Tierparks Der große Zoo-Test

Von Rupp Doinet
Mit über 30 Millionen Besuchern im Jahr sind sie das beliebteste Freizeitziel der Deutschen. Schon einmal, vor acht Jahren, hat der stern die wichtigsten deutschen Tiergärten getestet, mit überraschend gutem Ergebnis. Jetzt waren die Experten wieder unterwegs, um zu schauen: Was hat sich seitdem getan? Mehr als erwartet.

Viel ist nicht los an diesem trüben Tag im "Orang-Utan-Paradies" im Münchner Tierpark Hellabrunn. Von der Decke des geräumigen Innengeheges baumeln ausrangierte Feuerwehrschläuche. Am Boden liegen ein paar Büschel Holzwolle, ein leeres Bierfass, angebissenes Obst und Gemüse, in dem lustlos ein paar Affenfrauen herumkramen. Ein Münchner Paar kommuniziert durch die große Glasscheibe hindurch mit einem Orang-Mann, der sie aus wenigen Zentimetern Entfernung ernst betrachtet. Ob er nicht hinreißend sei und so menschlich, fragt die Frau, und: "Gleich fängt er an zu sprechen!" Doch der Orang- Mann sagt kein einziges Wort, sondern steckt sich mit Bedacht den rechten Zeigefinger in den Po und danach in den Mund. Das Paar blickt einander an, als sei es gerade enterbt worden. Hautnah erlebt, ist Natur zuweilen verstörend.

So dicht dran sind Besucher moderner Zoos immer wieder, wie ein stern-Team während des großen Zoo-Tests erlebte. Zehn Wochen lang, von Ende März bis Mitte Juni, recherchierten stern-Leute in 50 zoologischen Gärten zwischen Neumünster und München, Aachen und Görlitz. Ausgewählt waren die Mitgliedzoos des Verbandes Deutscher Zoodirektoren, des Dachverbandes der wissenschaftlich geführten Tiergärten, sowie die übrigen drei Zoos, die Elefanten halten. Unterstützt von zwei renommierten Experten, dem Biologen Harro Strehlow und dem Fachjournalisten Herman Reichenbach (unter anderem "International Zoo News"), wurde jedes einzelne Gehege, jede Voliere, jedes Terrarium oder Aquarium überprüft, verglichen und bewertet. Das Ergebnis überrascht: Tier-Zuchthäuser, in denen Tiere gequält und psychisch gebrochen werden, gibt es in deutschen Zoos bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht mehr.

Für manche Tiere gibt es noch zu wenig Raum

Kaninchen sind so eine Ausnahme. Die vegetieren in vielen Zoo-Bauernhöfen weiterhin in winzigen Verschlägen. Auch die Haltung von Riesenschlangen ist oft problematisch, was daran liegen mag, dass sich Pythons und Anakondas gern tagsüber in einer Ecke kringeln und auf die Nacht warten, um nach Beute zu suchen. Dass sich Schlangen dann auch mal lang machen mögen, ohne in ihren engen Terrarien gleichzeitig mit Kopf und Schwanz an Grenzen zu stoßen, sehen die Besucher nicht. Und ob die Greifvögel in den Falknereien der Zoos Bochum und Neunkirchen wirklich durch die täglichen Rundflüge dafür entschädigt werden, dass sie den Rest des Tages an der kurzen Leine vor ihren Verschlägen hocken, war für die stern-Tester auch so eine Frage, auf die es nur eine Antwort gab: nein.

Einzelfälle, zum Glück. "Es hat einen Quantensprung gegeben", sagt Professor Helmut Pechlaner, der bis Ende 2006 den weltberühmten Wiener Tiergarten Schönbrunn geleitet hat und wissenschaftlicher Berater des stern-Tests war.

Das Washingtoner Artenschutzübereinkommen von 1973, das den Handel mit bedrohten Tierarten verbietet, die Zoo- Richtlinie der EU, die für jede Tierart Gehegegröße und Haltungsbedingungen vorschreibt, und eine neue Philosophie haben die Zoos nachhaltig verändert: Es genügt nicht mehr, Eisbären eine Eisscholle aus Plastik ins Wasser zu legen oder im Tigergehege Antilopenkot zu verstreuen, um den Tieren die Langeweile zu nehmen.

