Umweltschutz "Auch Deutschland ist über dem Limit"

1972 erschien das Buch "Die Grenzen des Wachstums" und geriet zum Standardwerk der Umweltbewegung. Vor kurzem wurde das 30-Jahre-Update des Buches auf Deutsch veröffentlicht. Autor Dennis Meadows sprach mit stern.de über deutsche Umweltstandards und die Frage, wie lange die globalen Ressourcen noch reichen.

Herr Meadows, es ist zwar schon ein bisschen her, aber: Was haben Sie am 9. Oktober gemacht?

Da muss ich nachdenken... Ich weiß es nicht mehr. Anscheinend nichts Besonderes.

Es war immerhin der "World-Overshoot-Day", der Tag an dem die Welt ihr Umweltbudget für 2006 aufgebraucht haben soll. Leben wir seither von einer Art globalem Dispo-Kredit?

Für diese Erkenntnis brauche ich keinen Gedenktag. Wir haben jeden Tag Overshoot-Tag. Von mir aus könnte man auch am 1. Januar daran erinnern oder an Weihnachten.

Grenzen des Wachstums - Das 30-Jahre-Update

Donella Meadows, Jørgen Randers, Dennis Meadows: Grenzen des Wachstums - Das 30-Jahre-Update, Hirzel 2006, 29,00 Euro

"Overshoot" klingt wie "kurz vor dem Zusammenbruch".

Das ist auch so gemeint. "Overshoot" beschreibt eine Grenzüberschreitung. Eine Gesellschaft kann eine begrenzte Zeit über Ihre Verhältnisse leben. Aber sie wird schon bald gezwungen sein, ihren Verbrauch an Energie und Rohstoffen auf ein nachhaltiges Niveau zurückzuschrauben. Und wir sind schon in ziemlich vielen Bereichen über dem Limit: Wir produzieren fünf Mal so viel Treibhausgase wie die Erde in Meerwasser, Boden oder Biomasse binden kann. Das Ozonloch wächst, weil die FCKW, die wir schon freigesetzt haben, immer noch ihr Zerstörungswerk tun. Fast überall sinken die Grundwasserspiegel, weil zu viel Wasser abgepumpt wird. Und wir werden schon in wenigen Jahren das Maximum der weltweiten Ölförderung erreichen.

Das wurde Ihnen ja immer um die Ohren gehauen: "Der Club of Rome hat gesagt, dass in den 1990-er Jahren die Ölquellen versiegen."

Das Problem ist nur: Wir haben diese Vorhersage nie gemacht. Sie wurde uns von unseren Kritikern in den Mund gelegt. Die Prognose stammte aber gar nicht von vom Club of Rome, sondern von der US-Regierung. Wir haben sie 1972 in "Die Grenzen des Wachstums" abgedruckt, um zu illustrieren, dass jede Ressource bei exponentiell steigendem Verbrauch ziemlich schnell am Ende ist. Das ist Mathematik, keine Prognose.

Aber auch in ihren Modellen gehen Rohstoffe rapide zur Neige.

Ja, aber jetzt noch nicht. In unserem Bericht von 1972 stand, dass wir bis weit ins 21. Jahrhundert reichlich Rohstoffe haben werden. Und wir sind immer davon ausgegangen, dass wir ernste Problem erst ab etwa 2020 oder sogar 2040 bekommen.

Ist es überhaupt seriös möglich, die Belastungsgrenzen der Erde auszurechnen?

Wir haben nie fixe, physische Grenzen berechnet, sondern gefragt: Wie reagiert ein System und ab welcher Beanspruchung ist darin kein Wachstum mehr möglich, Wirtschaftwachstum ebenso wenig wie ein Wachsen der Weltbevölkerung. Und wir sagen auch in unserem neuen Buch: Es wird nicht möglich sein, die Industrieproduktion noch lange zu steigern, weil die Kosten für Rohstoffe immens steigen werden.

Der "Club of Rome"

Ohne die Begegnung zweier Männer hätte es den "Club" wohl nie gegeben: 1968 trafen sich in Rom der Fiat-Manager Aurelio Peccei und Alexander King, Wissenschaftsdirektor der OECD. Beide einte die Sorge, dass der wirtschaftliche und technische Fortschritt Menschheit und Umwelt in die Katastrophe führen würde und Politiker das nicht verhindern würden. Ein neues Gremium sollte gegründet werden, um Regierungen zu beraten und die Öffentlichkeit aufzuklären.

Im April 1968 trafen sich in Rom 36 Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft: Der "Club of Rome" war geboren. Sein erster, viel beachteter Bericht "Grenzen des Wachstums" erschien 1972, wurde in 27 Sprachen übersetzt und weltweit 12 Millionen mal verkauft. Es war eines der ersten einflussreichen Bücher über Nachhaltigkeit und gab der Umweltbewegung der 70er und 80er Jahre starken Auftrieb. Seitdem sind zahlreiche Berichte an den "Club of Rome" erschienen, etwa zu Umweltschutz, Energieeffizienz oder Bildungspolitik.

Der "Club of Rome" hat maximal 100 aktive Mitglieder. Zurzeit sind es 80 aus 50 Ländern. Hinzu kommen assoziierte und Ehrenmitglieder wie Dennis Meadows. Weltweit arbeiten 30 nationale Gesellschaften, die vom Generalsekretariat mit Sitz in Hamburg koordiniert werden.

Präsident des Club of Rome ist Prinz El Hassan bin Talal, ein Bruder des jordanischen Königs. Eine Stiftung mit Sitz in Luxemburg wirbt international Gelder für die Finanzierung des Clubs ein.

www.clubofrome.org

Dürfen wir uns in Deutschland auf die Schulter klopfen?

