Mittelalter-Modeschmuck Das Rätsel der Granat-Fibeln

Im frühen Mittelalter waren Granat-Broschen plötzlich populär, im siebten Jahrhundert dann nicht mehr. Warum? Am Römisch-Germanischen Zentralmuseum geht Mineralogin Susanne Greiff dieser und anderen Fragen nach.

Modeschmuck als Forschungsgegenstand? Mit diesem Metier dürfte sich jeder Forscher zum Favoritenkreis für den Ig-Nobelpreis zählen, dem satirischen Anti-Nobelpreis, der jährlich für bahnbrechende Erkenntnisse verliehen wird, wie etwa dass Hundeflöhe höher springen als solche, die auf Katzen wohnen. Es sei denn, der Modeschmuck ist 1500 Jahre alt, mit Edelsteinen besetzt und lässt Rückschlüsse auf das Leben und die Handelsbeziehungen unserer frühmittelalterlichen Vorfahren zu. Diese Art Modeschmuck erforscht Susanne Greiff am Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RZGM) der Leibniz-Gemeinschaft in Mainz.

Fibel, vom lateinischen fibula (Nadel), heißen die kleinen, an Blütenscheiben erinnernden Broschen, die als Gewandnadeln dazu dienten, Kleidung und Umwände zusammenzuhalten. Besonders die kleinen roten Edelsteine auf diesen Fibeln haben es Susanne Greiff angetan. Es sind sorgfältig und erstaunlich glatt geschnittene Scheiben von Granaten, roten Silicat-Mineralien, die auch in Europa vorkommen, hauptsächlich aber aus Indien und Sri Lanka stammen. Sie sind schon in der Antike zum Beispiel an römischen Gewändern bekannt, tauchen aber in Mitteleuropa relativ plötzlich im frühen Mittelalter auf. "Granate waren der Modeschmuck schlechthin vom fünften bis ins siebte Jahrhundert hinein", sagt Greiff. "Sie waren damals in etwa so populär wie Opale im Jugendstil."

Gefunden im ...

Wie aber kamen die roten Steine in großer Zahl aus Indien nach Europa? Wie schafften es die damaligen Zeitgenossen, sie in Scheiben so dünn und glatt zu schneiden? Warum endet die Granat-Mode relativ abrupt im siebten Jahrhundert? Fragen auf die es noch wenige Antworten gibt. Zeitgenössische Werkstattfunde haben Archäologen bisher nicht zu Tage gefördert, auch über antiken Edelsteinabbau ist wenig bekannt, schriftliche Quellen gibt es kaum. Nur zwei kurze Erwähnungen in Reiseberichten aus dem sechsten Jahrhundert erzählen von "roten Steinen, die über Karawanenstraßen" transportiert wurden.

Ein Schlüssel zum Verständnis liegt in der Herkunft der Steine. Die lässt sich aus ihrer chemischen Zusammensetzung - etwa dem Eisenanteil oder Calciumgehalt - recht gut herleiten. In Europa gibt es etwa 100 Fundstellen roter Granate. Zusammen mit Material aus Indien und Sri Lanka baute Susanne Greiff am RGZM eine Referenzdatenbank auf, die inzwischen Archäologen und Mineralogen weltweit nutzen.

Prunk und Waffen aus derselben Quelle

Greiff untersuchte unter anderem knapp 30 Steine aus den berühmten Schatzfunden von Erfurt und Münster des 13. Jahrhunderts. Die Steine, die die prunkvollen Ringe und Broschen des hohen Mittelalters schmücken, stammen aus denselben Quellen wie Ziersteine auf den merowingischen Fibeln, Schwertscheiden und Dolchklingen des frühen Mittelalters mehr als 500 Jahre zuvor.

