Zellen produzieren tausende Eiweiße, um ihre Aufgaben zu erledigen. Damit stellt sich irgendwann die nicht minder lebenswichtige Frage, was mit diesen Proteinen geschehen soll, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Die Antwort darauf haben zwei Israelis und ein Amerikaner gefunden: Aaron Ciechanover (57) und Avram Hershko (67) aus Haifa sowie Irwin Rose (78). Dafür erhalten sie den Chemie-Nobelpreis 2004, der den Blick damit auf ein elementares, aber bislang eher im Verborgenen gelegenes Forschungsgebiet lenkt. Damit geht erstmals ein wissenschaftlicher Nobelpreis nach Israel.
Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit. Wenn der Abbau bestimmter Proteine nicht korrekt funktioniert, können Gebärmutterhalskrebs, die Lungenkrankheit Mukoviszidose (Zystische Fibrose) und viele weitere Leiden entstehen. Die Arbeiten könnten daher zu neuen Medikamenten führen.
Hintergrund: Proteine und ihr Kreislauf in der Zelle
Eiweiße, fachsprachlich Proteine, sind Grundbausteine der Zelle. Sie übernehmen eine Vielzahl von Funktionen: So sind sie Transportvehikel wie der rote Blutfarbstoff Hämoglobin, der den Sauerstoff befördert. Es gibt Speicherproteine und solche, die sich - etwa im Muskel - zusammenziehen können. Auch Antikörper sind Eiweiße.
Jede genetische Information wird in Eiweiße übersetzt. Dazu lesen bestimmte Moleküle die Erbinformation im Zellkern ab und transportieren sie ins Zellplasma. Analog zum genetischen Code reiht die Zelle dort 100 bis mehr als 2000 Aminosäuren wie Perlen auf eine Kette. Diese Kette faltet sich später zu einer Art Sprungfeder oder Wellblech - den Proteinen. In verschieden großen Gruppen werden diese zu ihrem Bestimmungsort geliefert. Einige bleiben in der Zelle, andere werden abgegeben - etwa als Sekret oder Antikörper.
Die Lebensdauer der meisten Eiweiße variiert bei Säugetieren zwischen einer halben Minute und mehreren Wochen oder länger. Hämoglobin etwa erreicht mit 110 Tagen die gleiche Lebenszeit wie die Zelle, in dem es existiert, das rote Blutkörperchen.
Damit die Zelle nicht vor Proteinen überquillt, werden Eiweiße nicht wahllos gebildet und sehr gezielt abgebaut. Den Weg zum Eiweiß- verdauenden Zellschredder weist das kleine Eiweiß Ubiquitin. Schließlich werden die Aminosäuren, aus denen das Protein besteht, recycelt oder komplett abgebaut. Im letzteren Fall liefern sie dem Körper Energie. Der Rest wird als Harnstoff ausgeschieden.
Eine Zelle enthält mehrere hunderttausend verschiedene Eiweiße (Proteine). Sie dienen etwa als Bausubstanz, Botenstoffe, Enzyme oder zur Abwehr von Bakterien. Wird ein Protein nicht mehr benötigt, bekommt es in der Körperzelle den "Todeskuss", wie die Nobelstiftung schreibt. Genauer: Die Zelle hängt die Markierungssubstanz Ubiquitin wie einen Adressaufkleber, ein aus 76 Bausteinen zusammengefügtes Protein namens Ubiquitin, an das alte Protein. Mit diesem Aufkleber versehen landet es im zelleigenen Müllverwerter (Proteasom), wo es zerhäckselt wird. Kurz vor der Zerstörung wird Ubiquitin wieder abgehängt, damit es erneut genutzt werden kann. Dieser Mechanismus ist derart grundlegend, dass er bei allen höheren Lebewesen gleich ist.
Mit allen seinen Eigenschaften ist Ubiquitin zum einem potenziellen Angriffsziel neuer Medikamente avanciert. Wer diese Markierung an einen unerwünschten Bestandteil der Zelle hängt, kann ihn im Prinzip auslöschen. Aber auch der umgekehrte Weg wäre denkbar: Hat der Körper von einem Protein ohnehin zu wenig, ließe sich dessen Abbau durch den Eingriff ins Ubiquitin-System möglicherweise bremsen.
Entdecker des Adressaufklebers
Ciechanover und Hershko arbeiten beide am Israel Institute of Technology in Haifa. Sie hatten den Adressaufkleber entdeckt, der sich später als Ubiquitin herausstellte. Rose von der Universität von Kalifornien in Irvine hatte entscheidende Vorarbeiten dazu geleistet. Die drei Forscher beschrieben ihre Ergebnisse in zwei Arbeiten von 1980. Später entdeckten sie noch weitere Details beim Abbau von Proteinen.
Im Web
Die höchste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit insgesamt umgerechnet 1,1 Millionen Euro (10 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Die Nobelpreise werden traditionsgemäß am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.
In dieser Woche folgen die Bekanntgaben der Nobelpreisträger für Literatur am Donnerstag und für Frieden am Freitag. Der Alfred-Nobel- Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften wird am kommenden Montag zuerkannt.