Amyotrophe Lateralsklerose Gefangen im eigenen Körper

Mit einer Schwäche der Hände fängt es an, am Ende ist fast der ganze Körper gelähmt - bei vollem Bewusstsein des Patienten. ALS ist eine teuflische Krankheit.

Die Mühen und Leiden standen Jörg Immendorff ins Gesicht geschrieben. Durch Muskelschwund zur schmächtigen Gestalt abgemagert und schon teilweise gelähmt hatte er sich zwei Wochen lang auf die Anklagebank des Düsseldorfer Landgerichts geschleppt. Um von einem Stuhl aufzustehen oder eine Stufe zu erklimmen, braucht der berühmte Maler inzwischen Helfer. Der spektakuläre Strafprozess gegen den Künstler wegen Kokainbesitzes hat eine unheimliche Krankheit ins Licht der Öffentlichkeit gerückt: das unheilbare Nervenleiden ALS (Amyotrophe Lateralsklerose).

Die Ursachen der Krankheit sind unbekannt

Immendorff ist nicht der einzige prominente ALS-Kranke. Der britische Physiker Stephen Hawking leidet seit Jahrzehnten an einer Variante der Krankheit. Mit einem Sprachcomputer hält der fast vollständig gelähmte Physiker Kontakt zur Außenwelt. Der chinesische Revolutionsführer Mao Tsetung starb an dem Nervenleiden. Trotz weltweiter wissenschaftlicher Suche ist die genaue Ursache der Krankheit unbekannt.

Die ersten Symptome seien oft Schwächen in den Händen, erklärt Jens Weber von der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke. "Der Betroffene bemerkt meistens eine Unsicherheit beim Greifen." Später komme es dann zu einer Lähmung der Arme und Beine sowie zu Beschwerden beim Schlucken und Sprechen. Im Endstadium ist dann auch die Atemmuskulatur von der Lähmung betroffen. "Das Fatale ist, dass die Patienten bis zuletzt bei vollem Verstand sind und den körperlichen Zerfall bewusst mitbekommen", sagt Weber.

6000 ALS-Kranke in Deutschland

Entgegen einem häufigen Missverständnis ist ALS keine Muskel- Krankheit, sondern eine Erkrankung des Nervensystems. Betroffen sind die motorischen Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark. Sie sterben ab und in der Folge verkümmern die Muskeln. In Deutschland sind etwa 6000 Menschen an ALS erkrankt.

Die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt drei bis fünf Jahre - am Ende steht meist der Tod durch Atemlähmung. "Der Sterbeprozess verläuft entgegen vieler Befürchtungen relativ sanft. Die meisten Patienten schlafen ein und wachen nicht mehr auf", berichtet Thomas Meyer von der Klinik für Neurologie der Charité in Berlin.

Rätselhafte Häufung der Fälle bei italienischen Fußballstars

Der Wissenschaftler Hawking gehört zu den wenigen Patienten, die weit über die übliche Krankheitsdauer hinaus mit ALS leben. Ein Phänomen, das von Spezialisten bislang nicht eindeutig erklärt werden konnte. Ein Rätsel ist auch die Häufung von ALS-Fällen bei italienischen Fußballprofis, von denen bereits 14 an der Krankheit starben. "Ein Zusammenhang mit Dopingkonsum wurde bislang nicht wirklich untersucht", sagt Meyer.

Die Vermutung, Drogen wie Kokain könnten eine Krankheitsursache sein, hält der Mediziner für unwahrscheinlich. "Drogensüchtige sind bislang nicht als Risikogruppe aufgefallen". Bei etwa fünf Prozent der Erkrankungen sei ALS vererbt, ansonsten trete die Krankheit sporadisch auf. Auffällig sei, dass es häufig schlanke und überdurchschnittlich aktive Menschen treffe.

Bis zum heutigen Tag ist kein Heilmittel für ALS bekannt. Mit Hilfe eines Medikaments kann lediglich eine Verlängerung der Lebenszeit um mehrere Monate erreicht werden. "In Europa laufen parallel drei Forschungsprojekte. Unser Ziel ist es, ein Mittel zu finden, das in Kombination mit dem Medikament Riluzol den Krankheitsprozess deutlich verzögert", erklärt Meyer. Um die biologischen Vorgänge zu verstehen, die ALS verursachen könnten, sind aber Erfolge in der Grundlagenforschung nötig. Immendorff hilft mit seinen Mitteln dabei: Er hat ein zweijähriges Forschungsstipendium gestiftet.

Jenny Tobien, DPA

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