Zu Beginn des von ihm selbst einberufenen virtuellen Klimagipfels hat Joe Biden gleich mal einen rausgehauen. Bis 2030 werde sein Land den Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zum Jahr 2005 halbieren, ließ der US-Präsident die Welt wissen; genauer gesagt sollen die Treibhausgas-Emissionen der Vereinigten Staaten um 50 bis 52 Prozent sinken. Ein ambitioniertes Ziel für den größten Verursacher klimaschädlicher Gase, denn das sind die USA historisch gesehen (aktuell die Nummer 2 hinter China). Ambitioniert, aber nach Auffassung von Klimaschützern immer noch viel zu wenig. Greenpeace fordert für den gleichen Zeitraum einen Rückgang von 70 Prozent. Und für Fridays-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg kommen die Absichtserklärungen Bidens und der anderen Staatschefs auf dem Gipfel ohnehin schon einer Kapitulation vor dem 1,5-Grad Ziel von Paris gleich.
Dennoch: Biden hat sich viel vorgenommen und durchaus bereits einiges angeschoben. Er hat die Klimakrise zu einem seiner wichtigsten Themen erklärt, ist sofort nach Amtsantritt dem Pariser Klimaabkommen wieder beigetreten, das sein Vorgänger Donald Trump verlassen hatte. Er hat mit Ex-Außenminister John Kerry einen international anerkannten Top-Diplomaten zum direkt bei ihm angesiedelten Klima-Sondergesandten ernannt. Sein Kabinett ist durchsetzt mit Frauen und Männern, die sich mit dem Klimathema in ihren Ressorts bestens auskennen. Und auch der Gipfel der vergangenen beiden Tage hatte mindestens die Wirkung, dass die durch die Corona-Pandemie aus dem Fokus geratene Klimakrise wieder auf die Agenda gerückt ist – zumal Bidens Klima-Diplomat Kerry im Vorfeld aus China ein Agreement mitgebracht hatte, in dem sich die beiden größten Treibhausgas-Emittenten immerhin dazu bekennen, gemeinsam gegen die globale Erwärmung vorzugehen. Allerdings blieb Staats- und Parteichef Xi Jinping dennoch vage, als er in seinem Beitrag zu Bidens Klimagipfel die Verringerung des Kohleverbrauchs in seinem Land von 2025 an in Aussicht stellte.
Klimakrise: "America is back" eine wichtige Nachricht
Soweit die diplomatische Ebene, die nach Auffassung vieler Aktivisten die Bewältigung der Klimakrise bisher mehr gebremst als vorangebracht hat. Dennoch dürfte auch bei Thunberg und Co. kein Zweifel daran bestehen, dass Bidens "America is back" eine gute, womöglich entscheidende Nachricht ist. Es sei wichtig, dass der Gipfel jetzt stattfinde, damit das Thema wieder an Fahrt gewinne – selbst wenn manches, was dabei herumkommt, nur symbolisch sein sollte, sagte Jill Duggan, die Leiterin des Europa-Büros der Umweltschutzorganisation Environmental Defense Fund (EDF). Bidens angekündigte Halbierung des US-Treibhausgasausstoßes sei nicht leicht einzuhalten, aber es sei durchaus möglich, dieses Versprechen zu erfüllen.
Dafür muss der US-Präsident bei allen Bemühungen auf internationaler Ebene erstmal vor der eigenen Haustür kehren. Donald Trump, der den Klimawandel weitgehend leugnet, hat ja nicht nur das Pariser Abkommen – vor allem aus Kostenerwägungen – verlassen, er hat auch in den USA nahezu alles zurückgeschraubt, was den weltweiten Klimazielen dient. Trump gab Naturreservate für die Ausbeutung von Bodenschätzen frei, drehte zahllose Umweltbestimmungen für Unternehmen zurück und beendete bestehende Regulierungen auf Bundesebene (z.B. Barack Obamas Clean-Power-Plan). Das Geschäft mit Fracking und fossilen Energieträgern wurde gefördert. Er untersagte der Umweltbehörde EPA CO2-Emmissionen zu regulieren und lehnte jegliche Form der CO2-Bepreisung explizit ab. Vieles davon hat Biden per Erlass schon wieder zurückgedreht. Dass unter Trump die Emissionen trotz allem nicht ins Endlose anstiegen, ist nach Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft "technologischen Entwicklungen, globalen Markttrends und auch dem klimapolitischen Engagement der US-Bundesstaaten" zu verdanken. Vor allem Kalifornien, für sich allein schon eine der weltweit größten Wirtschaftsmächte, kümmerte sich weiter um Klimaschutz und zeigte auch auf den Weltklimakonferenzen Flagge.