Diese Antworten lieferte "Eagle III XXL", ein äußerlich unscheinbarer Metallkasten im Untergeschoss der RGZM-Forschungsinstituts, der leicht an einen überdimensionierten Backofen oder eine Großküchenspülmaschine erinnert. In der 1,20 Meter großen Probenkammer trifft aber kein Spülwasser sondern Röntgenstrahlung auf die eingelegten Objekte - neben Edelstein-Schmuckfibeln auch mit Pigmenten bemalte antike Gläser, Metallschalen oder ganze Schwerter. Die Mikro-Röntgenfluoreszenz gibt Aufschluss über die chemische Zusammensetzung der Objekte.

Seit vier Jahren läuft der 250.000 Euro teure Eagle fast Tag und Nacht. Und das reicht eigentlich noch nicht. "Wir könnten glatt noch ein zweites Gerät auslasten, wenn wir die vielen Anfragen aus aller Welt annehmen würden", berichtet Susanne Greiff. Der Eagle ist damit ein wesentlicher Bestandteil des Kompetenzzentrums für mineralogische Archäometrie und Konservierungsforschung, das das RGZM zusammen mit der Johannes Gutenberg-Universität betreibt. Es ist auf die Analyse von Gesteinen, Metallen, Keramik, Pigmenten und Edelsteinen spezialisiert; und zwar angesichts des Alters und Wertes der untersuchten Objekte auf eine möglichst schonende Art. So galt es etwa, eine Steinscheibe der berühmten Eismumie Ötzi - mutmaßlich ein Amulett - zu analysieren, ohne die Lederschnüre auf der Rückseite zu entfernen. Das geschah schließlich mit Hilfe von Infrarotspektrometrie und ergab, dass die Steinscheibe aus dem Gestein Dolomit hergestellt worden war und somit als alpines Produkt zu betrachten ist.

"Edelsteinforscher und Archäologen haben im Prinzip dasselbe Problem zu lösen", sagt Greiff. "Sie behandeln Material, das sehr selten ist und daher möglichst zerstörungsarm analysiert werden muss."

Handwerkliche Fähigkeiten gefragt

Susanne Greiff liegt neben der Forschung auch die Lehre am Herzen. Im dualen Bachelorstudiengang Archäologische Restaurierung bilden Universität und RGZM gemeinsam den akademischen Restauratorennachwuchs aus. "Für ein archäologisches Forschungsmuseum sind akademisch ausgebildete Restauratoren außerordentlich wichtig, denn es geht nicht nur darum, Gegenstände stofflich zu analysieren, sondern auch ihre Herstellung nachzuvollziehen. Das geht ohne handwerkliche Fähigkeiten überhaupt nicht", sagt sie.

An diesem Punkt schließt sich der Kreis zu den Granaten auf dem frühmittelalterlichen Modeschmuck. Nur zu dieser Zeit tauchen die Granate in dünnen und sehr glatt polierten Plättchen auf. Deshalb gibt es auch keine überlieferten Verarbeitungstechniken. "Es ist uns bis heute ein Rätsel, wie die Steine damals so dünn geschnitten und glatt poliert werden konnten", wundert sich die Edelsteinexpertin. "Selbst heutige Edelsteinschleifer haben höchsten Respekt vor dieser handwerklichen Leistung." Mit der geografischen Herkunft der Steine lassen sich viele, aber längst nicht alle Fragen beantworten. Zumindest aber für die Klärung der Frage, warum die Granat-Mode im siebten Jahrhundert so abrupt endete, bietet sie einige Indizien. Da auch die frühmittelalterlichen Steine aus Indien und Sri Lanka kamen und mit ziemlicher Sicherheit über den Landweg nach Europa gelangten, dürfte der aufstrebende und expandierende Islam diese Transportrouten gekappt haben.

Es sind diese Momente, in denen sich aus nüchterner naturwissenschaftlicher Materialanalytik geschichtliche Zusammenhänge eröffnen, die Susanne Greiff für ihr Forschungsgebiet begeistern: "An einem gewissen Punkt entwickelt sich ein lebendiges Bild der antiken Welt, da packt mich das Fieber und es ist fast so, als ginge ich auf eine Zeitreise.

Christoph Herbort-von Loeper

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