"Tiere", sagt Ulrich Schürer, Chef in Wuppertal, "brauchen Räume." Vor einem Jahr bekam sein Zoo das mit knapp einem Hektar größte Löwengehege in Deutschland. Sieben Löwen leben in ihm, und sie liegen nicht auf der faulen Haut, sondern durchstreifen das ganze Gebiet, was auch Kritikern zeigt, dass sie sich wohlfühlen.

Ohne Zoos gäbe es manche Tierarten nicht mehr

Zoos sehen sich heute als eine Art Arche Noah, die sich darum bemüht, Tiere nicht nur in einer möglichst natürlichen Umgebung zu zeigen, sondern bedrohten Tierarten einen geschützten Raum zu geben, sie zu vermehren und später wieder der Natur zurückzugeben. Ohne Zoos gäbe es keine Przewalskipferde mehr, keine Wisente, keine Arabische Oryxantilope, keine Hawaii- Gans, keine Somali-Wildesel, Mesopotamischen Damhirsche, keine Bartgeier in den Alpen und wohl bald auch keine Laubfrösche. Kaum ein Tierpark, der sich nicht am Europäischen Erhaltungs-Programm (EEP) für auf der Roten Liste stehende Tierarten beteiligt oder ein "Zuchtbuch" führt, das eine Art internationale Partnervermittlung für bedrohte Arten ist.

Wer vor einem Jahrzehnt das letzte Mal im Tierpark war, erlebt heute eine neue Welt. Eine, in der es immer weniger Gitter gibt, in der neue Gehege manchmal so groß sind, dass an ihrem Rande Fernrohre stehen, damit man für 50 Cent oder einen Euro ihre Bewohner besser sehen kann.

In geradezu riesigen, filigranen, fast unsichtbaren Volieren können sich Besucher fühlen, als wären sie mitten im Urwald, umgeben von frei fliegenden Exoten. Die Savanne in Osnabrück ist eine fast perfekte Kopie einer afrikanischen Ebene, mit Zebras, Giraffen und Straußen, die sich verstecken können, streiten, rennen oder ruhen. "Zoom", der neue Zoo in Gelsenkirchen, bietet seinen Bewohnern wahre Landschaften, begrenzt nur durch künstliche Felsen und für den Menschen unsichtbare Barrieren.

Auf den ersten Blick ist "Zoom" einer der schönsten Zoos Deutschlands. Auf den zweiten Blick allerdings vermissten die stern-Experten den wissenschaftlichen Anspruch - wie zum Beispiel Tiere, die schwer zu halten oder vom Aussterben bedroht sind. Doch "Zoom" ist noch im Aufbau. Ein Drittel der Anlage, der Asienteil, ist noch nicht fertiggestellt, weshalb der Tierpark zwar sehr gute "Haltungsnoten" bekam, aber außer Konkurrenz bewertet wurde. Dennoch: Die Beschilderung könnte schon jetzt besser sein. Wer das indische Panzernashorn nach Afrika versetzt und seinen Besuchern ein Perlhuhn als schnellen Brüter vorstellt, der gerade mal 24 Stunden auf dem Gelege sitzt, bevor die Küken schlüpfen (tatsächlich dauert es mehr als drei Wochen), hat nur beschränkt Anspruch auf wissenschaftliche Reputation.

Nichts alles, was der Besucher lernt, stimmt auch

Doch damit steht Gelsenkirchen nicht allein. Überraschend, aber falsch ist auch die Behauptung des wissenschaftlich höchst angesehenen Frankfurter Zoologischen Gartens. Der lässt aus der Haut der Wabenkröte, die ihren Nachwuchs mit sich herumträgt, "fertige Frösche" schlüpfen. Dresden erklärt das Wesen der Krokodile anhand eines Gedichts von Emanuel Geibel: "... Gewöhnlich fress ich Mohrenfleisch und sonntags manchmal einen Türken." Aber das stört offenbar niemanden.