Joe Biden muss für Unterstützung seiner Klimapläne zahlen
Trumps Hinterlassenschaften machen es Biden alles andere als leicht. Er muss viel in sehr kurzer Zeit umsetzen. Auch, weil sich schon im kommenden Jahr bei den Midterm-Wahlen die knappen Mehrheitsverhältnisse im Kongress wieder ändern können. "Weg von der Kohle, weg vom Öl, weg vom Erdgas; da ist einiges zu tun", gab sich der Kieler Klimaforscher Mojib Latif am Donnerstag im TV-Sender n-tv skeptisch angesichts der Herkulesaufgabe, vor der der demokratische Präsident steht. Denn: "Das Land hat sich trotz des Regierungswechsels nicht grundlegend verändert", stellte Michael Mehling vom Ecologic Institute in der Hauptstadt Washington gegenüber "Zeit online" fest. "Die Hürden sind enorm, die Vorbehalte groß." Und dies längst nicht nur unter Bergleuten, die durch Trumps "America first"-Politik auf die Sicherung ihrer Jobs hofften.
Doch just aus dieser Ecke kommt für den Präsidenten unverhoffte, wenn auch nicht vorbehaltlose Unterstützung. So tat die UMWA, die größte US-Gewerkschaft für Kohlearbeiter, in einem schriftlichen Statement kund: "Der Wandel kommt, egal, ob wir ihn suchen oder nicht." Die Gewerkschaft zeigt sich gemäß der so formulierten Einsicht grundsätzlich bereit für einen Übergang der Branche von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbarer Energie. Zum Nulltarif ist das allerdings nicht zu bekommen. "Wann immer wir mit dem Klimawandel zu tun haben, endet das mit dem Schließen von Kohlegruben", zitierte die "New York Times" UMWA-Chef Cecil E. Roberts. Nie komme es dazu, den nächsten Schritt zu tun. Das müsse sich ändern, wenn Biden seine Klima-Agenda verwirklichen wolle, sagte Roberts. In erster Linie geht es natürlich um neue Jobs für Bergleute in den neuen Energie-Unternehmen und um Hilfsgelder für arbeitslos gewordene Kumpel. "Hier muss enorm investiert werden", forderte der Gewerkschaftsboss.

Billionen-Programm für das Klima
Dazu ist Biden aber durchaus bereit. Er weiß, dass Akzeptanz für seine Klimapläne nur mit einer florierenden Wirtschaft und gesicherten Arbeitsplätzen entstehen kann. Deshalb verspricht der US-Präsident seinen Landsleuten, dass beides gerade durch seine Klimapolitik geschehen werde. Festgeschrieben ist dieses Ziel in Bidens bereits Ende März vorgelegten Infrastrukturplan, der laut dem Weißen Haus "Millionen guter Jobs schaffen (...) und die USA in eine Position versetzen wird, den wirtschaftlichen Wettstreit mit China zu gewinnen." Mehr als zwei Billionen Dollar sollen für dieses Ziel in den kommenden acht Jahren ausgegeben werden. Davon sollen unter anderem satte 174 Milliarden allein für die Elektromobilität aufgewendet werden – von der Ladesäule für E-Autos bis hin zu Batterie-Fabriken. Ein weiterer dreistelliger Milliardenbetrag soll die Erforschung von Zukunftstechnologien fördern. Erneuerbare Energien sollen per Steuererleichterung vorangebracht werden. Und unter anderem die ordentliche Abwicklung stillgelegter Ölquellen- und Bergbau-Flächen soll neue Arbeitsplätze entstehen lassen.
Vor allem Letzteres dürfte die um ihre Zukunft besorgten Kumpel im Blick haben. Die Kohle steht beispielhaft für die politischen Hindernisse, die Bidens Klima-Agenda entgegenstehen – selbst in den eigenen Reihen. Ohne die Zustimmung seines demokratischen Parteifreundes Joe Manchin aus West Virginia wird der US-Präsident seinen Investitionsplan nicht durch den Senat bekommen. Im Oberhaus des US-Kongresses herrscht seit der letzten Wahl ein Patt von 50 zu 50 Stimmen zwischen Demokraten und Republikanern. Aufgelöst werden kann dies nur durch die ausschlaggebende Stimme der Vorsitzenden; das ist qua Amt Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris. Doch auch Harris ist machtlos wenn Joe Manchin dem Plan seine Zustimmung verweigert. Und der Mann aus dem Kohlestaat wird nichts unterstützen, was seine Wählerbasis in Arbeits- und Perspektivlosigkeit schickt – Demokrat hin oder her. Biden wird mit dem Parteifreund noch intensiv verhandeln und einiges anbieten müssen, um seine Stimme zu bekommen.
