Es ist nun schon ein halbes Jahrhundert her, dass der Club of Rome 1972 die Welt mit seiner Studie "Die Grenzen des Wachstums" aufrüttelte. Es war eine erste weithin beachtete Bestandaufnahme dessen, was der Mensch der Erde antut und wie er seinen eigenen Lebensraum Stück für Stück zerstört. Man kann nicht behaupten, dass seither nichts passiert ist. Von ätzenden 70er-Jahre-Sprüchen wie "Zurück in die Steinzeit" bis zum Ausbau von Wind- und Sonnenenergie, vom seinerzeit befürchteten "Ende der Autoindustrie" durch den Katalysator bis zum alltagstauglichen Elektro-Auto oder vom hemmungslosen Ausbeuten fossiler Ressourcen und ungebremstem Verpesten der Luft hin zu Filtertechnologien und Kohleausstieg – das sind durchaus bemerkenswerte Wegstrecken. Trotzdem sind wir auch fünf Jahrzehnte nach der Club-of-Rome-Veröffentlichung alles andere als am Ziel. Vor allem ist sonnenklar: Wir sind viel zu langsam.
Zwei Tage lang wollten Regierungschefs und Umweltminister:innen daher nun während der Konferenz Stockholm+50 auf die Tube drücken, so die Absichtserklärung. Die Veranstaltung erinnerte an die erste UN-Konferenz zu Umweltthemen, die nur kurz nach der Veröffentlichung des Club of Rome 1972 ebenfalls in der schwedischen Hauptstadt stattfand. Auch die damalige Konferenz gilt als Markstein, als Geburtsstunde der internationalen Umweltpolitik. Damals wurde unter anderem das UN-Umweltprogramm Unep ins Leben gerufen. Viele Länder in aller Welt schufen erstmals Umweltministerien. Internationale Umweltabkommen kamen zustande. Später folgten die Weltklimakonferenzen, die schließlich in Paris die Zielvorgabe hervorbrachten, die globale Erwärmung deutlich unter 2,0 Grad, am besten auf 1,5 Grad zu beschränken – im Grunde eine Art Notfallbeschluss, um den schon angerichteten Schaden nicht noch größer zu machen.
Beschleunigte Klimakrise: 1,5-Grad-Ziel schon bald erreicht
1,5 Grad, das ist immer noch die Messlatte. Dabei ist praktisch schon sicher, dass auch diese gerissen werden wird. Schon innerhalb der kommenden Jahre, aller Voraussicht nach bis spätestens 2026, wird die Durchschnittstemperatur mindestens eines Jahres diesen Wert erreichen oder gar übersteigen, teilte die Weltwetterorganisation kürzlich mit. Das werde mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit so sein. Als der Pariser Gipfel 2015 das 1,5 Grad-Ziel bejubelte, galt es noch als praktisch ausgeschlossen, dass die Marke innerhalb von fünf Jahren erreicht werden könnte. Schlimmer noch: Auch die 2,0-Grad-Marke, unter der der Pariser Gipfel "deutlich" bleiben wollte, ist laut Erkenntnissen des Weltklimarates IPCC vom letzten Jahr mit großer Sicherheit nicht mehr einzuhalten.
Bedeutet also: Die Klimakrise beschleunigt sich, unsere bisherigen Gegenmaßnahmen halten damit nicht Schritt. Katastrophen wie die aktuelle beispiellose Hitze in Indien, die verheerende Ahrtal-Flut, die wiederkehrenden, kaum noch kontrollierbaren Wald- und Buschbrände in Kalifornien und Australien oder die schleichend zunehmende Trockenheit, von der auch Deutschland erfasst ist, machen die Folgen des Klimawandels zunehmend spürbar. Die Hauptgründe dafür, dass Aktivistengruppen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Letzte Generation zu immer drastischeren Protestaktionen greifen, um die Entscheidungsträger anzutreiben.
