Versunkene Vergangenheit Die Geheimnisse der Unterwasserwelt

Von Birk Grüling
Überwucherte Wracks oder jahrtausendealte Knochen der Maya: Unterwasserarchäologen forschen in den Tiefen der Meere nach Unentdecktem. Ein Film zeigt, wie faszinierend das ist.

Der Tor zur Unterwelt liegt auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Genauer gesagt: in einem Tümpel inmitten des Dschungels. Unterwasserarchäologe Florian Huber und sein Kollege müssen sich erst durch ein Dickicht aus Wasserpflanzen kämpfen, dann öffnet sich hinter einem Felsspalt die Unterwasserhöhle in ihrer ganzen Pracht. Die Maya nutzten die gefluteten Höhlen, auch Cenoten genannt, als Wasserquellen und verehrten sie als Eingang zur Unterwelt Xibalba. Auf Yucatán gibt es rund 10.000 dieser Löcher, die durch Deckeneinstürze in Kalksteinhöhlen entstanden sind.

Manche Cenoten haben sich mit Regenwasser gefüllt, andere wurden vom Grundwasser geflutet. "Dort unten fühlt man sich wie in einer fremden Welt. So etwas sieht man an keinem anderen Ort der Erde", schwärmt Huber. Der Kieler Forschungstaucher arbeitete vier Jahre regelmäßig in Mexiko. Auf tauchende Wissenschaftler wie ihn warten in den zerklüfteten Gängen und majestätischen Hallen unzählige stille Zeugen der Zeit. Maya-Priester opferten hier ihren Göttern. Krüge, Schmuck und menschliche Knochen zeugen von blutigen Ritualen und kultischen Bestattungen. Andere Funde sind noch viele tausend Jahre älter.

Zum ersten Mal gewährt nun ein 3-D-Film Einblick in die Geheimnisse der dunklen Unterwasserwelt. Für die Dokumentation "Die Höhlen der Toten", die am 15. August in die Kinos kommt, hat ein Kamerateam Florian Huber und seine Kollegen begleitet - und die Erforschung der Cenoten mit modernster Technik festgehalten.

Während der Eiszeit waren die Höhlen bewohnbar. Erst als die Polkappen abschmolzen und dadurch der Meeresspiegel anstieg, versanken die prähistorischen Lagerstätten. Die ältesten menschlichen Skelette aus einer Cenote sind mehr als 10.000 Jahre alt. Auch Überreste von längst ausgestorbenen Urzeittieren - etwa des mit dem Mammut verwandten Mastodon - fanden die Taucher hier.

Ein Abenteuer unter Wasser

"Die meisten Funde sind ausgezeichnet erhalten. Der Abschluss von Luftsauerstoff schützt sie vor dem Verfall", erklärt Huber. Genau diese Abgeschlossenheit macht die Erforschung umso schwieriger. Unterwasserarchäologische Funde können nicht einfach gehoben werden, weil der Verfallsprozess einsetzt, sobald die Funde mit Sauerstoff in Kontakt kommen. Dass große Unterwasserfunde für das Museum restauriert werden, ist ein teurer und aufwendiger Prozess und deshalb eher unüblich. "Wir nehmen kleine Proben, machen Notizen und fotografieren die Funde aus allen Winkeln", sagt Huber.

Mithilfe modernster Technik gewinnen die Forscher an Land aus diesem Material wichtige Erkenntnisse. An der Uni Kiel arbeitet man beispielsweise mit einem Computerprogramm, das Unterwasserbilder zu 3-D-Modellen zusammensetzt. Zusammen mit den Laboranalysen der Proben können so Experten auch am Schreibtisch die Funde bearbeiten, ohne aufwendige Bergung und ohne selbst zu tauchen.

Die Arbeit unter Wasser ist eine echte Herausforderung. Manche Schiffswracks liegen in mehr als 70 Meter Tiefe, allein für einen Weg samt Dekompressionsstopps braucht ein Taucher anderthalb Stunden. Das Wasser dort ist kalt, das Sonnenlicht schwach und der Wasserdruck hoch. Nur Profis dürfen in die Cenoten abtauchen. Manche Gänge dort unten sind kaum breit genug für einen Menschen, andere Höhlen stockdunkel und bis zu 100 Meter tief. Daher tauchen die Forscher nur im eingespielten Team, mit genauem Plan und doppelter Absicherung mit zwei bis drei Flaschen gefüllt mit Spezialmischungen.

Die Strapazen werden belohnt. "In der Wissenschaft hat die Unterwasserarchäologie für eine kleine Revolution gesorgt. So manche Datierung hat sich durch Funde wie Schiffswracks oder untergegangene Siedlungen um Jahrhunderte verschoben", erklärt Martin Mainberger, Gründer eines Fachbetriebs für Unterwasserarchäologie. Auch die Erkundung der Cenoten in Mexiko brachte neue Erkenntnisse. Früher nahm man an, dass die Maya die ersten Bewohner Yucatáns waren. Die Funde in den Cenoten brachten an s Licht: Hier lebten schon 7000 Jahre früher Menschen.

Mit ihren Tauchgängen in die versunkene Vergangenheit hoffen die Forscher auch ein weiteres Rätsel zu lösen: den Grund für das Aussterben großer Säugetiere in Lateinamerika. Wissenschaftler diskutieren seit Jahrzehnten, ob der Menschen oder der Klimawandel den Säugern den Garaus machte. "Wenn wir klare Jagdspuren an den Tieren finden, würde das für die Ausrottungstheorie sprechen", sagt Huber.

Ostsee und Bodensee bergen ebenfalls Schätze

Für ähnlich spektakuläre Funde und spannende Erkenntnisse müssen die Forscher übrigens nicht immer in die Ferne reisen. Die gibt es auch vor der Haustür: Allein in der Ostsee liegen rund 17.000 Wracks aus verschiedensten Epochen, und auch so mancher Binnensee ist für Forscher wahres Paradies. So arbeitet Martin Mainberger seit Jahren an den Pfahlbausiedlungen im Bodensee. In Ufernähe fand man hervorragend erhaltende Textilien, Einrichtungsgegenstände und sogar Wagenräder - Dinge, die wichtige Aufschlüsse über das Leben in den Siedlungen von der Jungsteinzeit bis in die späte Bronzezeit geben.

"Im Bodensee haben wir über 100 Fundstellen, mit bis zu 20 verschiedenen Siedlungsschichten übereinander. An kaum einem Ort in der Welt ist die Entwicklung der Siedlungskultur so greifbar wie hier", schwärmt er. Im Gegensatz zu Wracks auf offener See müssen die Forscher hier nur fünf Meter tief tauchen. Leichter macht das die Arbeit aber nicht: Mainberger und sein Team arbeiten nur im Winter, wenn es keinen Tourismus und wenige Algen gibt. Das Wasser ist dann kaum wärmer als drei Grad.

"Unterwasserarchäologie ist ein Knochenjob, der perfekte Tauchfähigkeiten und archäologisches Handwerkszeug erfordert. Dafür ist längst nicht jeder gemacht", sagt er. Doch wer davor nicht zurückschreckt, dem eröffnet sich ein Feld, in das sich tief eintauchen lässt - und das noch viele spannende Abenteuer verspricht.

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