Etwa 1000 Schülerinnen und Schüler besuchen 1913 die Sankt-Marien-Schule im Bremer Stadtteil Walle. Sie lernen an der katholischen Schule Deutsch, Naturwissenschaften, Sprachen – doch am 20. Juni 1913 wird die Bildungseinrichtung zu einer tödlichen Falle. An jenem Tag spielt sich in Bremen der erste dokumentierte Amoklauf an einer deutschen Schule ab.
Heinz Jacob Friedrich Ernst Schmidt ist ein arbeitsloser Lehrer, der zu diesem Zeitpunkt erst seit einem halben Jahr in Bremen lebt. Am 20. Juni 1913 kommt er mit einer Aktentasche unter dem Arm auf das Schulgelände. Darin befinden sich laut den Zeitungsberichten jener Zeit sechs bis zehn Schusswaffen. Zudem trägt Schmidt 1000 Schuss Munition am Körper. 80 Schuss davon feuert er ab – und tötet damit fünf Mädchen.
Amoklauf in Bremen: Fünf Mädchen sterben, 18 Kinder werden verletzt
Zur Mittagszeit betritt Schmidt das Schulgebäude und trifft dort auf eine Mädchenklasse, die gerade in die Pause gehen möchte. Der Amokläufer eröffnet das Feuer, in beiden Händen hält er Pistolen. Die sieben bis acht Jahre Mädchen flüchten, einige verstecken sich im Klassenraum, Schmidt verfolgt sie. "Dort schoss er wahllos auf die Mädchen, die sich teilweise unter den Schulbänken verkrochen hatten und flehentlich baten: 'Onkel, schieß uns nicht!'", erzählte Hermann Sandkühler, der frühere Archivar der Sankt-Marien-Gemeinde dem "Weserkurier" 2013.
Doch Schmidt kennt in seinem Wahn keine Gnade. Zwei Schülerinnen sind sofort tot, zwei weitere sterben bald danach an ihren Verletzungen. Ein fünftes Mädchen flüchtete vor den Schüssen, stürzte eine Treppe hinunter und brach sich das Genick. Die Opfer sind zwischen fünf und acht Jahren alt. Der Hausmeister, der Pförtner und ein Lehrer der Schule versuchen, Schmidt zu überwältigen und werden von ihm verletzt, teilweise lebensgefährlich. Insgesamt tragen 18 Kinder und fünf Erwachsene Verletzungen davon.
Uvalde, Texas – ein Ort voller Trauer, Schmerz und Wut
Ein mutiger Lehrer stellt sich dem Schützen entgegen
Dass es nicht noch deutlich mehr Opfer gibt, ist Hubert Möllmann zu verdanken. Der erst 24 Jahre alte Lehrer stellt sich dem Schützen mutig entgegen, packt ihn an den Armen und entwaffnet ihn. Mit vorgehaltener Waffe hält er Schmidt in Schach, dann verliert er das Bewusstsein. Aber da sind schon genügend andere Kollegen zur Stelle, um den Amokläufer zu überwältigen, bis die Polizei am Tatort ist. Möllmann erleidet ebenfalls schwere Schussverletzungen, überlebt aber und wird später für seinen mutigen Einsatz mit der Silbernen Rettungsmedaille ausgezeichnet.
Der Fall landet nie vor Gericht
Der Fall – damals eine neue Dimension von Gewalt gegen unschuldige Kinder – erschüttert ganz Deutschland. Die Presse titelt "Massenmord in der Mädchenschule" und spricht von der "Schreckenstat eines irrsinnigen Lehrers". Selbst in den USA erregt der Amoklauf Interesse. Bremen steht unter Schock, mit einem riesigen Trauermarsch gedenkt die Hansestadt der Opfer. Und Deutschland führt ganz ähnliche Diskussionen wie heute nach solchen Taten: Es entsteht eine Debatte um Waffenbesitz. Gesetzesänderungen gibt es jedoch zunächst nicht.
Heinz Schmidt wird nie vor Gericht gestellt. Der Täter leidet an einer psychischen Erkrankung, bei ihm wird Schizophrenie diagnostiziert. Somit gilt er als schuldunfähig. Wahrscheinlich handelte er bei seinem Amoklauf aus Hass auf die Jesuiten, die er unter anderem für den Tod seines Vaters, der am Tag vor der Tat verstorben war, verantwortlich macht. Den Rest seines Lebens verbringt Schmidt in einer Nervenklinik, wo er 1933 stirbt.
Quellen: "Weserkurier" / "Spiegel" / "Bild" /