Wir schreiben – ungefähr – das Jahr 1330 v. Chr. Im alten Ägypten ist die Stimmung denkbar schlecht: Der junge Pharao Tutanchamun ist tot, er starb mit nur 18 Jahren. Seine Nachfolge ist noch unklar. Die letzte Vertreterin der pharaonischen Blutlinie ist Ankhesenamun, Tutanchamuns Große königliche Gemahlin und vermutlich gleichzeitig seine Halbschwester. Sie ist eine Tochter des vorherigen Pharaos, Echnaton, der, so legen es zumindest DNA-Analysen nahe, wohl auch Tutanchamuns Vater war.
Bei der jungen Ankhesenamun handelte es sich also um die Tochter eines Pharaos und die Witwe eines Pharaos. Sie hätte somit ein vorrangiges Recht auf den Thron – allerdings war sie eine Frau. Und obwohl Ägypten mehrmals, und meist sehr erfolgreich, von Pharaoninnen wie Hatschepsut regiert wurde, hielt die einflussreiche Oberschicht des Landes wenig davon, eine junge Frau zur Herrscherin zu erklären. Vor allem, da sie nach dem Tod ihres Gatten alleinstehend war und somit nicht absehbar war, ob sie für möglichst viele potenzielle Nachfolger sorgen würde. Vor allem, da sie anscheinend bereits zweimal von Tutenchamun schwanger gewesen war, aber beide Kinder als Frühgeburten zur Welt kamen und nicht überlebten. Ankhesenamun war klar: Wollte sie ihre hohe Stellung im Land behalten oder sogar ausbauen, dann brauchte sie einen geeigneten Mann.
Ägypten: Thronfolger dringend gesucht
Einer der möglichen Kandidaten könnte die junge Königswitwe damals vielleicht schon umgarnt haben: Der hohe Würdenträger Eje, der unter ihrem Vater Echnaton eine steile Karriere hingelegt hatte und unter der Herrschaft ihres verstorbenen Gatten vermutlich zum Wesir aufstieg und den Titel "Vater des Gottes" tragen durfte. Der bereits recht betagte Eje hatte viele Unterstützer in den wichtigsten Zirkeln des Landes – und große Lust auf den Titel des Pharao.
Eine Heirat mit Ankhesenamun wäre ihm äußerst gelegen gekommen. Auch, wenn bekannt ist, dass er bereits verheiratet war. Es ist allerdings möglich, dass Ejes Frau Tij zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr lebte. Für Pharaonen wäre es zudem kein Problem gewesen, mehr als eine Ehegattin zu haben.
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Doch die junge Ankhesenamun hatte so gar keine Lust auf eine Ehe mit dem ältlichen Hofbeamten, egal, wie angesehen dieser war – er war ein Bürgerlicher. Und so tat sie, wohl in einiger Verzweiflung, etwas vorher nie dagewesenes: Sie verfasste eine Art Kontaktanzeige. An den König des benachbarten Hethiterreiches, Suppiluliuma, schrieb sie einen Brief:
"Mein Ehemann ist gestorben und ich habe keinen Sohn. Sie erzählen über dich, dass du viele Söhne hast. Du könntest mir einen deiner Söhne geben, um ihn zu meinem Mann zu machen. Ich möchte keinen meiner Untergebenen ehelichen. Ich habe Angst."
Pharaonin bittet um Zusendung eines Ehegatten
Es sind herzzerreißende Zeilen, speziell der letzte Satz. Der Brief sagt aber auch einiges über Ankhesenamuns Selbstbild aus: Die junge Frau, die ihr ganzes Leben im Königspalast verbracht hat, kann sich eine Ehe mit einem nicht-royalen Mann nicht vorstellen. Sie weiß aber, dass nicht nur ihre Stellung in Gefahr ist, wenn Ägypten nicht schnell eine geeignete Lösung für die Thronfolge findet – sondern womöglich auch ihr Leben.
Ein royaler Gatte aus dem Nachbarland erscheint ihr eine gute Lösung zu sein: Mit den mächtigen Hethitern ist Ägypten schon seit langer Zeit einigermaßen freundschaftlich verbunden. Mehrmals hatten ägyptische Pharaonen Töchter des Hethiterkönigs geheiratet. Umgekehrt jedoch war dies noch nie vorgekommen.
Der ungewöhnliche Brief sorgt beim König der Hethiter, Suppiluliuma, zuerst einmal für Irritation. "So etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert", soll er ausgerufen haben. Er schickt einen Gesandten nach Ägypten, um die Lage dort zu überprüfen.
Und tatsächlich kehrt dieser zurück und bestätigt: Das Land hat keinen Herrscher und keinen Thronfolger. Die Stimmung sei angespannt. Da geht Suppiluliuma auf die Bitte der Königswitwe ein – und schickt seinen Sohn Zannanza auf den Weg. Für die Hethiter dürfte dabei auch die Hoffnung auf eine engere Verbindung mit dem reichen Ägypten und noch bessere Handelsbeziehungen eine Rolle gespielt haben. Vielleicht hoffte man gar auf eine Zusammenlegung der beiden Länder.
Der Prinz kommt nicht bei ihr an
Doch so weit kommt es nicht. Was genau passierte, ist unklar. Klar ist aber: Der Prinz Zannanza stirbt. In einigen Quellen heißt es, er wurde beim Überqueren der ägyptischen Grenze ermordet. Vielleicht geschah es aber auch später. Oder es war, wie Eje später behaupten sollte, ganz anders und Zannanza erkrankte in Ägypten und starb an seinem Leiden.
Diese Erklärung genügte dem König der Hethiter jedoch nicht. Viele zornige Briefe von Suppiluliuma an Eje sind erhalten, in denen er immer wieder nach Aufklärung verlangt. Er bekommt keine. In Folge überfallen die Armeen der Hethiter daraufhin ägyptische Siedlungen im Gebiet des heutigen Syriens. Das zuvor freundschaftliche Verhältnis der beiden bedeutenden Reiche ist nachhaltig zerrüttet.
Und Ankhesenamun? Es scheint nicht wirklich gut für sie ausgegangen zu sein. Die Wissenschaft hält für möglich, dass sie tatsächlich Eje heiratete – heiraten musste. Ein Ring ist erhalten, auf dem die Namen der beiden stehen. Es scheint, wenn es sie denn wirklich gab, eine kurze Zweckehe gewesen zu sein: Ankhesenamuns Name verschwindet schon sehr bald aus den Aufzeichnungen, nichts ist über ihr weiteres Schicksal bekannt.
Ankhesenamun verschwindet aus der Geschichte
In der Grabkammer von Eje, der sich rasch selbst zum Pharao krönen lässt, finden sich später nur Bilder seiner ersten Frau Tij, die auch als seine Große königliche Gemahlin bezeichnet wird. Keine Spur von Ankhesenamun.
Es ist nicht sicher bekannt, wo Ankhesenamun bestattet wurde. Allerdings gibt es einen begründeten Verdacht, dass es sich bei einer stark beschädigten Mumie im Tal der Könige, in der Grabstätte KV21, um ihre sterblichen Überreste handeln könnte. Sollte dies korrekt sein, dann starb die letzte Überlebende ihrer royalen Familie bereits mit Anfang zwanzig, also kurz nach dem Versenden der historischen Kontaktannonce. Ob sie für den zielstrebigen Eje nur ein Mittel zum Zweck war, das ihm den Weg auf den Thron erleichterte? Ob man sie aus dem Weg schaffte, als man sie nicht mehr benötigte? Oder ob sie einfach bloß erkrankte und ... Sie wissen ja? Das bleibt vorerst ein Rätsel.