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Geburtenrückgang Empty Planet - Droht statt der Überbevölkerung nun ein menschenleerer Planet?

Eine menschenleere Ödnis droht wohl nicht, aber was, wenn sich der Planet in ein Altersheim verwandelt.
Eine menschenleere Ödnis droht wohl nicht, aber was, wenn sich der Planet in ein Altersheim verwandelt.
© Bestdesigns / Getty Images
Durch den Geburtendruck haben die Menschen den Planeten mit ihrer Spezies überflutet. Doch bald wird sich der Trend umkehren. Das behauptet zumindest das Sachbuch "Der leere Planet" - es prophezeit eine Umkehr des Wachstumtrends.

Seit den 1970er Jahren leben wir unter dem Eindruck, dass die Erde alsbald von der steigenden Zahl der Menschen erdrückt wird. Zahlen untermauern diese Annahme. Innerhalb des 20. Jahrhunderts hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdreifacht. 1927 waren es noch zwei Milliarden Menschen und heute sind es etwa 7,5 Milliarden mit Kurs auf acht. Spätestens seit den Berichten des Club of Rome - einer gemeinnützigen Organisation, die sich für eine nachhaltige Zukunft einsetzt - wird diese Entwicklung mit großer Sorge betrachtet: Denn immer mehr Menschen werden auch immer mehr Raum und Ressourcen verbrauchen. Wie soll der Planet das aushalten?

Rückgang wird das 21. Jahrhundert bestimmen

Zu ganz anderen Ergebnissen kommen der kanadische Sozialwissenschaftler Darrell Bricker und der Journalist John Ibbitson. In Ihrem Buch "Der leere Planet" (Empty Planet: The Shock of Global Population Decline) bauen sie ein entgegengesetztes Szenario aus. Ihre These: "Das bestimmende Ereignis des 21. Jahrhunderts tritt in drei Jahrzehnten ein, dann wenn die Weltbevölkerung zu sinken beginnt. Sobald dieser Niedergang beginnt, wird er nie enden."

Auch bei ihnen geht es nicht ohne einen apokalyptischen Unterton. Fürchtet man eben noch, die Erde würde in Zukunft mit einer Masse wimmelnder Menschen bedeckt, wird nun die Vision einer verlassenen Ödnis beschworen.

Doch die menschenleere Welt wäre eine extreme Langzeitperspektive. Stimmt die Interpretation von Bricker und Ibbitson in Sachen Bevölkerungsentwicklung, wird zunächst eine Stagnation und dann eine schleichende Überalterung vieler Gesellschaften eintreten. Die Probleme von Ländern wie Japan und Deutschland heute dürften dann die globale Blaupause bilden.

Doch wie kommen die Autoren zu diesem Ergebnis? Zunächst einmal wurden auch die offiziellen Zahlen der UNO über den prognostizierten Zuwachs in den letzten Jahren deutlich nach unten angepasst. Die Zeit des ungebremsten Bevölkerungswachstums ist auf allen Kontinenten – bis auf Afrika – schon heute vorbei. Bricker und Ibbitson zufolge liegen die Prognosen der Vereinten Nationen derzeit regelmäßig über den genaueren Daten vieler Länder. In der Folge wird die globale Fruchtbarkeit systematisch zu hoch angesetzt.

Die Thesen Bricker und Ibbitson stellen das kollektive Schreckgespenst "Überbevölkerung" in Frage und das ist überfällig. Die komplexen weltweiten Veränderungen in Sachen religiöse Bindung, bei Konsumgewohnheiten und im Arbeitsleben lassen sich nicht mit mathematischen Formeln fassen, die diese Faktoren überhaupt nicht berücksichtigen.

Ende der Unterdrückung

Für Bricker und Ibbitson sind die Frauen der Schlüssel zu den Fragen der Population. Rechtliche Gleichstellung, die Erosion traditioneller Familienformen und die bessere Schulbildung bestimmen schon heute die Entwicklung. "Man kann sagen, dass die alten Modelle in der Vergangenheit immer funktionierten. Aber was ist, wenn die Vergangenheit kein Prolog für die Zukunft ist?", sagte Darrell Bricker im Gespräch mit "Wire". "Was, wenn es um die persönlichen Entscheidungen geht, die Frauen heute über ihr Leben treffen?"

Letztlich baut das Buch auf einer einfachen Tatsache auf. Weltweit sinkt die Geburtenrate bei Frauen weit schneller, als bislang angenommen wurde. Gleichzeitig steigt die Zahl der Frauen, die bewusste Familienplanung vornehmen. In den USA und Europa sorgen sich viele Paare, wie sie trotz fortgeschrittenen Alters noch Kinder bekommen könnten. In Brasilien und China entscheiden sich heute viele Frauen für eine dauerhafte Sterilisation – in China soll die Hälfte der Paare diesen Weg gehen. In Südkorea und Japan verzögern Frauen eine Schwangerschaft bis nach dem 30. Lebensjahr oder verzichten ganz darauf.

Atemberaubende Geschwindigkeit

"Wir haben 26 Länder befragt, in denen Frauen gefragt wurden, wie viele Kinder sie wollen, und egal, wohin man geht, die Antwort liegt eher bei zwei. Die äußeren Kräfte, die früher Menschen zu größeren Familien drängten, verschwinden überall", sagte John Ibbitson zu "Wire". "Das geschieht am schnellsten in den Entwicklungsländern. Auf den Philippinen zum Beispiel sank die Reproduktionsrate von 2003 bis 2018 von 3,7 Prozent auf 2,7 Prozent. Das ist ein ganzes Kind in nur 15 Jahren."

Aber wird darum die Erde wieder wüst und leer? Oder nur von Tieren bewohnt? Mit dem plakativen Titel vom "leeren Planeten" schießen Bricker und Ibbitson verkaufsfördernd über das Ziel hinaus. Nach allem, was wir wissen, entstehen Geburtenaufschub und –zurückhaltung nicht ganz freiwillig. Frauen finden sich in einer schwierigen Lage zwischen Karrierewünschen, Unsicherheit über die Zukunft und verfügbarem Einkommen wieder. Derzeit führt die errungene Stellung der Frauen dazu, dass sie sich für spätere oder gar keine Kinder entscheiden können. Sollten sich die gesellschaftlichen Spielregeln ändern, und Kinder bei alleinerziehenden Müttern nicht mehr ein eklatantes Armutsrisiko darstellen, kann die Abwägung durchaus zugunsten von Kindern aussehen. Die Zahlen Bricker und Ibbitson zeigen allerdings, dass Frauen heute weltweit nicht mehr Kinder um jeden Preis bekommen – seitdem sie das Recht haben, auch Nein zu sagen.

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