicht. Da könnte die nächste Katastrophe lauern.
Polizeiautos fahren mit quietschenden Reifen um die Ecke. An der nächsten Kreuzung rasen zwei Krankenwagen mit Blaulicht in die Richtung des 11. Arrondissement. Es ist unwirklich. Es ist dunkel. "Am besten ihr schließt euch ein", schreibt mein Vater.
Schnell noch zum Späti. Wir brauchen etwas zu trinken. Und Schokolade. Endlich sind wir Zuhause. Meine Freundin empfängt uns mit einer erleichterten Umarmung. Sie hätte sich schon Sorgen gemacht.
Mama ruft an, will wissen, was los ist
Seitdem sitzen wir an unseren Handys und schauen Nachrichten. In dieser ruhigen Hinterhof-Wohnung fühlen wir uns sicher. Die Nachrichten von da draußen klingen wie etwas, das wir schon oft gehört haben. Im Fernsehen, im Radio, im Netz. Es ist unwirklich, dass dies alles hier um uns herum passiert. Es stimmt so furchtbar traurig. Als wäre etwas, was man lange erfolgreich verdrängt hat, mit voller Wucht vor uns aufgeprallt. Irgendwie hat man so etwas ja schon immer ein bisschen befürchtet.
Freunde markieren uns jetzt "safe" auf Facebook, "during the Paris terror attacks." Facebook und Airbnb schreiben, dass wir uns in einer Gefahrenzone befinden. Meine Mutter ruft an und will wissen, was los ist. Sie hätte schon geschlafen und liest die schockierenden Nachrichten gerade während des Telefonierens live auf dem Computer. Ich merke, wie ihre Sorge wächst. Um mich, aber auch um die Tragik der Situation.
Die Opferzahl wird andauernd nach oben korrigiert. Jetzt sind schon 100 Menschen in dem Nachtclub gestorben, 100 Heavy-Metal-Fans, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Die auch wir hätten sein können. Und jeder irgendwie. Das ist das Fazit der Nacht. Man weiß nie, was einen erwartet. Und wie diese Welt von einem Moment auf den anderen auf so tragische Weise Kopf stehen kann. Wo führt das nur hin.