Weltklimabericht Das große Gezerre

  • von Michael Lenz
Bei jedem Teil des Klimaberichtes wird zäh gefeilscht, wollen Politiker ihre Interessen knallhart durchbringen. So auch dieses Mal in Bangkok: Über 35 Seiten, jede Zeile, jedes Wort wurde diskutiert. Doch nicht alle vermeintlichen Buhmänner waren diesmal so buh.

"Oh mein Gott, so kann der doch nicht vor Kameras", stöhnt der Pressesprecher der Umweltorganisation WWF International auf, als er am Freitagmorgen den Klimaexperten seiner Organisation sieht. Stephan Singer ist bleich, hat dicke schwarze Ränder unter den Augen, ist unrasiert. Bis um fünf in der Früh war Singer am Freitag im Konferenzzentrum der Vereinten Nationen, wo in einer Nachtsitzung Wissenschaftler und Regierungsvertreter aus 120 Ländern um die Endfassung des dritten Teils des Reports des Weltklimarates der Vereinten Nationen feilschten.

Die Vertreter des WWF und anderer Umweltorganisationen wie Greenpeace waren zwar nur als Beobachter zugelassen, aber sie nutzten die Gelegenheit für intensive Lobbyarbeit auf den Fluren des UN-Gebäudes an der Rachadamnern Nok Avenue in der Nähe des Königspalastes und des Amtssitzes des thailändischen Ministerpräsidenten.

Die Strapazen haben sich gelohnt. "Es ist alles drin, was wir drin haben wollten", freut sich Singer. Auch Gabriela von Goerner, die deutsche Greenpeace-Repräsentantin bei der viertägigen Konferenz, ist erleichtert, obwohl im Report auch die Atomkraft als eine Option enthalten ist. Goerner bilanziert nüchtern: "Jetzt muss die Politik daraus die richtigen Konsequenzen ziehen und Zielgrößen zur Reduzierung der Treibhausgase setzen."

35 Seiten Wort für Wort diskutiert

Was wurde eigentlich in Bangkok verhandelt? Nicht etwa der über 1000-Seiten-Bericht selbst. Zur Debatte stand die 35 Seiten lange "Summary for Policy Makers" oder zu Deutsch die "Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger". Vier Tage und Nächte lang wurden diese 35 Seiten Absatz für Absatz, Satz für Satz, Wort für Wort diskutiert, Änderungen eingebracht, erneut diskutiert. In zähem Feilschen versuchten die Politiker in Arbeitsgruppen ihre Einzelinteressen durchsetzen.

"Vielen geht es hier mehr um die Wahrung ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Interessen, als um gemeinsame Maßnahmen zum Klimaschutz", seufzt Singer. Von Groener hat Verständnis für die Akribie. Scheinbar kleine Wörter können große Auswirkungen haben", sagt die Expertin, die als Beobachterin an der Konferenz in Bangkok teilgenommen hat. Sie nennt ein Beispiel: "Es macht schon einen Unterschied, ob es letztendlich heißt, die Atomenergie soll eine 'zunehmende Bedeutung' haben, oder ob sie nur als eine Maßnahme neben anderen erwähnt wird."

China als zweitgrößter Emittent von Treibhausgasen nach den USA hatte auf der Konferenz ein weiteres Mal die Buhmann-Rolle inne. Zusammen mit anderen Entwicklungsländern wie Indien haben die Vertreter Chinas alles versucht, den Bericht zu verwässern und eindeutige Zielgrößen und Emissionsgrenzen zu vermeiden. Die Chinesen hätten es gerne gesehen, wenn stattdessen der Bericht die westlichen Industriestaaten in Nordamerika und Europa als Verursacher der Klimakrise verurteilt und ihnen deshalb die alleinige Verantwortung für die Lösung des Problems zugewiesen hätte. Sie selbst, so die Chinesen, aber auch andere Entwicklungsländer wie Indien hätten doch gerade erst die wirtschaftliche Weltbühne betreten und somit keine Schuld an der Klimakatastrophe.

