Viele Eltern sollten am besten vergessen, was sie über eine gesunde Ernährung ihrer Kinder gelernt haben. Wie sich herausstellt, stecken hinter den meisten Ratschlägen auch von ärztlicher Seite mehr Mythen als wissenschaftliche Erkenntnisse. "Es gibt einen Haufen Ammenmärchen und wenige Hinweise auf eine Patentlösung, wie Kleinkinder an feste Nahrung gewöhnt werden sollten", sagt David Bergman, Professor für Kinderheilkunde an der Stanford University.
In Wirklichkeit könnte es wesentlich einfacher sein, Kleinkinder richtig zu ernähren, als viele Ratgeber vermitteln. "Viele Eltern haben aber das Bewusstsein dafür verloren, dass Ratgeber nur Ratgeber sind und keine Regelwerke", klagt die Ernährungsexpertin Rachel Brandeis: "Kinder starten mit einem unausgeprägten Geschmack. Es ist Aufgabe der Eltern, ihn zu formen." Das als reglementierten Prozess zu verstehen, ist ein häufig gemachter Fehler.
Ab sechs Monaten können Kinder alles essen
Viele Eltern halten sich zum Beispiel an Ratschläge, ihre Kinder erst mit Reis zu füttern und dann zu mildem Gemüse, Obst und schließlich zu Pasta und Fleisch überzugehen. Exotischere Lebensmittel und Gewürze werden dabei ignoriert. Außerdem wird oft vor möglichen Allergenen wie Nüssen und Meeresfrüchten gewarnt. Wissenschaftler behaupten aber, dass Kinder ab sechs Monaten fast jegliches Essen vertragen. Nur bei bekannten Allergien in der Familie sei Vorsicht geboten. Außerdem sollte man Kinder jeweils nur mit einem neuen Nahrungsmittel füttern und dann darauf achten, wie sie reagieren.
Die 35-jährige Libanesin Rayya Azarbeygui hat sich nie an Ratgeber gehalten. Nachdem ihr Sohn im vergangenen Jahr zur Welt kam, entschied sie, dass er die gleichen Speisen essen könne wie sie - stark gewürzte Gerichte aus dem Nahen Osten. "Mein Kinderarzt dachte, ich sei verrückt geworden", sagt Azarbeygui, deren Sohn nun ein gutes Jahr alt ist. "Aber nun sieht er, dass sich mein Kind prächtig entwickelt."
Schonkost kann sogar gefährlich sein
Tatsächlich gibt es sogar Hinweise darauf, dass ein zu vorsichtiges Füttern Nachteile hat. Nancy Butte, Professorin für Kinderheilkunde in Houston, meint, dass Fleisch wegen des in ihm enthaltenen Eisens sehr früh gefüttert werden sollte. Außerdem habe sie in ihren Forschungen keinen Hinweis darauf gefunden, dass mildes Essen Kinder grundsätzlich vor Allergien schütze, wie viele Ärzte behaupteten.
David Ludwig vom Kinderkrankenhaus in Boston geht noch einen Schritt weiter: Er kenne Studien, die den Schluss nahe legten, dass Reis und anderes stark industriell bearbeitetes Getreide kaum für Kleinkinder geeignet seien. Solche Nahrungsmittel werden im Körper rasch zu Zucker umgewandelt, wodurch Blutzucker- und Insulinwert steigen: "Das trägt möglicherweise zu späteren Gesundheitsproblemen einschließlich Fettleibigkeit bei."
Auch zu einseitiges Essen stellt nach Ludwigs Angaben ein Problem dar. Ein Kleinkind, das mehr unterschiedliche Speisen bekomme, gewöhne sich auch als älteres Kind leichter an verschiedene Nahrungsmittel. Das führe dazu, dass es gesünder esse.
Die Mutter prägt den Geschmack
Ausschlaggebend für die Essgewohnheiten eines Kindes können auch die Essgewohnheiten der Mutter während der Schwangerschaft und der Stillzeit sein. Maru Mondragon hat diese Erfahrung gemacht. Die 40-jährige Mexikanerin frönte während der Schwangerschaft mit ihrem jüngsten Sohn Russell ausgiebig stark gewürztem Essen. In der Schwangerschaft mit dem drei Jahre älteren Sohn Christian hatte sie noch darauf verzichtet.
Jetzt hat Christian einen ausgesprochen empfindlichen Gaumen, während Russel zu so gut wie jedem Essen scharfe Salsasauce verlangt. "Wenn das Essen sehr scharf ist, weint er, aber er isst es trotzdem", sagt Mondragon.