Stammzellen Die Wahlkampf-Zellen

Gestern war's die Vietnam-Vergangenheit, nun streiten George W. Bush und John Kerry um embryonale Stammzellen. Für den einen sind sie der Beginn des Lebens, für den anderen ein verheißungsvolles Heilungsmittel.

Gewöhnlich frönen sie ein Schattendasein. Beim diesjährigen Wahlkampf um das Weiße Haus aber stehen Wissenschaft und Forschung voll im Scheinwerferlicht der US-Öffentlichkeit. Zu verdanken haben sie ihre neue Prominenz vor allem der Debatte um embryonale Stammzellen. Diese nur wenige Tage alten Zellen sind für den streng gläubigen Präsidenten George W. Bush der Beginn eines menschlichen Lebens und deshalb nur ganz begrenzt für Forschung mit Steuergeldern zugelassen. Für seinen Gegner John Kerry dagegen beinhalten sie das Versprechen auf Heilung einiger der schlimmsten Krankheiten.

Christopher Reeve bedankte sich bei Kerry

Zündstoff erhielt die Debatte durch den Tod des früheren US- Präsidenten Ronald Reagan sowie des querschnittsgelähmten "Superman"- Darstellers Christopher Reeve. Reagan litt an Alzheimer, einer Krankheit, gegen die es nach Überzeugung seiner Frau Nancy, seines Sohnes Ron und zahlreicher Experten nur eine Waffe gibt: Stammzellen.

Der beim Reiten verunglückte Reeve glaubte fest daran, dass Stammzellen ihm eines Tages helfen würden, wieder zu gehen. Nur einen Tag vor seinem Tod bedankte sich der populäre Fürsprecher für Behinderte telefonisch bei Kerry dafür, dem Thema im Wahlkampf Aufmerksamkeit verschafft zu haben. Reeves Kollege, der Parkinson- Patient Michael J. Fox ("Hallo, Mr. President"), warb mehrmals neben Kerry für die Stammzellenforschung.

Generell kann sich Bush zu Recht als Förderer von Forschung und Technologie brüsten. Seit seinem Amtsantritt stiegen die Zuschüsse aus dem Staatssäckel um 44 Prozent. Das Fachjournal "Science" (Bd. 306) bezifferte das Budget der Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) kürzlich auf 28 Milliarden Dollar (knapp 23,4 Milliarden Euro). Das sei mehr als die Gesamtsumme, die alle anderen Regierungen der Welt für die Biomedizin bereitstellen.

Kerry will kein "Star-Wars-Programm"

Für das Haushaltsjahr 2005 versucht die Regierung Bush gerade, eine Rekordsumme von 132 Milliarden Dollar zugunsten von Forschung und Entwicklung durchzudrücken. Das sind noch einmal 4,3 Prozent mehr als in diesem Jahr. Allerdings sollen wenigstens 57 Prozent davon in Technologien für das Militär und die Landessicherheit fließen. Allein für die als "Star Wars" bekannte Weltraumverteidigung hat das Pentagon unter Bush zehn Milliarden Dollar pro Jahr reserviert - ein Projekt, das Kerry ablehnt.

Der Senator aus Massachusetts favorisiert andere Schwerpunkte, darunter ein neues "Manhattan Projekt", das alternative Energien aufzeigen und "Amerika in zehn Jahren unabhängig machen soll vom Erdöl aus Nahost". Kerry will steuerliche Vergünstigungen für Autos mit Wasserstoffantrieb und sprach sich bereits vor zehn Jahren für eine Benzinsteuer von 50 Prozent aus, um den Verbrauch zu drosseln. Bush dagegen sieht nur einen Ausweg aus der steigenden Ölnachfrage: mehr Gewinnung. Dafür will er unter anderem Alaskas arktische Wildnis zum Bohren freigeben und gleichzeitig die Atomenergie ausbauen.

Bush revidierte auch etliche Umweltschutzmaßnahmen seines Vorgängers, Bill Clinton, und löste damit Stürme der Entrüstung aus. Seine Regierung will den zulässigen Wert für Arsen im Trinkwasser anheben und gab im Juli 24 Millionen Hektar geschützte Waldfläche zum Straßenbau frei. Kerry dagegen initiierte oder unterstützte in den letzten 15 Jahren rund 40 neue Umweltschutzgesetze im Kongress. Er nahm 1997 persönlich am Klimagipfel in Kyoto teil, während die Bush- Regierung sich bald nach ihrem Amtsantritt im Jahr 2000 vom Kyoto- Klimaschutzprotokoll distanzierte.

Von Gisela Ostwald, DPA

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