"Das kann man auch diplomatischer sagen"

Nicht jeder in Bangkok war aber jedoch bereit, die Chinesen zum Buhmann zu machen. Zumindest nicht öffentlich. Die harsche öffentliche Kritik von Deutschlands Parlamentarischem Staatssekretär beim Umweltministerium Michael Müller an den Chinesen kam unter den Delegierten der Konferenz nicht gut an. Nachdem die gegenüber der internationalen Presse tagelang zum Schweigen verdonnert waren, machten manche jetzt ihrem Ärger Luft. "Das kann man auch diplomatischer sagen", meinte einer. Vor allem vor dem G 8 Treffen Anfang Juni in Heiligendamm solle man die Chinesen nicht verprellen, fand ein anderer.

Singer sieht die Chinesen gar unfair behandelt. Die Regierung in Peking habe sich zum Beispiel das Ziel gesetzt, die Energieeffizienz bis 2010 um 20 Prozent zu steigern. "Das ist ein ehrgeiziges Ziel und ich wünschte, so manches Industrieland hätte solche Zielgrößen."

Andere übliche Verdächtige in der Riege der bisherigen Ignoranten des Klimawandels wie die Kyoto-Verweigerer USA oder Australien sind in Bangkok zur Überraschung vieler positiv aufgefallen. "Die haben konstruktiv verhandelt", sagt von Groener. Aber sie relativiert auch gleich das Lob. "Hier ging es um Maßnahmen zur Reduzierung der Erwärmung. Das ist politisch weniger brisant. Bei den Verhandlungen um den zweiten Teil des Klimaberichts Anfang April in Brüssel haben die USA noch alles versucht, um jeglichen Hinweis auf die Menschen als Verursacher des Klimawandels aus dem Bericht zu streichen."

China plant 30 neue Atomkraftwerke

Ohne politische Brisanz ist aber auch fast keine der vorgestellten Lösungsoptionen. Allen voran das Reizthema Kernkraft. Vor allem die USA, aber auch Kanada, haben sich für den Einsatz von Atomkraftwerken stark gemacht. China habe sich zu diesem Thema zurückgehalten. "Die haben wohl eine Wir-machen-eh-was-wir-wollen Haltung, egal was im Report steht", befürchtet ein Insider aus Europa, der nicht genannt werden will. China will in den nächsten Jahrzehnten 30 neue Atomkraftwerke bauen. Aber auch Indien sowie eine Reihe südostasiatischer Staaten wie Vietnam, Malaysia und Indonesien halten sich die atomare Option offen.

Jetzt liegt es an den Politikern, die richtigen Schlüsse aus dem Bericht zu ziehen und in konkrete Politik zum Nutzen der Menschheit umzusetzen. Gelegenheiten auf internationaler Ebene bieten sich alleine in diesem Jahr reichlich.

Auf dem G8-Gipfel geht es um die Wurst

Der nächste Halt auf der Reise zur Eindämmung der Klimakrise ist der G8-Gipfel im deutschen Heiligendamm. Richtig ernst aber wird es kurz vor Weihnachten auf dem Weltklimagipfel im schönen Bali. Da wird es um die Wurst gehen. Zur Verhandlung steht nämlich Kyoto II an, der Nachfolgevertrag des Kyoto-Protokolls. Dafür bildet der jetzt vorgestellte Weltklimabericht die Grundlage.

Die wesentliche Frage aber wird sein: werden die bisherigen Kyoto-Verweigerer wie die USA, wie Australien an Bord kommen? Werden die Beteuerungen von Bangkok, dass die Welt nur gemeinsam stark ist, mit Leben erfüllt? Oder werden viele Länder lieber ihre eigenen Interessen verfolgen?

Jedenfalls könne Dank des Klimaberichts niemand mehr behaupten, die Eindämmung des Klimawandels sei nicht möglich, schade seiner Volkswirtschaft und koste zu viel, freut sich Singer. "Nach der Junk-Wissenschaft, die lange Zeit den Klimawandel leugnete, ist jetzt diese Junk-Ökonomie für immer vom Tisch."

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