Über 30 Millionen Besucher strömten 2007 in die deutschen Zoos. Dort kann man sich standesamtlich trauen lassen, seine Ferien verbringen, sehr, sehr schlecht essen, mit Nachtsichtgeräten lichtscheue Tiere besichtigen, grillen, Hunde ausführen (kostet in Hannover 8 Euro extra). Man könnte eine Diplomarbeit darüber schreiben, warum es so viele junge Mütter zum Stillen in Elefantenhäuser zieht und ob das eine unbewusste Sehnsucht nach der Zeit ist, in der Menschen in Höhlen lebten, die nach Mammut rochen. Man kann "für einen halben Tag Tierpfleger sein, Stall ausmisten, Futter schneiden, füttern, säubern". Dafür verlangt der Duisburger Zoo 150 Euro. Bewerbungen sind derzeit vergebens. Man ist "ausgebucht". Hagenbeck in Hamburg eröffnete gerade ein neues Großaquarium, allein die 14 Meter lange Acrylscheibe soll eine Million Euro gekostet haben, und baut nun mit dem Düsseldorfer Hotelunternehmen Lindner Europas erstes "Tierpark-Themenhotel", in dem jede Etage einem Kontinent und seinen Tieren gewidmet ist. Und dann gibt es natürlich noch Knut.

Von Knut in Berlin sahen die Tester allein den Hintern. Seit Wochen spielt Deutschlands berühmtester Eisbär nur noch "Alle meine Entchen", sucht kopfüber, aber vergebens im Wasser nach Fischen. Ein paar nette Pfleger hatten ihm lebende Karpfen in das Becken gesetzt, worüber sich Knut sehr gefreut hatte. Aber dann wurde Zoodirektor Bernhard Blaszkiewitz vor den Umweltausschuss zitiert und vor die Frage gestellt: "Ist ihnen bekannt, dass lebende Wirbeltiere nicht verfüttert werden dürfen?" Knut bekommt seine täglichen Rationen nun wieder vom Schlachthof, und er kann froh sein, nicht in einem Zoo in den USA zu leben. Dort werden Raubtiere mit einer Fleischpaste ernährt, damit die Besucher durch den Anblick roher Fleischstücke keine seelischen Schäden, vor allem aber keine juristisch verwertbaren psychischen Störungen bekommen.

Manches wird dem Betrachter erspart

Dass manche Tiere manche Tiere fressen, wird in deutschen Zoos nicht verschwiegen, auch wenn Löwe, Tiger und Panther ihr Futter zuweilen diskret in Jutesäcke verpackt serviert bekommen. Artgemäßer wäre eine "Ganzkörperfütterung", also ein ganzes Gnu oder ein Schwein, das zuvor tierschutzgerecht getötet wurde. Aber ein streitendes Löwenrudel bei seiner blutigen Malzeit, das wollen die Tierparks ihren Besuchern noch nicht zumuten.

Immerhin: In Görlitz erfahren sie schon am Eingang auf einer großen Tafel, dass etwa die beiden Hängebauchschweine Kelsang (Der Glückhafte) und Kando (Die Himmelsstürmerin) geschlachtet und verfüttert worden sind. Heidelberg macht kein Geheimnis daraus, pro Jahr 4,5 Tonnen Küken zu verbrauchen. Auch Nürnberg verkündet offensiv, Zootiere zu schlachten, um Zootiere zu ernähren.

Wie es um die Tierliebe der Besucher bestellt ist, erfahren deutsche Zoos alle Jahre wieder vor den großen Ferien, wenn sich in den Streichelzoos die Zahl der Meerschweinchen und Kaninchen schlagartig erhöht. Einmal immerhin rief in Wuppertal ein Vater vorher an, um zu fragen, ob er den "Wuzzl" während der Ferien im Gehege deponieren könne. "Nur zu", sagte der Direktor Schürer, "dann kann der "Wuzzl" gleich seinen Antrittsbesuch bei den Schlangen machen." Was dem Vater auch recht war: "Solange es die Kinder nicht erfahren."

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