"Sinking Islands": Diese Inselstaaten gehen jetzt schon unter
Eine Frau geht über einen Wall von Sandsäcken in Guraidhoo. Die Sandsäcke wurden nicht als Vorbeugung gegen eine Überflutung aufgeschichtet, sondern als Schutz gegen die fortschreitende Erosion. Die hierzulande vor allem als Urlaubsparadies im Indischen Ozean bekannte Republik aus 1200 Inseln gehört zu den am tiefsten liegenden Staaten der Welt – in den tiefsten Lagen sind es nur anderthalb Meter. Der steigende Meeresspiegel sorgt längst für eine fortschreitende Erosion, die Inseln werden regelrecht Stück für Stück abgetragen. Die Heimat einer guten halben Million Menschen geht auf diese Weise langsam unter.
Klimaschutz: In einer vollen Welt muss man anders leben als in einer leeren
Der Club of Rome hat dies vor 50 Jahren natürlich nicht im Detail vorausgesehen – schon gar nicht eine Multi-Krisen-Situation mit globaler Erwärmung, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Methoden und Kriterien des historischen Berichts wurden über die Jahre immer wieder kritisiert, und auch der Club selbst legte mehrfach Aktualisierungen vor. So manches schon 1972 erkannte Problem spielt aber immer noch eine Rolle beim Kampf gegen den Klimawandel. Dazu gehört die rasant wachsende Weltbevölkerung. Vor 50 Jahren gab es weniger als vier Milliarden Menschen; im kommenden Jahr werden es doppelt so viele sein. Sie hinterlassen einen "unerträglich groß gewordenen" ökologischen Fußabdruck, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres in Stockholm zugab.
"In einer solchen Welt muss man anders leben und denken als in einer leeren Welt", sagte Ernst Ulrich von Weizsäcker, sechs Jahre Co-Präsident des Club of Rome, 2018 in einem stern-Interview. Auch das ist schon wieder vier Jahre her. Wirksam stabilisieren lasse sich die Bevölkerung durch Selbstbestimmung der Frauen, gute Gesundheitsversorgung für Säuglinge und Kinder, eine verlässliche Altersversorgung (zur Überwindung der traditionellen Altersvorsorge durch Kinderreichtum), schrieben Weizsäcker und Kolleg:innen 2017 in einem Folgebericht des Club of Rome. Doch seither stieg die Weltbevölkerung noch einmal um rund eine weitere halbe Milliarde an.
All' diese Menschen wollen versorgt sein; essen, leben, sich entfalten – und hinterlassen dabei ihren CO2-Abdruck. Nur stetiges Wirtschaftswachstum scheint das Wohl einer so großen Bevölkerung ermöglich zu können. Doch da die Ressourcen des Planeten bekanntlich endlich sind, sind Grenzen des ökonomischen Wachstums eine logische Folgerung. Obwohl die Beschäftigung mit Postwachstumsgesellschaften in Soziologie und Volkswirtschaft durch den 72er-Bericht angeregt wurde, vertritt auch der Club of Rome seine Grundthese der Wachstumsgrenze inzwischen weniger dogmatisch. Gebe es kein Wachstum, schrieben Weizsäcker und seine Co-Autor:innen 2017, "kann es sehr rasch zu sozialen Konflikten und zu Katastrophen kommen." Man dürfe nicht einfach Anti-Wachstum predigen. "Das bringt gar nichts."
Auf der Suche nach der nachhaltigen Balance
Wie aber bringt man Ökologie und Ökonomie in eine nachhaltige Balance? Und vor allem: Wie kann der Prozess beschleunigt werden? Dass Konferenzen wie Stockholm+50 die geeigneten Werkzeuge sind, daran gibt es längst ernste Zweifel. Zu starr und zäh sind die Strukturen, in denen sich die offiziellen Unterhändler bewegen: "Unter fast 200 Ländern einen Konsens herzustellen, das ist sehr schwer – vor allem, wenn da ein paar Länder dabei sind, die gar nichts machen wollen", sagte Klima-Influencer Saleemul Huq, der auf allen bisherigen Klimagipfeln war, dem stern nach der COP26 im vergangenen Jahr in Glasgow. "Deshalb haben die Staatschefs die Tendenz, eher keine Einigung zu erzielen."
