Pandemie-Gefahr Deutschland ist nicht gerüstet

Es ist nach Meinung von Wissenschaftlern nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann sie kommt - eine Grippe-Pandemie. Trotz der Appelle der WHO an die Nationen, sich mit Medikamenten auszurüsten, ist Deutschland nicht vorbereitet.

"Es ist nicht die Frage, ob sie kommen wird, sondern nur die Frage, wann", schätzen Wissenschaftler die Gefahr einer Pandemie ein. Trotz der Appelle der WHO an die Nationen, sich mit Medikamenten zu wappnen, ist Deutschland für eine Pandemie nicht vorbereitet.

Alle hundert Jahre wüten im Schnitt drei Grippewellen mit einem neuartigen, bis dahin unbekannten Virus. Die letzte Welle dieser Art forderte weltweit schätzungsweise eine Million Menschenleben. Sie liegt jedoch fast 40 Jahre zurück, und seither blieben Influenza-Pandemien aus.

Pandemieplan in Deutschland erst spät entwickelt

"Es ist nicht die Frage, ob sie kommen wird, sondern nur die Frage, wann", schätzt Max Kaplan von der Bayerischen Landesärztekammer die Lage ein. Davon ist auch die Weltgesundheitsorganisation WHO überzeugt: Sie forderte bereits 1999 alle Nationen auf, so genannte Pandemiepläne zu entwerfen, um sich für eine weltweite Erkrankungswelle zu rüsten und so im Ernstfall das Influenza-Virus möglichst gut im Schach halten zu können.

Obwohl die deutschen Experten sich unmittelbar nach dem Aufruf der WHO ans Werk machten, verzögerten sich die Arbeiten - hauptsächlich wegen des Zuständigkeitsdschungels zwischen Bund und Ländern. Im Jahr 2000 konnten acht EU-Mitgliedsstaaten der EU-15 einen Pandemieplan vorweisen; einzig in Deutschland lag damals noch nicht einmal ein Entwurf vor. Erst im Frühjahr dieses Jahres präsentierte das Robert Koch-Institut (RKI) die abschließende Fassung des Papiers.

Interview

Fragen an Dr. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere
Dr. Martin Beer ist Leiter des Insituts für Virusdiagnostik. In seinem Institut befindet sich das nationale Referenzlabor für aviäre Influenza (Vogelgrippe).

Wie hoch schätzen Sie das Risiko einer Einschleppung der Vogelgrippe nach Europa?

Theoretisch ist es möglich, dass Entenvögel die Seuche einschleppen. Es ist aber noch gar nicht klar, ob die Vogelgrippe die Region westlich des Urals erreicht hat.
Wir schätzen das Risiko einer Einschleppung der Seuche durch illegale Geflügelimporte höher ein als die Gefahr durch Zugvögel.
Halten Sie die Maßnahmen der Bundesregierung, Geflügel zum Schutz vor möglicherweise infizierten Zugvögeln, wegzusperren, für sinnvoll?

Wenn man das geringe Risiko einer Einschleppung durch Zugvögel ernst nimmt, ist das eine Möglichkeit das Risiko zu minimieren.
Wie groß ist die Gefahr, dass das Vogelgrippe-Virus auf den Menschen überspringt?

Das Vogelgrippe-Virus ist für den Menschen nur unter bestimmten Bedingungen gefährlich. Das Risiko der Entstehung eines Pandemie-Virus muss ernst genommen werden. Die Höhe des Risikos kann derzeit aber nur schwer eingeschätzt werden.
Wer allerdings in die von Vogelgrippe betroffenen Länder reist, sollte direkten Geflügelkontakt meiden. Wenn er Geflügelprodukte isst, sollte er darauf achten, dass das Fleisch gut erhitzt wurde, denn Hitze tötet das Virus.
Gibt es einen Impfstoff für Menschen?

Wir haben einen Impfstoff für Geflügel entwickelt. Für den Menschen gibt es lediglich antivirale Medikamente, aber keinen Impfstoff. Im Falle einer Pandemie gibt es Notfallpläne des Gesundheitsministeriums. Dann ist auch das Robert-Koch-Institut zuständig.
Was kann jeder einzelne tun, um sich zu schützen?

In Deutschland sind derzeit keine persönlichen Schutzmaßnahmen notwendig. Leute, die direkten Kontakt mit Geflügel haben, müssen im Ausbruchsfall besondere Vorkehrungen treffen, also beispielsweise Schutzkleidung tragen.
Die Wahrscheinlichkeit, in Kontakt mit infizierten Zugvögeln zu kommen, mag noch relativ gering sein. Was aber, wenn das Virus auf Stadttauben übergeht?


Es ist noch nicht klar, ob Tauben das Vogelgrippe-Virus weitergeben können. Dies untersuchen wir derzeit in unserem Institut.
Der Chef des Robert-Koch-Institutes kritisiert, die Länder seien nicht genügend auf eine Pandemie vorbereitet, hätten zu wenig Medikamente vorrätig. Wie schätzen Sie das ein?