Deutschland wird zu Recht beim Umweltschutz oft als Vorreiter gesehen. Ich glaube, dass Sie hier hohe Standards haben. Aber beim Ressourcenverbrauch ist auch Deutschland deutlich über dem Limit. Wir können das auf jeden Einzelnen runterrechnen. Mein Schweizer Kollege Mathis Wackernagel hat dafür das Konzept des "ökologischen Fußabdrucks" erfunden: die Fläche, die benötigt wird, um herzustellen, was eine Person verbraucht oder nutzt, an Lebensmitteln, Energie, Wohnraum und Infrastruktur.

Wie groß ist der Fußabdruck der Deutschen?

Vor kurzem wurde eine Rangliste vom WWF veröffentlicht. Danach liegt Deutschland auf Platz 23, von 150 Ländern. Jeder Deutsche hat einen "Fußabdruck" von 4,5 Hektar im Jahr. Das ist immerhin das Zweieinhalbfache der 1,8 Hektar, die jedem Bürger auf dem Planeten theoretisch zur Verfügung stehen.

Wer liegt an der Spitze des Ressourcenverbrauchs?

Beim Pro-Kopf-Verbrauch liegen die Vereinigten Arabischen Emirate vorn. Dicht gefolgt von die USA. Aber weil die US-Bevölkerung so groß ist, sehen neben dem Fußabdruck Amerikas eigentlich alle anderen klein aus.

Warum hört man eigentlich kaum noch etwas vom Club of Rome?

Als wir 1972 "Die Grenzen des Wachstums" veröffentlichten, waren wir auf einen Schlag weltberühmt. Mitte der 1970er Jahre änderte sich dann das politische Klima: Politiker kamen zu uns Wissenschaftlern und sagten: Ihr habt Recht, es kommen jede Menge Probleme auf uns zu. Sagt uns, was wir tun sollen. Und auf diesen Moment war der Club of Rome nicht vorbereitet. Man hatte zu wenige Ideen. Oder man war sich nicht einig über die Lösungen. Auf internationaler Ebene hat der Club danach nie wieder die Bedeutung von damals erlangt. Man publiziert immer noch Berichte über Probleme. Aber das wollen die meisten Leute nicht mehr hören. Das wissen sie. Sie wollen jetzt Ansätze für Lösungen haben.

Mal ganz ehrlich: Ihre Themen scheinen die Öffentlichkeit insgesamt weniger zu bewegen als noch in früheren Jahrzehnten.

Jeder lebt in einer Hierarchie seiner Wünsche: An der Basis steht der Wille zu überleben, man braucht Wasser, Essen, ein Dach über dem Kopf. Danach interessiert man sich für Familie und Freunde. Erst ganz zum Schluss wünscht man sich selbstlose Dinge wie globale Solidarität oder die Bekämpfung von Armut. Zurzeit sind wir wieder auf Talfahrt: Die Leute denken weniger an die Hungernden der Welt, weil immer mehr von ihnen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz und ihre eigenen Bedürfnisse machen.

Sie reden von den Industrieländern? So schlecht geht es uns ja nun nicht...

Trotzdem wird es schwieriger: Nehmen Sie zum Beispiel die Kosten für Bildung. Als ich meinen Uni-Abschluss machte, waren in den USA die Studiengebühren niedrig und es gab viele Finanzhilfen für Studenten. Heute haben Absolventen in der Regel Schulden von 50.000 bis 60.000 Dollar. Die möchte man erst mal bezahlen, bevor man sich Gedanken über Nachhaltigkeit macht.

In Großbritannien etwa ist es zurzeit populär, den eigenen Konsum zu überdenken. Das Buch "Einfach die Welt verändern" wurde zum Bestseller. Kommen wir dadurch weiter, dass jeder auf Plastiktüten verzichtet und konsequent den Wasserhahn zudreht?

Das reicht nicht aus. Aber diese Bewegung ist wichtig und könnte viel erreichen, wenn sie noch weitere Kreise zieht.

Diese kleinen Ideen werden oft belächelt...

...weil manche Leute hoffen, dass andere für sie die Probleme lösen. Aber wenn die Probleme durch viele kleine Schritte verursacht wurden, können sie auch durch viele kleine Schritte gelöst werden. "Bevölkerungswachstum" ist ja auch keine große, abstrakte Sache. Sondern das Resultat von ein paar Milliarden Menschen, die sich entscheiden, mehrere Kinder zu kriegen.

Vor kurzem wurde der britische Stern-Report zum Klimawandel veröffentlich. Der Bericht setzt unter anderem auf den Umbau der Energiewirtschaft. Sehen Sie auch die Kernenergie als Teil einer klimafreundlichen Energieversorgung?

Ich halte Atomkraft für eine schlechte Lösung, weil sie mehr Probleme schafft als sie löst. Aber selbst wenn Sie alle Probleme mal beiseite lassen, zahlt sich Atomkraft energetisch nicht aus: Sie bekommen etwa zehn Mal so viel Energie raus, wie sie reingesteckt haben. Das ist zu wenig. Unser rasantes Industriewachstum basierte auf Öl als Energieträger. Und Öl liefert das 30- bis 100-fache der Energie, die Sie investiert haben, Kohle das 80-fache...

Am Ende ihres neuen Buches schreiben Sie, dass Kinder mehr über Systeme lernen sollen. Warum?

Globale Probleme wie das Wachstum der Bevölkerung oder die Entwicklung der Weltwirtschaft folgen keiner geraden Linie, sondern beschreiben Kurven. Und die muss man im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchen, vorherzusagen. Man muss lernen, wie Systeme reagieren - um zum Beispiel zu erkennen, dass ein ständiger Aufwärtstrend sich nicht unbedingt fortsetzen wird.

Interview: Nicole Heißmann

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