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Wer den Roman von Marc Elsberg verschlungen hat, wird sich wahrscheinlich über die Anschaffung von Solarpanelen und Dieselgenerator Gedanken machen oder gar in Versuchung geraten, einen Brunnen auf dem eignen Grundstück zu bohren. Selbstversorger haben in Elsberg Geschichte gute Karten im Überlebenskampf. In "Blackout" brechen Europas miteinander verbundene Stromnetze zusammen. Wie die Dominosteine, kippt eines nach dem anderen, bis nichts mehr geht. Kein Internet, kein Kühlschrank, kein Fernseher. Weit schlimmer: Es ist Februar. Die Heizungen fallen aus, die Pumpen im Wassersystem fördern kein Trinkwasser mehr, die der Tankstellen keinen Sprit. Hunderttausende Kühe verenden an vollen Eutern, weil die Melkmaschinen ohne Strom nicht arbeiten, das Geflügelvieh erfriert zu Millionen, weil die im Februar so wichtigen Wärmelampen dunkel bleiben. Ein italienischer Hacker hat eine Idee, was passiert sein könnte. Doch wie es mit Helden so ist, wird ihnen nicht geglaubt. Im Gegenteil. Bald irrt er auf der Flucht vor den Behörden durch ein Europa, dessen Gesellschaft sich in Auflösung befindet. Das spannende Hörbuch gibt es als Zweiteiler mit zahlreichen hochkarätigen Sprechern. Marc Elsberg Blackout Teil 1 und Marc Elsberg Blackout Teil 2
Scheitert Biden zuhause, sieht es weltweit schlecht aus
Scheitert Biden aber im eigenen Land, dann dürfte es auch international düster aussehen. Denn dass am virtuellen Klimagipfel des US-Präsidenten selbst China und Russland teilnahmen, zu denen die USA derzeit ein angespanntes Verhältnis haben, hat laut Klimaforscher Latif nicht zuletzt damit zu tun, "dass alle sehen wollten, dass die USA bereit sind vorzulegen." Biden ist das mit dem Versprechen, die eigenen Emissionen zu halbieren, zunächst einmal gelungen. Japan und Kanada zogen mit Verschärfungen nach, sogar Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro versprach, das Abholzen und Abfackeln der riesigen tropischen Regenwälder in seinem Land zu beenden – freilich nur für satte Ausgleichszahlungen. Zugleich hat Biden versucht den Ton zusetzen, der für das Erzielen von Fortschritten im Kampf gegen die Klimakrise nötig ist. "Wir müssen handeln – wir alle", rief er seine hochrangingen Gipfel-Gäste auf. Nicht zuletzt, weil "die Kosten der Untätigkeit weiter steigen", so Biden. Es gelte, in der klimagerechten Transformation der Wirtschaft eine ökonomische Chance zu erkennen. "Wir haben wirklich keine Wahl."
Ob der US-Präsident gehört wurde und ob die Staats- und Regierungschefs der Welt tatsächlich bereit sind, den Kampf gegen die Klimakrise zu intensivieren, wird sich im November zeigen. Der Weltklimagipfel in Glasgow, der wegen Corona bereits um ein Jahr verschoben wurde, dient der Nachjustierung der Pariser Klimaziele. Dass diese nicht ausreichen werden, um die globale Erwärmung unter 2,0 Grad, besser auf 1,5 Grad, zu reduzieren, war damals schon klar. Deshalb beinhaltete der Beschluss von Paris schon, dass die unterzeichnenden Staaten fünf Jahre später das Erreichte präsentieren und dann nachlegen müssen. Wegen Corona ging bereits ein weiteres Jahr verloren. Nicht auszuschließen aber, dass mehr als zunehmend spürbare Probleme und gute Argumente eher Greta Thunbergs Griff an das Geltungsbedürfnis der Politiker Wirkung zeigt: "Wir, die jungen Leute, sind diejenigen, die in den Geschichtsbüchern über Sie schreiben werden. Wir sind diejenigen, die entscheiden werden, wie man sich an Sie erinnern wird. Mein Rat an Sie ist also, weise zu handeln."
Quellen: "New York Times"; Gewerkschaft UMWA; IfW Kiel; Die Zeit; Weißes Haus; Nachrichtenagentur DPA