Die US-Raumfahrtbehörde hat die Shuttle-Flüge wegen eines gravierenden Defektes der Schaumisolierung am externen Treibstofftank bis auf weiteres ausgesetzt. Die Entscheidung fiel am Mittwoch nach Auswertung von Kamera-Aufzeichnungen des Starts der "Discovery", wie der Direktor des Shuttle-Programms, Bill Parsons, im Houston mitteilte. Demnach löste sich ein großes Stück - etwa 61 mal 74 Zentimeter groß - Schaumisolierung von dem Tank. Das Stück traf die Raumfähre, beschädigte sie aber nicht. Derselbe Vorfall ereignete sich vor zweieinhalb Jahren beim Start der Raumfähre "Columbia". Damals wurde der Hitzeschild der Fähre allerdings von der abgelösten Schaumisolierung beschädigt, was letztlich zur Explosion der Fähre beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre führte.
"Nennen Sie es Glück oder was auch immer, es hat das Shuttle nicht getroffen", sage Parsons. Wenn der Schaum früher weggebrochen wäre, hätte die "Discovery" katastrophal beschädigt werden können. "Wir denken, das wäre wirklich schlecht gewesen, das ist nicht akzeptabel", sagte Parsons' Stellvertreter, Wayne Hale. In den nächsten Tagen sollen die sieben Astronauten an Bord des Shuttles noch einmal genauestens nach Schäden suchen. Sie seien am Mittwoch vor der Nachtruhe von der Entdeckung aus der Video- und Fotoauswertung vom Start informiert worden. Die "Discovery" soll am 7. August zur Erde zurückkehren. Einen Rettungseinsatz durch das Shuttle "Atlantis" schloss Parsons zur jetzigen Faktenlage aus. Planmäßig sollte "Atlantis" im September zur Internationalen Raumstation fliegen.
Das Problem mit der Tankisolierung glaubte die Nasa eigentlich während des eine Milliarde Dollar teuren Überprüfungsprogramms nach der "Columbia"-Katastrophe gelöst zu haben. Und es war nicht das einzige beim "Discovery"-Start am Dienstag: mehrere kleinere Teile splitterten ab, darunter mindestens eins in der Nähe des Treibstofftanks. Nahe der Klappe für das Bugfahrwerk brach ein rund vier Zentimeter großes Stück einer Hitzeschutzkachel weg; laut Hale sieht das bisher aber nicht nach einem schwereren Schaden aus. Allerdings soll das mit Hilfe eines 30,5 Meter langen Greifarms des Shuttles in den nächsten Tagen noch genau inspiziert werden.
Die siebenköpfige Crew hatte sich vor dem geplanten Weltraumspaziergang mit einem "sehenden Roboterarm" auf die Suche nach der Schadstelle gemacht. Der Roboterarm ist von 15 auf 30 Meter verlängert und mit einer Kamera samt Laser-Technik ausgerüstet worden. Bislang konnten nie alle Stellen der Außenhaut im Weltall gefilmt und geprüft werden.
Auf der ISS alles klar für die Ankunft der "Discovery"
Beim bevorstehenden Andocken an die ISS in wenigen Stunden sind keine Probleme zu erwarten. "Bislang läuft alles nach Plan", sagte ein Sprecher des russischen Flugleitzentrums bei Moskau. Die erfahrene Kommandantin Eileen Collins wird die "Discovery" per Handsteuerung an die ISS bugsieren. Zwei Stunden nach dem Andocken sollen die Schleusen um 15.19 Uhr MESZ geöffnet werden, damit die Astronauten in die ISS hinüberschweben können.
Noch vor der Ankunft der "Discovery" werden die beiden Langzeitbewohner auf der ISS, Sergej Krikaljow und John Phillips, die Raumfähre von allen Seiten fotografieren. Sie sollen mögliche Schäden an der Außenhülle des Shuttles nach dem Start am Dienstag dokumentieren. Dazu muss sich die Raumfähre um die eigene Achse drehen und sich mit der Unterseite nach oben der ISS bis auf 180 Meter nähern, wie das russische Flugleitzentrum mitteilte.
Alles in Ordnung?
