Neuer Klimabericht Klimawandel: Europa erwärmt sich von allen Kontinenten am schnellsten – und ist gefährlich schlecht vorbereitet

Hitzewellen und Klimawandel: eine große Digitalanzeige vor Hochhäusern in Zaragoza zeigt 40 Grad
Durch den Klimawandel nehmen Hitzewellen in Europa zu. Hier eine Temperaturanzeige im spanischen Zaragoza im August 2023
© IMAGO / VWPics / Imago Images
Hitze, Dürre, Überschwemmungen: Im Klimawandel heizt sich Europa doppelt so schnell auf wie der Rest des Planeten, zeigt ein neuer Klimabericht. Und die Politik ist schlecht vorbereitet – auch in Deutschland. 

Am Montag veröffentlichte die Europäische Umweltagentur erstmals einen Bericht zur Klima-Risikobewertung (EUCRA, European Climate Risk Assessment). Die Autoren und Autorinnen warnen darin, dass sich extreme Hitze, Dürre, Waldbrände und Überschwemmungen in Europa "selbst in den optimistischen Szenarien der globalen Erwärmung verschlimmern und die Lebensbedingungen auf dem gesamten Kontinent beeinträchtigen."

Der Bericht basiert auf den IPCC-Berichten des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen sowie auf Daten des europäischen Copernicus-Satelliten-Programms und der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission.

Europa erwärmt sich doppelt so schnell wie der Planet

Dabei setzt der Report nach einem globalen Rekordjahr 2023, dem wärmsten seit mehr als 100 000 Jahren, nun regional noch einen drauf: Europa sei nämlich "der sich am schnellsten erwärmende Kontinent", heißt es. Seit den 1980ern sei die Erwärmung des Kontinents etwa doppelt so schnell verlaufen wie global.

"Unsere neue Analyse zeigt, dass Europa mit dringenden Klimarisiken konfrontiert ist, die sich schneller entwickeln als unsere gesellschaftliche Vorsorge", so die geschäftsführende Direktorin der Europäischen Umweltagentur, Leena Ylä-Mononen. "Um die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften sicherzustellen, müssen die europäischen und nationalen politischen Verantwortlichen jetzt handeln." Heißt: die Emissionen rasch senken und schädliche Folgen durch kluge Anpassung verringern.

Politik hält mit wachsenden Klima-Risiken nicht Schritt 

Allerdings hält die EU-Politik mit den wachsenden Risiken nicht Schritt – was sich noch verschärfen könnte, weil die Erwärmung des Planeten sich beschleunigt: "Wir sind jetzt in eine Phase eingetreten, in der sich das Klimasystem mit sehr viel mehr Dynamik verändert als bisher", sagt Frank Böttcher, Vorsitzender der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft und seit vielen Jahren Veranstalter des jährlich stattfindenden Extremwetterkongresses. "Die Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze aus dem Pariser Abkommen ist in wenigen Jahren zu erwarten", so Böttcher. "Das erste Drittel dieser Erwärmung erfolgte in etwa 80 Jahren, das zweite Drittel in etwa 23 Jahren; für das letzte Drittel erwarten wir eine Zeitspanne von nur zwölf Jahren. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns in den nächsten Jahrzehnten auf ganz erhebliche Veränderungen des Klimasystems einstellen."

Der aktuelle EUCRA-Report nennt für Europa 36 Hauptklimarisiken. Als besonders gefährdet werden dabei Meere und Küstensysteme eingestuft, weil sie nicht nur unter Klimawandelfolgen wie marinen Hitzewellen leiden, sondern auch noch besonders stark durch Verschmutzung oder Fischerei unter Druck stehen.

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Mehr Dürren durch Klimawandel bedrohen die Erträge

Zu Risiken für die Ernährung heißt es, Hitze und Dürren, die die Erträge der Landwirtschaft bedrohen, seien in Südeuropa "bereits auf einem kritisch hohen Niveau", aber auch Länder in Mitteleuropa seien inzwischen gefährdet. Häufigere und extremere Wetterereignisse in Europa sind auch ein Problem für kritische Infrastruktur wie Straßen, Wasserleitungen oder auch Kraftwerke, die bei Dürre nicht mehr auf ausreichen Kühlwasser zugreifen können.

Doch die Folgen des Klimawandels sind kein Schicksal, das Menschen einfach hinnehmen müssen. Schutz für die Zukunft versprechen kluge Anpassungs-Strategien in der Gegenwart. Doch auch hier, so der Klimarisikobericht, hakt es. Die gesellschaftliche "Preparedness", etwas holperig übersetzt als "Notfallvorsorge" für Klimaextreme, sei immer noch zu gering. Das zeigt sich – auch in Deutschland – ausgerechnet bei einem Thema, dass der EU-Bericht gerade als "das größte und dringendste Klimarisiko für die menschliche Gesundheit" identifiziert hat: Hitze.

