Und was genau bedeutet dieser Satz? Wann ist denn ein Mensch "empfangen"? Gilt mein Tod auch dann noch als "natürlich", wenn mich nicht der Herzinfarkt holt, sondern mir ein Baum auf den Kopf fällt? Und was ist, wenn mich vielleicht ein sicher nicht natürlicher Kran trifft, der im Sturm gerade umkippt? Noch erheblich komplizierter wird die Lage, wenn es an Begriffe wie "Würde" und "Person" geht. Mit Voltaire möchte man den kirchlichen Autoren zurufen: "Willst du mit mir reden, definiere deine Termini!"
Frank Ochmann
Der Physiker und Theologe verbindet als stern-Redakteur natur- und geistes-
wissenschaftliche Interessen und befasst sich besonders mit Fragen der Psychologie und Hirnforschung. Im März erschien sein Buch "Die gefühlte Moral: Warum wir Gut und Böse unterscheiden können".
Und sie wollen ja reden, denn die Instruktion wird mit lehramtlichem Autoritätsanspruch den "Gläubigen und allen wahrheitssuchenden Menschen" vorgelegt. Was also bedeutet zum Beispiel "Würde", wenn wir damit nicht nur ein feierliches Gefühl meinen, das manchen überkommen mag, wenn er diesen Begriff im Munde führt? Und was folgt daraus, wenn wir einem "Würde" zusprechen oder das menschliche Leben als "heilig" bezeichnen? Dass es unter absolutem Schutz steht, wäre sicher eine sinnvolle Konsequenz.
Doch das ist offenbar nicht gemeint. Oder wenigstens kann es kirchlicherseits erst seit kurzem so gemeint sein. Dabei ist es nicht einmal nötig, bis zur Zeit der Kreuzzüge und Hexenprozesse zurückzugehen, um einzusehen, dass die Kirche in der zweitausendjährigen Praxis so gut wie nie von einer ausnahmslosen Unantastbarkeit des menschlichen Lebens ausgegangen ist. Das betrifft nicht nur das zugebilligte Recht der Selbstverteidigung samt der im Grunde bis heute geltenden Lehre vom "gerechten", also gerechtfertigten Krieg. Der päpstliche Kirchenstaat verfügte nämlich bis zu seiner von Italien erzwungenen Auflösung 1870 über einen offiziell bestallten Henker. Als Giovan Battista Bugatti von Papst Pius IX. mit 85 Jahren in den Ruhestand geschickt wurde, hatte er 516 Menschen "im Namen Seiner Heiligkeit" mal gehängt, mal geköpft oder gevierteilt und darüber säuberlich Buch geführt. Vor jeder Exekution empfing "Mastro Titta", wie ihn die Römer nannten, die Absolution und das Sakrament des Altares. Die letzte päpstliche Guillotine kann heute im römischen Kriminalmuseum besichtigt werden.
Todesstrafe bis 1969
Erst 1969 wurde die Todesstrafe im Vatikanstaat offiziell und so leise abgeschafft, dass von ihrer Existenz bis tief ins 20. Jahrhundert heute kaum noch jemand weiß. Wie ernst muss man also feierliche Sätze nehmen, deren Autoren offenbar suggerieren möchten, die katholische Kirche habe sich schon immer und ausnahmslos für den uneingeschränkten Schutz des menschlichen Lebens eingesetzt?
Natürlich möchten Päpste, die für sich und ihre Kirche Unfehlbarkeit in Anspruch nehmen, nichts davon wissen, dass sich die Lehre erheblich verändert hat im Laufe der Zeit. In der Praxis auch bis in unsere Zeit, wie wir an nur einem, aber immerhin schwerwiegenden Beispiel gesehen haben. In der Natur selber und aus der Vernunft heraus offenbare sich, "bis zu welchem Grad die menschliche Person würdig ist, um ihrer selbst willen geliebt zu werden, unabhängig von jeder anderen Voraussetzung...", heißt es im neuen römischen Lehrschreiben. Sind darum aber schon alle unvernünftig, irregeleitet oder verstockt, die sich ehrlich und oft nach langen Debatten dafür aussprechen, Stammzellen aus hundertzelligen Embryonen für medizinische Zwecke einzusetzen, um vielleicht einmal Ersatz für krankes oder totes Gewebe schaffen zu können, ohne das Menschen im Billionenzellstadium sterben?
Literatur:
Kongregation für die Glaubenslehre: Instruktion "Dignitas personae" über einige Fragen der Bioethik , 12.12.2008
Kongregation für die Glaubenslehre 1988: Instruktion "Donum vitae" über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung, Acta Apostolicae Sedes 80, 70-102 (veröffentlicht am 22.2.1987)