Nach einer siebenstündigen Inspektion der "Discovery" im All teilte die Nasa am Mittwochabend mit, die beschädigte Hitzekachel stelle wahrscheinlich kein ernsthaftes Sicherheitsproblem dar. Die Astronauten hatten Flügel und der Nase der Raumfähre mit einem an einem Roboterarm montierten Sensor überprüft, die dabei erzeugten 3-D-Aufnahmen des Raumschiffs wurden ans Kontrollzentrum in Houston geschickt. Eine nähere Untersuchung der Hitzekacheln an der Unterseite war allerdings erst für Donnerstag vorgesehen.
Dennoch erklärte Nasa-Flugdirektor Paul Hill bei einer Pressekonferenz in Houston, auf Grundlage der bislang ausgewerteten Daten seien die Ingenieure vorerst zu dem Schluss gelangt, dass der Schaden keine Probleme machen werde. Nach Angaben der Nasa wird es mehrere Tage dauern, bis sich die Techniker einen genauen Überblick über mögliche Schäden an der "Discovery" verschafft haben.
Konsequenzen aus dem "Columbia"-Unglück
Die ersten Auflagen einer unabhängigen Untersuchungskommission nach dem tödlichen Unglück der Raumfähre "Columbia" vom 1. Februar 2003 tragen damit ihre Früchte. Die Kommission hatte der Nasa Mitschuld an dem Tod der sieben Astronauten gegeben, weil interne Warnungen und E-Mails von Technikern nicht ernst genug genommen wurden. Die Kommission erließ außerdem 15 Sicherheitsauflagen.
Eine sieht beispielsweise vor, dass der Start bei Tageslicht genauestens gefilmt wird. Zwei Wetterflugzeuge und mehr als 100 Kameras - darunter eine im Shuttle und eine am Außentank - lieferten nicht nur spektakuläre Bilder, sondern auch erste Hinweise darauf, was nach dem Abheben vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral alles schief gegangen war. Da prallte ein Vogel gegen die Spitze des 50 Meter hohen Außentanks. Offenbar brach auch ein größeres Stück vom Außentank ab. Noch ist unklar, ob es sich dabei um Schaumstoff oder, wie die Nasa zuerst vermutete, um Papierverkleidung handelte. Nach einer Auflage der Kommission hätte ein solch großes Stück Schaumstoff überhaupt nicht abfallen dürfen.
Notfallplan in der Tasche
Eine Kamera hielt auch eine Schramme am Unterboden des Shuttles fest. Diese ist nach Angaben von Flugdirektor John Shannon in Houston so lang wie ein Blatt Papier und etwa 2,5 bis 3,7 Zentimeter breit. Es sei noch zu früh zu sagen, ob eine Gefährdung für das Shuttle besteht, sagt Shannon. Erst am sechsten Flugtag lägen alle Daten vor.
Flugdirektor Paul Hill warnt vor Überreaktionen, weil diese nur lähmen würden. Nach seinen Worten sind die meisten Space-Shuttle bei den mehr als 100 Einsätzen mit leichten Schäden an Kacheln zurückgekehrt. "Das Material wird uns zurück zum Boden bringen, es ist sehr robust", sagt Hill.
Dank der neuen Sicherheitsvorschriften besteht keine unmittelbare Gefahr für die Crew. Die anspruchsvollsten Auflagen, die jedoch von der Kommission vor dem Start als nicht ausreichend erfüllt bezeichnet wurden, betreffen Reparaturarbeiten an den Hitzekacheln im Weltall. Nasa-Direktor Michael Griffin bemerkte dazu entschuldigend, dass alle entsprechenden Technologien entweder noch nicht bekannt oder aber noch nicht im Weltall getestet worden seien.
Sollte sich die Stelle mit den abgeplatzten Teilen am Hitzeschild als lebensbedrohlich beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre erweisen und sollte eine Reparatur während des Weltraumspaziergangs scheitern, kann die Crew Zuflucht in der internationalen Raumstation ISS suchen. Die Länge des Aufenthalts hängt dann unter anderem von der Menge an Lebensmitteln und Wasser ab. Die Raumfähre "Atlantis" müsste außerdem so schnell wie möglich startklar gemacht werden und die "Discovery"-Besatzung aus dem Weltall abholen. Die Nasa würde in diesem Fall nach der "Challenger" (1986) und der "Columbia" (2003) das dritte Space-Shuttle verlieren.