Hitze gefährdet Alte, Kranke, Säuglinge und Kleinkinder

Auch wenn Hitzewellen weniger plötzlich und dramatisch über Menschen hereinbrechen als etwa eine Flutkatastrophe im Ahrtal, kosten sie hierzulande deutlich mehr Leben: Hitze gefährdet nicht nur Alte und chronisch Kranke, sondern auch Säuglinge und Kleinkinder, Menschen in schlecht gedämmten Wohnungen, aufgeheizten Städten oder mit Berufen, wo viel im Freien gearbeitet wird. Im Sommer 2023 starben in Deutschland hitzebedingt rund 3200 Menschen, 2700 von ihnen waren 75 Jahre oder älter. Im Sommer 2022 waren es 4500 hitzebedingte Todesfälle, 2018 sogar 8700.

Wie groß inzwischen der Spagat zwischen Klimaauswirkungen und politischem Handeln geworden ist, belegt die Zahl verhallter Appelle zum Hitzeschutz: Hitze stelle "das größte klimawandelbedingte Gesundheitsrisiko für Menschen in Deutschland dar", warnten letzten Sommer Bundesärztekammer, Deutscher Pflegerat und die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit in einer gemeinsamen Erklärung. Wenige Wochen später stellte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den ersten deutschen Hitzeschutzplan vor.

In Frankreich werden Senioren persönlich angerufen

Das heißt aber nicht, dass Senioren oder Kranke auch wirklich Hilfe bekommen, wenn das Thermometer im Sommer deutlich mehr als 30 Grad zeigt. Beim Hitzeschutz hinkt Deutschland hinterher. Und zwar buchstäblich gnadenlos, gegenüber den Menschen, deren Leben es zu retten gilt. Viele kleinere Städte und Kommunen haben immer noch keine Hitzeaktionspläne. Dabei zeigt der Vergleich mit den Nachbarn in Frankreich, wie es funktionieren kann: Dort ist im Nationalen Hitzeaktionsplan verbindlich festgeschrieben, dass jede Kommune besonders "vulnerable" Menschen wie Alte oder Kranke mit Kontaktdaten registrieren muss.

Bei extremen Hitzeperioden werden sie persönlich angerufen und zum Beispiel daran erinnert, ausreichend zu trinken. Zum Teil holen staatliche Bedienstete oder Ehrenamtliche die Gebrechlichen sogar ab und begleiten sie in klimatisierte Räume, in denen sie sich erholen können. So hat es zumindest Frankreich geschafft, die Zahl seiner Hitzetoten über die Jahre im Schnitt zu senken.

Es fehlt an Alarmsystemen und gekühlten Räumen 

Davon scheint man in Deutschland noch meilenweit entfernt. Hier drängt sich eher das Bild auf von Seniorinnen und Senioren, die im Hochsommer alleingelassen in ihrer Dachwohnung schwitzen. Im deutschen Gesundheitssystems fehlt es eigentlich an allem, um Menschenleben während einer Hitzewelle zu schützen: Laut einem Gutachten von 2023 gibt es weder ein verbindliches Alarmsystem, die Identifizierung von Risikogruppen kommt kaum voran, es fehlt an Hitzeleitstellen und auch an ausreichend gekühlten Räumen, in die Menschen sich flüchten könnten. Zudem werde das Personal im Gesundheitswesen in Bezug auf Risiken durch Hitze nicht ausreichend fortgebildet. Und auch der 2023 vorgestellte Hitzeschutzplan von Karl Lauterbach ist weder für Bundesländer noch für Kommunen verbindlich, weil im föderal organisierten Deutschland wieder einmal das Durchgriffsrecht des Bundes fehlt.

Tragisch daran erscheint, dass der nun vorgestellte EUCRA-Klimarisikobericht rund 20 Jahre nach dem Rekordsommer 2003 erscheint. Damals kosteten Hitzewellen in Europa schätzungsweise 35.000 bis 50.000 Menschen das Leben, darunter auch Tausende in Deutschland. Die Politik zeigte sich alarmiert und versprach zu handeln. Doch obwohl in vielen EU-Ländern inzwischen Hitzeschutz-Programme aufgelegt wurden, sollen es im Rekord-Sommer von 2022 sogar 60.000 bis 70.000 Hitzetote gewesen sein.

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