Das Robert-Koch-Institut hat im Falle einer Pandemie die Zuständigkeit. Bei den Medikamenten handelt es sich nicht um einen Impfstoff, sondern um antivirale Mittel, die unspezifisch gegen Virusinfektionen wirken. Im Falle einer Infektion können sie eine Milderung der Erkrankung herbeiführen.
Das Gespräch führte Jens Lubbadeh

Impfstoff kann erst nach Ausbruch der Epidemie entwickelt werden

Der Plan macht unmissverständlich deutlich: Eine Influenza kann verheerende Folgen haben. Zwischen 48 000 und 160.000 Menschen würden ohne weitere Vorsorgemaßnahmen sterben, errechnet das RKI. Die Virus-Überwachung müsse daher dringend ausgebaut und die Infrastruktur, zum Beispiel Krankenhäuser und Arztpraxen, auf eine mögliche Grippe vorbereitet werden.

Das Mittel der Wahl gegen eine Influenza wäre ein Impfstoff. Der kann jedoch nicht auf Verdacht produziert werden, da die verheerenden Grippewellen immer auf das Konto einer veränderten Variante des Virus gehen. "Erst drei bis sechs Monate nach dem Ausbruch einer Epidemie könnte ein neues Mittel entwickelt sein", mahnt Bernhard Ruf, einer der Autoren des Pandemieplans. Doch selbst wenn das glückt, ist damit wenig gewonnen. "Die Produktionskapazitäten für die Vollversorgung der deutschen Bevölkerung sind derzeit nicht vorhanden", heißt es lapidar im Pandemieplan. Gelänge es also tatsächlich, eine Vakzine (Impfstoff) zu entwickeln, könnte sie gegenwärtig gar nicht für alle hergestellt werden.

Deutschland orderte zu wenig antivirale Medikamente

"Andere Länder, etwa Norwegen und die Niederlande, haben sich längst Produktionskapazitäten bei den Impfstoffherstellern reserviert. Der Bund muss hier zu Lande endlich aktiv werden und alles Entscheidende tun", fordert der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz Werner Schnappauf in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur ddp. So könnten, wie in Amerika und Kanada, beispielsweise Notfallkapazitäten bei den Pharmaherstellern erkauft werden, die gegen Geld ihre Produktionskapazitäten über die momentane Auslastung hinaus ausbauen würden.

"Bis ein Impfstoff da ist, ist aber wahrscheinlich schon der Höhepunkt der Epidemie erreicht", stellt Ruf klar. "Im ersten halben Jahr kann man sich deshalb wirklich nur auf antivirale Medikamente verlassen." Der Pandemieplan empfiehlt, für 20 Prozent der Bürger antivirale Arzneimittel einzulagern, da sonst im Notfall nicht rasch genug ausreichend davon produziert werden kann. Doch über diese Empfehlung hat sich Deutschland hinweggesetzt: Hier wurden im Schnitt nur für jeden zehnten Bürger Medikamente geordert. "Wir erwarten die erste Lieferung der antiviralen Medikamente Relenza und Tamiflu ab Anfang Dezember", teilt Schnappauf mit. Der Rest werde dann im Lauf des kommenden Jahres eintreffen.

An der falschen Stelle gespart

Die meisten anderen Länder sind da schon viel weiter: Mittlerweile haben 13 EU-Mitgliedstaaten nach eigenen Angaben einen Vorrat an antiviralen Medikamenten angelegt. Ein Großteil der Länder hat auch deutlich mehr Medikamente angefordert, als Deutschland. Die Verantwortlichen müssten eines Tages den Menschen erklären, wer die Medikamente bekomme, wer leer ausgehe, und warum man zu wenig bestellt habe, betont Ruf.

"Der Bund hat sich weit zurückgelehnt und nichts getan", klagt Schnappauf. Daher hätten die Länder in die Bresche springen müssen. "Im Fall einer Erkrankungswelle werden lokal bestimmte Krankheitsherde auftreten. Wir haben vereinbart, dass sich die Bundesländer im Sinne der Nachbarschaftshilfe dann gegenseitig aushelfen und der betroffenen Region Medikamente aus dem landeseigenen Vorrat zur Verfügung stellen", erklärt der Minister.

Trotz aller bisherigen Bemühungen üben die Experten jedoch massive Kritik an Bund und Ländern. Sie monieren unter anderem, dass auch Relenza bestellt worden sei, obwohl das RKI in erster Linie Tamiflu empfiehlt. Relenza sei nur ein Reservemedikament, das lediglich die Erreger in der Lunge bekämpft und nicht die, die sich etwa in Gehirn oder Herzmuskel einnisten. Das Fazit von Ruf und seinen Kollegen fällt daher verheerend aus: Die Umsetzung des Pandemieplanes sei völlig unzureichend, so Ruf. Aus Kostengründen werde gespart, während die Zeit davonläuft.

Susanne Donner/DDP

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