Wie zur Bestätigung sagte die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson zu Beginn der +50-Tagung: "Dies ist kein Treffen, das neue Ziele setzt, denn die Welt hat sich bereits ehrgeizige Ziele gesetzt." Doch wie oft schon waren die Ziele ehrgeizig, der Drang sie zu erreichen aber deutlich zu klein? Es brauchte eine Pandemie, damit der globale Ausstoß des schädlichsten Treibhausgases Kohlendioxid spürbar zurückging; inzwischen steigt er längst wieder rasch an. Wir haben "unsere Versprechen in Bezug auf die Umwelt nicht eingehalten", zog Guterres in Stockholm eine bittere Bilanz nach 50 Jahren Klimapolitik. "Wir müssen jetzt unseren Kurs ändern und unseren sinnlosen und selbstmörderischen Krieg gegen die Natur beenden", forderte er dann. Weiß Gott nicht zum ersten Mal.
Rekordhitze der letzten 122 Jahre: So trotzt Indien den heißen Temperaturen
Antrieb nur durch schon eingetretene Katastrophen?
Obwohl die Stockholm+50-Konferenz erklärtermaßen beraten wollte, wie mehr Tempo bei der Umsetzung von Maßnahmen gegen Klimawandel, Artensterben und Vermüllung erreicht werden könnte, waren von vornherein keine konkreten Beschlüsse geplant. Das wurde Kritikern wie der bekannten ugandischen Klimaaktivistin Vanessa Nakate dementsprechend entgegen gehalten. Doch Nakate stellte klar: "Sie halten schicke Reden, aber das wird leidende Gemeinschaften nicht retten und die Erwärmung des Planeten nicht aufhalten."
Können also nur Katastrophen wie die Ahrtal-Flut oder der brutale Ukraine-Krieg, der im Moment die Wende zu erneuerbaren "Freiheitsenergien" (Finanzminister Christian Lindner, FDP) antreibt, eine echte Triebfeder für schnellere Klimaschutz-Maßnahmen sein? Offenbar ist das so. Doch die viel gerühmte Anpassungsfähigkeit der Menschheit droht diesmal an ihre Grenzen zu kommen.
Schnell Punkt erreicht, an dem wir uns nicht mehr anpassen können
"Die Leute verstehen das Ausmaß dessen nicht, was vor sich geht", sagte die renommierte kanadische Klimaforscherin Katharine Hayhoe kurz vor der Stockholm-Konferenz dem britischen "Guardian". Wenn es so weitergehe wie bis jetzt, "wird die Welt schnell einen Punkt jenseits dessen erreichen, worauf wir uns anpassen können." Unsere gesamte, über Dekaden aufgebaute Infrastruktur werde dann für einen Planeten gebaut sein, der nicht mehr existiert. Die menschliche Zivilisation sei auf der Annahme aufgebaut, dass die Erde ein stabiles Klima hat. "Aber wir bewegen uns weit davon weg", so Hayhoe weiter. "Das wird größer sein als alles, was wir jemals in der Vergangenheit gesehen haben. Es wird beispiellos sein. Jedes Lebewesen wird davon betroffen sein", betont die Wissenschaftlerin.
50 Jahre nach dem Bericht des Club of Rome sind solch drastische Warnungen immer noch nötig. Und sie werden von interessierter Seite wieder als alarmistisch abgetan werden. Der schwedische König Carl XVI. Gustaf sprach zur Eröffnung von Stockholm+50 eine einfache Wahrheit aus: "Wir haben keine 50 weiteren Jahre, um die Entwicklung umzukehren. (...) Wenn wir die Erderwärmung begrenzen wollen, dann sind die nächsten Jahre entscheidend." Die Zeit läuft ab. Die Entscheider:innen suchen immer noch das Gaspedal.
Mit Material von DPA, AFP.